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Der Pianist Herbert Schuch Das Rücksichtslose herauskitzeln

Am 12. April erscheint Herbert Schuchs CD "Bagatellen", auf der er Ligetis "Musica Ricercata" mit den Bagatellen von Beethoven verbindet. Im Gespräch mit Falk Häfner erläutert der Pianist, was diese beiden Zyklen kombiniert, was sie trennt – und wie diese ungewöhnliche Kombination sein eigenes Spiel beeinflusst.

Pianist Herbert Schuch | Bildquelle: Felix Broede

Bildquelle: Felix Broede

BR-KLASSIK: György Ligeti und Ludwig van Beethoven in einem Programm: Zusammengeschraubt sozusagen, ineinander verschränkt, die Bagatellen von Beethoven und die Musica Ricercata von Ligeti. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, diese beiden doch eher unterschiedlichen Stücke und Komponisten miteinander zu verweben?

Herbert Schuch: Der aktuelle Anlass war eine Anfrage des Beethovenfests vor einigen Jahren. Da ging es darum, Beethoven mit dem 20. Jahrhundert zu verschränken. Zufälligerweise hatte ich damals gerade die Bagatellen von Beethoven in den Fingern. Da dachte ich: Die Zahl Elf springt schon irgendwie ins Auge. Die Musica Ricercata hatte ich schon gespielt, das sind auch elf Stücke. Ich habe diese zwei Zyklen dann nebeneinandergestellt und ein bisschen geschaut, ob das funktionieren könnte, sie tatsächlich abwechselnd hintereinander zu spielen. Und ich hatte das Gefühl, das könnte klappen – und dann habe ich das eben auch im Konzert gemacht. Während des Konzerts habe ich festgestellt, dass es nicht nur klappt, sondern irgendwie auch einen höheren Sinn ergibt. Der ist natürlich ursprünglich überhaupt nicht vorhanden, stellt sich aber beim Spielen ein. Mittlerweile muss ich sagen, dass ich die beiden Zyklen eigentlich kaum noch unabhängig voneinander hören kann. Aber das ist natürlich meine ganz eigene Geschichte mit diesen zwei Werken.

Das sind ganz disparate Stücke, die aus unterschiedlichen Zeiten stammen.
Herbert Schuch zu Beethovens Bagatellen

Von eins bis zwölf

BR-KLASSIK: Empfinden Sie die beiden Werkfolgen jeweils als für sich geschlossene Zyklen?

Herbert Schuch: Gerade die Musica Ricercata ist total in sich geschlossen, weil sie nach einem ganz strengen Prinzip aufgebaut ist: Ligeti verwendet im ersten Stück einfach nur zwei Noten, nämlich A und D. Das D kommt aber auch nur ganz am Schluss dazu. Im zweiten Stück sind es dann drei verschiedene Noten, und so arbeitet er sich durch die elf Stücke, bis er sich am Schluss eben wirklich alle zwölf Töne erkämpft hat. In den Bagatellen von Beethoven ist es anders: Das sind ganz disparate Stücke, die aus unterschiedlichen Zeiten stammen. Er hat sie dann zusammengestellt, und meine innere Stimme hat gesagt: Das jetzt aufzubrechen, ist vielleicht nicht so schlimm.

An der Grenze zur Unverschämtheit

BR-KLASSIK: Beethoven schrieb ja selber von einem "Zyklus von Kleinigkeiten". Sind diese Bagatellen denn kompositorisch tatsächlich Kleinigkeiten?

Herbert Schuch: Die Stücke sind natürlich sehr kurz – teilweise wirklich so kurz, dass man denkt: Das kann es jetzt aber doch noch nicht gewesen sein. Also eigentlich an der Grenze zur Unverschämtheit – ein Stück, das nur elf Sekunden dauert ...

BR-KLASSIK: ... eine Bagatelle eben ...

Herbert Schuch: Eine Bagatelle dann wirklich so bis ins Extrem zu schrumpfen und zu sagen: Das ist alles, was mir einfällt, und jetzt ist das Stück auch zu Ende. Hier haben wir einen weiteren kleinen Aspekt der unglaublichen Genialität von Beethoven, der sich gefragt hat: Was gab's noch nicht? Und dann erobert er sich eben auch noch dieses Mikroskopische.

Bei Beethoven gibt es immer diese unglaubliche Wärme des Gefühls.
Herbert Schuch

Ligeti als Büchse der Pandora

BR-KLASSIK: Da Sie vorhin gesagt haben, dass Sie plötzlich etwas ganz Anderes hören, wenn Ligeti auf Beethoven und Beethoven auf Ligeti folgt: Können Sie das ein bisschen genauer beschreiben, wie jeweils der eine Komponist den anderen befruchtet?

CD-Cover Herbert Schuch: "Bagatellen" | Bildquelle: CAvi-Music Das Cover von Herbert Schuchs neuer CD | Bildquelle: CAvi-Music Herbert Schuch: Bei Beethoven gibt es natürlich bei allem Witz, der diese Stücke auszeichnet, auch immer diese unglaubliche Wärme des Gefühls. Das sprudelt einfach bei Beethoven. Bei Ligeti hingegen merkt man einfach, dass es da zwar durchaus viele Stücke gibt, die auch witzig und prickelnd sind, aber es herrscht eben auch eine ganz kalte und düstere Atmosphäre, die einen an ein kommunistisches Gefängnis erinnert. Es ist wirklich wie eine Büchse der Pandora, die man da öffnet. Ich finde es unglaublich schön, dies mit Beethovens Humanität abzuwechseln. Aber wenn es dann zu viel wird mit dem Schwelgen in der Schönheit, kann man wieder zurück in diese düsteren Abgründe gehen. Das Ganze wird dadurch einfach ein sehr reichhaltiger Zyklus.

BR-KLASSIK: Wobei ja auch die Beethoven-Bagatellen durchaus ruppig sein können ...

Herbert Schuch: Absolut! Vielleicht ist es tatsächlich so, dass ich, wenn ich "gestählt" aus einem Ligeti-Stück herauskomme, auch merke, wie sich die Parameter beim Beethoven-Spiel ein bisschen verschieben. Ich denke dann, das kann ich jetzt eigentlich bei Beethoven auch mal versuchen. Und ich glaube, es hilft mir, dieses ganz Rücksichtslose bei Beethoven dann auch herauszukitzeln.

Sendung: "Leporello" am 11. April 2019 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Höhepunkte der CD werden auf BR-KLASSIK in der Sendung Aus den BR-Studios am 30. Mai, ab 16:05 Uhr, präsentiert.

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