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Salzburger Festspiele

20. Juli bis 31. August 2023

Thomas Hengelbrock zu Cherubinis "Médée" "Diese Frau ist ein Opfer der politischen Verhältnisse"

Bei den Salzburger Festspielen 2019 dirigiert Thomas Hengelbrock die Aufführungen von Luigi Cherubinis Oper "Médée". Im Interview verrät er, warum er das Werk für einen verkannten Geniestreich hält und was es mit den verschiedenen Fassungen auf sich hat.

Violonist Thomas Hengelbrock | Bildquelle: F. Grandidier

Bildquelle: F. Grandidier

BR-KLASSIK: Thomas Hengelbrock, Sie haben einmal gesagt, dass Sie Cherubinis "Médée" gerne schon vor 20 oder 25 Jahren aufgeführt hätten. Es scheint für Sie ein Herzensstück zu sein. Warum mögen Sie diese Oper so gerne?

Thomas Hengelbrock: Die "Médée" gehört zu den Stücken, die eigentlich Teil des Kanons sein und regelmäßig im Repertoire auftauchen sollten. Ein großartiges Stück Theatermusik! Cherubini ist ein großer Komponist, nicht nur in der "Médée" – er hat viele wirklich wunderbare Opern geschrieben, ein unglaublich schönes Requiem, Streichquartette und eine tolle Symphonie. Ich habe das nie so ganz eingesehen, warum man ihn nicht – das Urteil von Beethoven und Brahms übernehmend – öfter aufführt.

Eine komplett neues Frauenbild

BR-KLASSIK: Nun ist das Thema, das er in der "Médée" gewählt hat, in vielen Kunstrichtungen präsent – mehrfach in der Musik, auch in der Literatur und in der Kunst. Was ist Cherubinis Médée für eine Figur?

Thomas Hengelbrock: Ich glaube, dass die große Leistung von Cherubini und seinem Librettisten Hoffman darin besteht, dass sie diese Figur wirklich ins Heute geholt haben. Das ist ja kurz nach dem Ausbruch der Französischen Revolution in Paris konzipiert worden. Und wenn man sich die ganzen Diskussionen der zwei Jahrzehnte davor anschaut, dann entsteht da wirklich ein komplett neues Frauenbild. Wie Sie sicher wissen, waren auch die Französinnen sehr aktiv und federführend bei der Durchführung der Revolution und haben sich da wirklich enorme Rechte erkämpft. Médée ist ja nicht nur die Schuldige und die Rächerin – eine Frau, die einen fünffachen Mord und Kindermord begeht, wie bei Euripides –, sondern sie wird bei Hoffman und Cherubini als eine Frau geschildert, die durchaus auch ein Opfer der sozialen und politischen Verhältnisse ist.

Die Médée ist ein großartiges Stück Theatermusik.
Thomas Hengelbrock

Große Besetzung für eine spätere Fassung

BR-KLASSIK: Sie sind bekannt als ein Dirigent, der generell den Originalklang sehr schätzt. Was war Ihnen jetzt wichtig bei dieser Zusammenstellung?

Elena Stikhina (Médée) | Bildquelle: © SF/Thomas Aurin "Médée" in Salzburg: Elena Stikhina in der Titelrolle | Bildquelle: © SF/Thomas Aurin Thomas Hengelbrock: Wir führen die "Médée" im Großen Festspielhaus auf. Deshalb habe ich mich entschlossen, auch die Orchestrierung zu nehmen, an der Cherubini bis an sein Lebensende gearbeitet hat und die für einen großen Aufführungsort vorgesehen ist. Ich habe drei Posaunen und zwei Trompeten hinzugenommen, die Arien mit Holzbläsern ergänzt – alles aufgrund der Quellenlage. Das Stück ist ja ursprünglich ja für einen sehr kleinen Saal in Paris konzipiert worden. Da gab es, passend dazu, eine sehr kleine kammerorchestrale Besetzung. Cherubini hat das Stück dann sukzessive vergrößert in der Instrumentation. Insofern finde ich das auch sehr plausibel, wenn wir das Stück jetzt im großen Saal mit den Wiener Philharmonikern aufführen, die auch eine entsprechende Klangstärke entwickeln können. Das ist mir wichtig, dass wir das wirklich auch für die Zuschauer und Zuhörer interpretieren, die weiter weg sitzen. Das hat eben einen anderen interpretatorischen Zugriff zur Folge, als wenn Sie das jetzt primär für einen kleinen Saal der für eine Radio-Liveübertragung konzipieren, wo die Mikrofone ganz dicht an den Instrumenten platziert sind.

Die Wiener – ein fabelhaftes Opernorchester

BR-KLASSIK: Das erste Mal dirigieren Sie die Wiener Philharmoniker als Operndirigent. Was verändert sich da in der Zusammenarbeit?

Thomas Hengelbrock: Wir hatten sehr wenig Proben, das muss man vorausschicken. Die Bedingungen sind nicht ganz ideal. Auf der anderen Seite ist dieses Orchester natürlich sehr versiert. Die Musiker wechseln zwar bisweilen, aber für die beiden letzten Proben und die Premiere hat man dann dieselben Musiker. Die haben sehr schnell adaptiert und in der Premiere auch phantastisch gespielt. Sie haben eine unglaubliche Routine, sie gehen mit, hören auf die Sänger und sind wirklich ein fabelhaftes Opernorchester.

Chance für ein Meisterwerk

BR-KLASSIK: Die "Médée" ist nicht im Grundkanon – das heißt, sie wird nicht so oft aufgeführt. Es gab mal die Zeit in der Maria Callas das Stück ein bisschen größer gemacht hat; jetzt kommt es bei den Salzburger Festspielen auf die Bühne. Ist das vielleicht eine Plattform, um das Stück wieder in die Spielpläne der Opernhäuser zu bringen?

Thomas Hengelbrock: Ja, das könnte sein. Wenn es den Leuten gefällt und Intendanten kommen, die sagen: Das ist wirklich ein unglaubliches Theaterstück – wovon ich persönlich überzeugt bin –, dann hat es eine größere Chance, jetzt auch weiter verbreitet auf dem Programm zu stehen. Jedenfalls eher, als wenn das in einem kleinen Opernhaus ohne große internationale Beobachtung geschieht.

"Medée" in Salzburg

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