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Musikergesundheit Leichtigkeit statt Auftrittsangst

Die Musikhochschule Lübeck hat als einzige in Deutschland eine Professur für die Gesundheit von Musizierenden. Daniel Sebastian Scholz erlebt großes Interesse an seinem Fachgebiet und wirbt für weniger Perfektionismus im Klassikbetrieb.

Daniel Sebastian Scholz sitzt mit einer Gitarre in einem Musikstudio und lächelt in die Kamera | Bildquelle: © Patrick Slesiona

Bildquelle: © Patrick Slesiona

BR-KLASSIK: Was sind denn die häufigsten Probleme, Fragen und Sorgen der Studierenden, die zu Ihnen kommen?

Daniel Sebastian Scholz: Also die Eintrittskarte sind ganz häufig körperliche Schmerzen, Schmerzen in den Armen oder in den Händen, aber auch Auftrittsängste, was sehr häufig thematisiert und auch in unserem spezifischen Lampenfieber-Seminar behandelt wird.

BR-KLASSIK: Und Auftrittsangst ist nicht dasselbe wie Lampenfieber, nehme ich an?

Daniel Sebastian Scholz: Nein, von Auftrittsangst sprechen wir dann, wenn das einen krankhaften Wert angenommen hat. Lampenfieber hingegen ist noch dienlich für den Auftritt, es macht den Auftritt noch besser.

Kampf gegen Lampenfieber

Diese fünf Strategien helfen.

Ein Stressfaktor: Zukunftsangst

BR-KLASSIK: Was sind denn Ihrer Meinung nach die häufigsten Faktoren, warum es mit der mentalen Gesundheit in diesem Business bergab gehen kann?

Daniel Sebastian Scholz: Ich glaube, dazu gehören auch frühe Prägungen, aber natürlich sind es schon hauptsächlich die Angst und die Zukunftsaspekte. Das hat uns Corona leider sehr deutlich gezeigt, wie schwierig die Stellung der Musiker:innen, aber auch der Kulturschaffenden im Allgemeinen in solchen Zuständen ist.

BR-KLASSIK: Im letzten Dezember wurde eine Studie veröffentlicht, an der haben Sie auch mitgewirkt, die den Zusammenhang zwischen schwachem Selbstbewusstsein, Auftrittsangst und Depressionen bei Musikerinnen und Musikern untersucht hat. Zu welchem Ergebnis kamen Sie in der Studie?

Stars am Musikhimmel oder brotlose Künstler | Bildquelle: BR Regelmäßige Ausnahmesituationen für Musiker:innen: Auftritte auf der Bühne | Bildquelle: BR Daniel Sebastian Scholz: Das war eine Idee, die kam aus meiner psychotherapeutischen Praxis damals noch in Hannover und ich habe eben beobachtet, unter anderem auch in unserem Lampenfieber Seminar, dass wir bei Studierenden vorhersagen können, dass niedriger Selbstwert und eine Neigung zu Auftrittsangst meistens zu depressiven Symptomen führt. Das heißt: niedriger Selbstwert ist ein ungünstiger Prediktor, dass man Auftrittsängste kriegt und dann eben auch depressiv werden kann.

Perfektionismus ist ganz furchtbar in der Hinsicht
Prof. Daniel Sebastian Scholz

BR-KLASSIK: Und wie gehen Sie denn dann vor mit den Studierenden? Was raten Sie Ihnen? Oder gibt's da sogar richtige Therapien?

Daniel Sebastian Scholz: Ja, es gibt richtige Therapien. Also ich biete hier ganz regelkonforme Psychotherapie an, eine kognitive Verhaltenstherapie, und wir haben eben ein spezielles Lampenfieber-Seminar entwickelt, in dem wir das auch behandeln. In dem die sich immer ihren Ängsten stellen, auftreten müssen und vor allem lernen, ihr eigenes Spiel und ihre eigenen Auftritte positiv zu bewerten.

Weg vom Perfektionismus hin zu mehr Improvisation

BR-KLASSIK: Und was sollte sich Ihrer Meinung nach in Zukunft an der Musizierenden-Ausbildung ändern, um in Hinblick auf mentale Gesundheit vorzubeugen?

Daniel Sebastian Scholz: Weg von totem Perfektionismus und hin zu einem freudvolleren, leichteren und vielleicht auch kreativeren Musizieren. Also ich würde gern Aspekte wie Improvisation und Interaktion mit dem Publikum stärken, weg von ganz korrektem Blattspiel und so weiter. Es sind natürlich technische Voraussetzungen wichtig, aber dem Publikum geht es nicht in erster Linie darum, dass Stücke absolut perfekt und korrekt gespielt werden.

Sehr viele Jahrzehnte wurde zu viel unter den Teppich gekehrt.
Daniel Sebastian Scholz

BR-KLASSIK: Ihre Professur ist einzigartig in Deutschland. Es geht um die mentale Gesundheit der Musizierenden. Wie ist denn da die Resonanz innerhalb anderer Musikhochschulen, aber auch innerhalb ihrer Kolleginnen und Kollegen an der Musikhochschule in Lübeck?

Glastüre mit Noten, Hintergrund Treppe mit Studierende | Bildquelle: BR Musikhochschule Würzburg | Bildquelle: BR Daniel Sebastian Scholz: Also die Resonanz an anderen Musikhochschulen ist toll. Ich war letzte Woche in Berlin an der UdK und in der Woche davor war ich in Osnabrück. Dann war ich letzten Winter auch in Würzburg, das heißt, es gibt ein großes Interesse und eine große Kooperationsbereitschaft von meinen Kolleginnen und Kollegen an den anderen Musikhochschulen, die dort nur Musizierendengesundheit beziehungsweise Musikermedizin unterrichten und anbieten. Und bei den Kolleg:innen treffe ich eigentlich auch auf ein erstaunlich offenes Ohr. An der UdK in Berlin sahen sie einen großen Fortbildungsbedarf. Und auch hier in Lübeck sind alle eigentlich sehr offen. Ich biete auch meine Sprechstunde für Kolleginnen und Kollegen an. Also das heißt, wenn sie psychische Probleme haben oder andere Probleme, zum Beispiel Interaktionsprobleme mit schwierigen Studierenden oder sowas, dann können sie auch zu mir kommen.

BR-KLASSIK: Das heißt, es geht auch wirklich um die Aufdeckung von Tabuthemen. Dass man auch unter Musikmachen leiden kann?

Daniel Sebastian Scholz: Unbedingt. Enttabuisierung ist ein ganz wichtiger Aspekt. Da wurde sehr viele Jahrzehnte zu viel unter den Teppich gekehrt und nicht offen thematisiert.

Sendung: "Leporello" am 15. Mai 2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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