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Buchkritik – 100 Jahre Salzburger Festspiele Erpresserschreiben zum Jubiläum

Im kommenden Jahr werden die Salzburger Festspiele 100 Jahre alt. Das Geburtstagsbuch "100 Jahre Salzburger Festspiele – Eine unglaubliche Geschichte in fünf Akten" von Malte Hemmerich ist aber kein pompöser Bildband, wie man ihn erwarten würde – sondern insgesamt eher ernüchternd.

Das Cover von 100 Jahre Salzburger Festspiele | Bildquelle: Ecowin-Verlag

Bildquelle: Ecowin-Verlag

"Einhundert Jahre Salzburger Festspiele" heißt es im kommenden Jahr: 1920 ging in der Mozartstadt zum ersten Mal Hugo von Hofmannsthals "Jedermann" über die Bühne vor dem Dom und führte zu einem der weltweit angesehensten Musikfestivals. Ein Buch zu diesem Anlass – das stellt man sich als einen schweren, pompösen Brocken vor, der nur so strotzt vor Bildern in Hochglanz.

Was aber bekommt man in die Hand beim Band "100 Jahre Salzburger Festspiele – Eine unglaubliche Geschichte in fünf Akten"? Ein hundertdreißig Seiten dünnes Buch mit nicht ganz zwei Dutzend Fotos und einem Einband, der ausschaut wie ein aus verschiedenen Zeitungslettern zusammengestückeltes Erpresserschreiben.

Der Autor ringt um die passenden Formulierungen

So hastig, wie der Band anscheinend auf den Weg gebracht wurde, so abenteuerlich scheint der Autor nach zündenden Formulierungen gesucht zu haben. So lautet sein erster Satz:

Gut situiert brutzelt das Fleisch in der Hitze.

Hemmerich versucht, das als Metapher auf die in der Sonne schmorenden Besucher des "Jedermann" zu münzen. Nur gelingt ihm der Witz nicht. Und so geht es auf den folgenden Seiten seines Textes munter weiter. Hemmerich ringt um originelle Wendungen, um den persönlichen Touch. Seine Worte und Sätze sollen seine eigenen Empfindungen beim Umgang mit der Festspiel-Materie beschreiben, sie ganz nah zu seinen Lesern bringen.

So ergeht es ihm beim Gang durch Salzburgs Hofstallgasse, dem Festspielbezirk: "Wer heute die Hofstallgasse entlanggeht, ist tatsächlich ehrwürdig erschüttert ob der schieren Präsenz der Festspielgebäudekomplexe, die sich vor den flanierenden Besuchern auftürmen." Nein, so viel Erschütterung wäre nicht nötig gewesen, und auch all die anderen Stellen der Betroffenheitspoesie nicht.

Aber: eine glaubhafte Geschichte

Im Kern ist das ein grundsolides Buch. Der Musikjournalist Hemmerich zeigt in fünf Kapiteln, dass er sein Handwerk versteht und seinen Beruf ernst nimmt. Aus sorgsam zusammengetragenen Zahlen, Fakten und Berichten strickt er einen lebendigen Text und hält die Geschichte im Fluss. Den Untertitel des Buches straft er Lügen: Es ist keine "unglaubliche Geschichte". Nein, es ist eine durch und durch glaubhafte Geschichte der Salzburger Festspiele, die er da erzählt. Von den Initiatoren Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal über die ersten Jahre, die NS-Zeit, Karajan, Gérard Mortier und dessen Nachfolgern zum aktuellen Intendanten der Festspiele, Markus Hinterhäuser.

Mit Hemmerich gehen die Gefühle durch

Hemmerichs eigene Erlebnisse bei den Festspielen beschränken sich offenbar auf Besuche im Sommer 2017, wo er unter anderem einer Aufführung der "Aida" mit Anna Netrebko unter der Leitung von Riccardo Muti beiwohnte. Er schreibt: "Und als sich der Vorhang zu den hochkonzentrierten Streichern der Wiener Philharmoniker hebt und sich jeder Ton merklich in die Gehörgänge und Herzen brennen will, gehen im Saal spürbar viele Träume in Erfüllung."

Und dem Autor gehen wieder die Pferde seiner Gefühligkeit durch, ohne dass ein Lektorat da gewesen wäre, sie hier und an anderen Stellen einzufangen. 100 Jahre Salzburger Festspiele – dieses Ereignis und Hemmerichs sorgfältige Recherche hätten eine gründlichere Redaktion verdient, als sie der zum Red-Bull-Imperium gehörende Ecowin-Verlag dem Buch hat angedeihen lassen. 

Eine verbesserte Neuauflage im nächsten Jahr? Das wäre keine schlechte Idee.

Infos zum Buch

Malte Hemmerich:
"100 Jahre Salzburger Festspiele – Eine unglaubliche Geschichte in fünf Akten"
Ecowin-Verlag
144 Seiten
Preis: 18 Euro

Sendung: "Piazza" am 23. November 2019, 08.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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