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Salzburger Festspiele

20. Juli bis 31. August 2023

Kritik - Salzburger Festspiele "The Exterminating Angel" von Thomas Adès

Mit einer Uraufführung des britischen Komponisten Thomas Adès wurden am 28. Juli die diesjährigen Salzburger Festspiele eröffnet. Als Vorlage diente dem Komponisten Luis Buñuels surrealistischer Schwarz-Weiß-Film "Der Würgeengel".

Szene aus "The Exterminating Angel", Uraufführung bei den Salzburger Festspielen 2016 | Bildquelle: Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Bildquelle: Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Uraufführung in Salzburg

"The Exterminating Angel" von Thomas Adès

Symbolträchtig: Glocken läuten schon vor Aufführungsbeginn. Nur kurz fragt man sich, ob das jetzt von draußen oder aus dem Lautsprecher kommt. Ein Mann und drei Schafe stehen auf der Bühne herum. Zwei große verschiebbare Raumelemente prägen das Setting: eine goldglänzende Wand an der linken Seite und ein holzähnlicher Torbogen auf der Drehbühne.

Surrealistische und vielfach interpretierte Parabel

Es wird viel gesungen in dieser neuen dreiaktigen Oper "The Exterminating Angel" von Thomas Adès, genauer: Konversation betrieben. Zu viel. Das liegt am Konzept. Denn der britische Komponist geht in seinem dritten Musiktheater vom gleichnamigen Film Luis Buñuels aus. Gemeinsam mit Regisseur Tom Cairns hat Adès das Libretto fast textgetreu nach dem Drehbuch eingerichtet. Buñuels Schwarz-Weiß-Streifen "Der Würgeengel" aus dem Jahr 1962 ist eine unglaublich rätselhafte, surrealistische und vielfach interpretierte Parabel. Sie nimmt die Bourgeoise ins Visier: Eine zunächst fröhliche Festgesellschaft wird während des Abendessens unvermutet vom Personal allein gelassen und ist nicht mehr in der Lage, aus dem Haus zu kommen. Warum auch immer. Mehrere Tage bleiben die Gäste eingesperrt. Panik macht sich breit, ein alter Mann stirbt, ein junges Paar begeht Selbstmord. Die Schafe wandern in den Salon. Ein plötzlich auftretender Bär verbreitet Angst und Schrecken.

Musikalisch wird in dieser Oper so ziemlich alles aufgefahren: ein großes Solistenensemble, Chor und Orchester mit Electronics. Thomas Adès komponiert effektvoll und polystilistisch: hochdramatische Solopartien, Walzer, Lied, Trommelwirbel, ein Klaviersolostück oder eine Lamentatio - Adès greift zu den Klängen, die er grade situativ braucht. Er illustriert - das tut er gekonnt und mit kompositorischem Talent, letztlich aber auf Kosten einer musikalisch zwingenden Gesamtdramaturgie.

Kluge Personenführung

Regisseur Tom Cairns überzeugt mit durchaus kluger Personenführung, belässt die Szenerie in den ersten beiden Akten jedoch zu sehr im Wohlfühl-Ambiente. Während Buñuels Film äußerst suggestiv zeigt, wie gesellschaftliche Konventionen nach und nach zu bröckeln beginnen und die Festgäste in ein verwahrlostes Stadium kippen, fehlen von Anfang an fein eingestreute Irritationen in dieser Produktion, szenisch wie musikalisch. So erklingen die Ondes Martenot etwa genau dann, wenn es unheimlich wird, der Würgeengel also zu erahnen ist. Der Surrealismus grüßt durch eine projizierte Hand, die Gitarre spielt.

Dennoch lässt sich die Adès-Oper nicht allzu leicht auf kunstgewerblichen Kitsch oder platte Postmoderne reduzieren. Es sind die instrumentalen und stilleren Momente, in denen ein Gespür für raffinierte Klangfarben und Stimmungen offensichtlich ist. Diesen Eindruck stützen die Interpreten: Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien und der Salzburger Bachchor musizieren unter der Leitung des Komponisten präzise, ausdrucksstark und differenziert. Die große Solistenschar begeistert als hervorragendes Ensemble, das von Anfang bis Ende schwer gefordert ist. Das Premierenpublikum jubelt mit Standing Ovations.

Es bleibt der Nachgeschmack: Buñuel zu vertonen, ist im Grunde zum Scheitern verurteilt.

Hintergrund

Der spanische Filmemacher Luis Buñuel wurde 1929 weltberühmt mit seinem surrealistischen Meisterwerk "Ein andalusischer Hund", das er zusammen mit Salvador Dalí verfasste. Auch später blieb Buñuel dem Ideal des Surrealismus treu: 1962 veröffentlichte er den Film "El ángel exterminador" - zu Deutsch "Der Würgeengel".

Der eigentliche Titel des Films sollte "Die Schiffbrüchigen von der Straße der Vorsehung" lauten. Buñuel hörte aber von einem befreundeten Theaterautor den Titel eines geplanten Stückes "El angel exterminador", wörtlich "Der Engel der Vernichtung" und war davon so begeistert, dass er diesen Titel übernahm. "Der Würgeengel " bezieht sich auf das Alte Testament, hier findet sich im 2. Buch der Könige die Beschreibung eines Engels, der 185.000 der Jerusalem belagernden Assyrer tötet.


"The Exterminating Angel" ist ein Auftragswerk und eine Koproduktion der Salzburger Festspiele, des Royal Opera House, Covent Garden, London, der Metropolitan Opera, New York, und der Kongelige Opera, Kopenhagen.

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