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Shake Hands ist out! Es gibt ein Leben nach dem Händedruck

Viele von uns haben sich ein Leben lang an ihn gewöhnt. Ja, ihn sogar liebgewonnen, weil er oft ein starker Anfang für eine persönliche Begegnung ist. Andere mochten ihn noch nie. Und alle zusammen haben ihn sich in Pandemiezeiten abgewöhnt: den Händedruck. Er ist ein Kulturgut. Ein ehedem unverzichtbarer Bestandteil des Alltags – in Vorstellungsgesprächen eher ein Schrecken. Muss man das alles wirklich haben? Jetzt – und auch in den erhofften Nach-Pandemie-Zeiten? Diese Frage stellt sich Roland Spiegel in unserer Zugabe.

Händedruck, Symbolbild | Bildquelle: picture alliance / Zoonar | Robert Kneschke

Bildquelle: picture alliance / Zoonar | Robert Kneschke

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Es gibt ein Leben nach dem Händedruck

Paul war Lehrer einer kleinen Sprachferiengruppe in Südengland. Als ich ihm am zweiten Tag die Hand schütteln wollte, lachte er. Er sagte: „You are very German!“, und wies mich darauf hin, dass wir uns ja schon am ersten Tag die Hand gegeben hatten. Erst nach der letzten Stunde vor der Abreise – nach drei Wochen – sei wieder ein Handschlag fällig, zum Abschied. Vorher nicht.

Jean-Pierre war Kellner in einem Café in Paris bei Les Halles. Manchmal ging ich da um 15 Uhr in einer Pause hin, auf einen „Express“, und manchmal gut zwei Stunden später nochmal, auf einen kleinen Weißwein und ein Sandwich. Am zweiten Tag kannte er mich und reichte mir um 15 Uhr die Hand. Um 17:30 Uhr dann wieder. Als ich meinte, wir hätten uns doch gerade erst gesehen, sagte er: „Mais, écoute“, na hör mal! Hier mache man das so.

Unterschiedliche Arten des Händedrucks

Shake Hands: Die Sitten unterscheiden sich je nach Land. Aber auch individuell können die Vorlieben sehr unterschiedlich sein. Vor Jahren besuchte ich den südafrikanischen Musiker Abdullah Ibrahim in seiner derzeitigen Wahlheimat im Chiemgau. Ich reichte ihm die Hand. Er schreckte sanft zurück und hielt mir freundlich eine leicht in meine Richtung gestreckte Faust entgegen. Unsere Knöchel berührten sich sacht. Das war lange vor der Corona-Pandemie. Ibrahim sagte: Als Pianist sei er lieber vorsichtig mit Handschlägen. Die Vorliebe für den Faustgruß ist auch von einer anderen berühmten Person bekannt: Barack Obama.

Den Händedruck: Vermisst man ihn? Manche ja. Denn solch ein Prankengruß sagt ja was aus. Es gibt so viele unterschiedliche Händedrücker. Die Schraubstöcke wie mein Onkel Fritz, den ich meine ganze Kindheit dafür hasste. Die hervorschnellenden Zupacker. Die feuchten Schwämme. Die zaghaft dargebotenen, sensiblen Händchen, zart wie Blütenblätter und vielleicht ebenso empfindlich wie die. Die Nicht-mehr-Loslasser. Die Schnell-Zurückzieher. Die kalten Knochigen. Die warmen Fleischigen, im Winter sehr beliebt. Grüßende Induktionsherde gewissermaßen. Dann die Handgelenk-wie-ein-Seil-Schwinger. Jeder Händedruck erzählt eine Geschichte. Wem man die Hand gegeben hat, den kennt man besser – meint man jedenfalls.

Braucht man den Händedruck?

Doch: Braucht man so viel Kenntnis von jedem Gegenüber? Reicht nicht auch ein sanftes Winken? Und dafür eine Sekunde länger Augenkontakt? Natürlich vermissen viele jetzt die Berührung. Das Umarmen und Abküssen von Leuten, die man etwas besser kennt! Den Ausdruck von Herzlichkeit. Aber hat man das Herz immer in der Hand? Vielleicht tragen es manche auch eher im Gesicht. Oder können es mit freundlichen Worten zeigen. Seit Corona ist mir Pauls Gewohnheit sehr viel näher als die von Jean-Pierre, und ich habe mich sehr mit der sanften Faust von Ibrahim angefreundet. Lasst uns winken, lasst uns einander in die Augen schauen oder sogar mal lächeln. Aber lasst uns – inspiriert von klugen Musikern mit empfindlichen Händen – darüber nachdenken, ob wir das Händeschütteln wirklich brauchen. Ich finde: nein. Es wäre ein kleiner Verzicht mit großer Wirkung, wenn er dazu beiträgt, dieses und andere Viren zu stoppen, Konzertsäle offen zu halten – und Hände lieber zum Klatschen zu nutzen. Und das gern auch kräftig und lange!

Sendung: "Allegro" am 19. November 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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