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Album der Woche – Nézet-Séguin mit Rachmaninow Symphonien Nr. 2 und 3

Der deutsche Kulturbetrieb ist seit langem an Subventionen gewöhnt. Dass einem der großen Orchester in Deutschland die Pleite drohte, wäre schwer vorstellbar. Nicht so in den USA. Selbst eines der berühmten US-Orchester nämlich stand 2010 kurz vor dem Aus; das Philadelphia Orchestra. Gottlob konnte es gerettet werden, was höchst erfreulich ist. Denn was mit diesem fantastischen Ensemble verloren ginge, beweist beispielsweise das gerade erschienene Album mit Musik von Sergej Rachmaninow. Yannick Nézet-Séguin, Chefdirigent des Orchesters, erweist sich als Rachmaninow-Interpret erster Güte.

CD-Cover – Nézet-Séguin dirigiert Rachmaninow: Symphonien Nr. 2 und 3 | Bildquelle: Deutsche Grammophon

Bildquelle: Deutsche Grammophon

Ja, wer Rachmaninow mag, der liebt es überschwänglich, romantisch und klanglich üppig, der hat keine Scheu, dem Zauber wunderbarer melodischer Einfälle, dem Sog rauschhafter Steigerungen zu erliegen. In all dem war Rachmaninow ein Meister. Bis heute begeistert das nicht jeden, ja so mancher nimmt es ihm nach wie vor übel. Vorsicht: Kitsch, Achtung: kaum gebremste Sentimentalität. Die Rachmaninow-Verächter waren sehr lange nicht weniger zahlreich als seine begeisterten Fans. Und ja, Rachmaninow war bestimmt kein struktureller Purist. Seine Musik will nicht objektiv sein, sie erzählt von menschlichen Gefühlen, von Triumphen und Tragödien, von Siegen und – viel häufiger – von Niederlagen. Aber wie sie das tut, das ist ganz einfach überwältigend und hat mit sentimentalem Kitsch wirklich nichts zu tun.

Im Exil wurde Rachmaninow nie heimisch   

Den Verlust der russischen Heimat in den Wirren der bolschewistischen Revolution hat Rachmaninow nie verwunden. Richtig heimisch ist er nach 1917 im Ausland nie mehr geworden, nicht im kalifornischen Beverly Hills, nicht in seiner Villa am Vierwaldstätter See. Es hat – vor allem materiell – ganz sicher tragischere Exilanten-Schicksale gegeben. Doch wie sehr Rachmaninow Russland vermisste zeigt, dass er als Komponist nach 1917 nahezu verstummte. Ganze sechs seiner knapp fünfzig Werke und Werkzyklen sind in den letzten dreißig Lebensjahren entstanden. Die allerdings gehören zu seinen bedeutendsten.

Kurz und bündig

Dieses Album wird jeder lieben, der ...
... gerne in wunderbaren Melodien, in großen musikalischen Gefühlen und einem richtig satten Orchesterklang badet.

Dieses Album lohnt sich, weil ...
... es einen großen Komponisten von seiner besten Seite zeigt.

Dieses Album hört man am besten ...
... spät abends bei einem guten Glas Wein – und möglichst laut.

Zurück zu den Wurzeln für Philadelphia

Eines davon ist die Dritte Symphonie, durchtränkt von russischem Melos, zugleich mit glasklarer innerer Struktur versehen. Die nicht sonderlich erfolgreiche Uraufführung spielte 1936 das Philadelphia Orchestra, das jetzt mit seinem Chef Yannick Nézet-Séguin zu seinen Wurzeln zurückkehrt. Das Album mit der Zweiten und Dritten Symphonie sowie der Tondichtung "Die Toteninsel" bildet den Abschluss von Nézet-Séguins Auseinandersetzung mit Rachmaninow.

Ohne Sentimentalität und Kitsch

Und auch diese letzte Aufnahme zeigt, wie ernst es dem kanadischen Dirigenten mit Rachmaninow ist. Natürlich sind Gefühl und Emotionalität auch bei Nézet-Séguin immer dabei, sentimental oder gar kitschig wird es aber nie. Mit klugen, nie ausgewalzten Tempi, einem transparent aufgefächerten Klang hält er die Musik im Fluss, macht nie zu viel und entfaltet gerade dadurch den ganzen emotionalen Reichtum dieser wunderbaren Partituren – in der eher unterschätzten Dritten Symphonie wie in der viel und gern gespielten Zweiten. Und die Fahrt zur düsteren "Toteninsel" gerät zum bedrückend beglückenden Erlebnis. Ein rundum überzeugendes Plädoyer für Sergej Rachmaninow.

Infos zur CD

Sergej Rachmaninow:
Symphonie Nr. 2 e-Moll, op. 27
Symphonie Nr. 3 a-Moll, op. 44
"Die Toteninsel", op. 29

Philadelphia Orchestra
Leitung: Yannick Nézet-Séguin

Label: Deutsche Grammophon

Sendung: "Piazza" am 22. Juli 2023 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Samstag, 22.Juli, 23:21 Uhr

Peter

Die Dritte, die ich ebenfalls für unterschätzt halte, ist hier wirklich sehr gelungen. Bei der Zweiten bleiben Maazel und die Berliner mein Favorit.

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