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CD - Helmut Lachenmann "Got Lost"

Helmut Lachenmann ist einer der wichtigsten Komponisten der Gegenwart – der Meister des Geräuschhaften schlechthin, der die Entstehung des Klangs gleichwertig behandelt wie das Ergebnis, den Ein- und Ausschwingprozessen neue Bedeutung beimisst und somit in den letzten 50 Jahren sowohl das Kompositions- als auch Hörverständnis stets hinterfragt. Dazu kommen seine Schriften zur Musik und vor allem auch zur Rezeption, die zum Geistreichsten zählen, was die Moderne zu bieten hat. Um diesen Magier besser kennenzulernen, eignet sich die vorliegende CD hervorragend.

CD-Cover Helmut Lachenmann: "Got Lost" | Bildquelle: Wergo

Bildquelle: Wergo

Der CD-Tipp zum Anhören

Müsste man sich auf ein Wort festlegen, um der Musik von Helmut Lachenmann ganz generell sprachlich näherzukommen, wäre "Abtasten" sicher vorne mit dabei. Im Streichtrio von 1965 lotet der damals Dreißigjährige die Ausdruckspalette schon ein wenig aus: Weg vom Ton als Ausgangspunkt eines strengen Regeln folgenden Systems hin zur Struktur, zu einem Klangzustand, der sich wie von unsichtbarer Hand im freien Raum auf- und wieder entlädt.

Nischen und Zwischenräume

Durch differenzierteste Spielanweisungen bahnen sich die drei Streicher ihren Weg zu einem sich ständig wandelnden Kosmos‘, jenseits einer wahrnehmbaren Zeitachse. Was man aber wahrnimmt sind Nischen oder sowas wie Zwischenräume, hervorgerufen durch Verfremdung und Echowirkung – etwas, was in späteren Werken noch deutlicher hörbar wird.

Der Akkord und sein Verklingen

Das Ein- und Ausschwingen des Klangs kann als essentiell in Lachenmanns Werk bezeichnet werden. Im Ende der Neunzigerjahre entstandenen Klaviersolowerk "Serynade" konzentriert sich Lachenmann auf den Akkord und dessen Verklingen – die Verfremdung findet hier dadurch statt, dass manche Tasten des angeschlagenen Clusters kurz angehoben werden, um einen neuen Akkord herauszufiltern. Einerseits wird dadurch der natürliche Einschwingvorgang gestört, andererseits eine neue Ebene ohne Anschlag eröffnet – Grenzen verschwimmen, auch beim Hören: was klingt hier schon, was noch ?

Mannigfache Herausforderungen

Natürlich fordert Lachenmann uns Hörer heraus. Er fordert aber vor allem ganz grundsätzlich das Hören heraus: In "Got Lost" für hohen Sopran und Klavier bringt er drei Texte zusammen, die sowohl vom Duktus als auch vom Inhalt her unterschiedlicher kaum sein könnten. Ein Vierzeiler von Nietzsche, ein Anti-Liebesgedicht von Fernando Pessoa und eine skurrile Anzeige über einen verlorenen Wäschekorb, die dem Stück den Titel gibt.

Hinterfragen der Kunst

Zunächst für sich vorgetragen, dann zusammengewürfelt, seziert bis zur Unkenntlichkeit, neu zusammengebaut, durch Einsatz aller Stimm- und Klavierregister entrückt. Das Wortspiel mit "Got Lost" und dem fremden, gott-losen Klangraum, der sich auftut, zeugt von der Ironie hinter dem ernsten Anliegen: die Kunst als solche zu hinterfragen. Die Interpreten dieser Aufnahme machen es einem erstaunlich einfach, sich dem auszusetzen. Sei es das trio recherche, das mit rund 600 Uraufführungen sich bestens auskennt in allen denkbaren Zwischenräumen oder seien es Yukiko Sugawara und Yuko Kakuta, für die der Komponist "Serynade" bzw. "Got Lost" schrieb: So verliert man sich gerne in den wundersamen Lachenmann-Tiefen.

Helmut Lachenmann: "Got Lost"

"Got Lost" - Musik für hohen Sopran und Klavier
Streichtrio
"Serynade" - Musik für Klavier

Yuko Kakuta (Sopran)
Yukiko Sugawara (Klavier)
Trio Recherche

Label: Wergo

Sendung: "Leporello" am 2. Februar 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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