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Kritik - "Angel's Bone" in Augsburg Haus der blutigen Flügel

Diese Engel erwartet nichts Gutes: Die Komponistin Du Yun will mit ihrer Kurzoper an den vielfachen Kindesmissbrauch in armen Ländern erinnern. Zuschauer erwartet ein schockierender Horror-Trip mit großem Orchester – der allerdings insgesamt zu vorhersehbar und kalkuliert wirkt.

Szene aus der Oper "Angel's Bone" in Augsburg | Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr

Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr

Ob der Mensch von Natur aus böse ist, das sei dahingestellt - jedenfalls hält er das Gute schwer aus, vor allem dann, wenn er an der allerhöchsten Moral gemessen wird. Wer kann im Vergleich mit Engeln schon bestehen? Wer ist gänzlich frei von Sünden? Das muss wohl jeder für sich beantworten. Künstler wie der italienische Filmemacher Pier Paolo Pasolini waren jedenfalls der Meinung: Wenn wir auf Engel treffen, also absolut selbstlose, reine Wesen, werden wir automatisch wahnsinnig oder trübselig. Das ist in seinem Film "Teorema" von 1968 zu sehen, und auch Wim Wenders teilte diese Ansicht, wie jeder weiß, der den "Himmel über Berlin" gesehen hat. Engel auf Erden, das geht nicht gut.

Engel im Garten? Die große Chance auf Wohlstand

Szene aus der Oper "Angel's Bone" in Augsburg. | Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr Kein Wunder also, dass auch die in New York lebende chinesische Komponistin Du Yun kein Happy End vorgesehen hat bei ihrer Kurzoper "Angel's Bone", die jetzt am Staatstheater Augsburg europäische Erstaufführung hatte. Da stürzen zwei Engel in den Vorgarten eines Ehepaars, das in der Inszenierung von Antje Schupp, die in Augsburg bereits "Der Konsul" realisiert hat, gerade die Scheidung vorbereitet und entsprechend gereizt ist. Mann und Frau wollen das Haus verkaufen und bejammern jeweils das eigene Schicksal. Aber jetzt, wo die Engel im Garten liegen, eröffnet sich eine große Chance auf Wohlstand.

Ausbeutung: Die Engel verden vorgeführt, ihr Segen vehökert, ihre Körper missbraucht

Schnell werden den überirdischen Wesen die ramponierten Flügel abgerissen und die Beine angekettet, auf dass die wertvolle Ware nicht wieder verschwindet. Was folgt, ist Ausbeutung in jeder Hinsicht. Erst werden die Engel mit viel Tamtam den Gläubigen vorgeführt, dann wird ihr Segen meistbietend verhökert und am Ende dienen sie als Sexsklaven. Womöglich macht das die Besitzer reich, aber gewiss nicht glücklich: Der Mann bringt sich um, die Frau beklagt im Fernsehen ihr Schicksal und lässt sich öffentlich bemitleiden. Die Engel, die hauen irgendwann im günstigen Moment einfach ab, ohne Flügel.

"Angel's Bone": aufwühlend, erschütternd und befremdlich

Szene aus der Oper "Angel's Bone" in Augsburg. | Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr Das alles ist ist keineswegs religiös zu verstehen. Komponistin Du Yun spielt auf den Menschenhandel an, vor allem auf den skandalösen Missbrauch von Kindern im globalen Süden. Da sind die vermeintlichen Engel viel zu oft Lustobjekte. In Augsburg hat Bühnenbildner Christoph Rufer sich am berühmten Isenheimer Altar orientiert, dem Meisterwerk von Matthias Grünewald aus der Renaissance. Da ist der heilige Antonius zu sehen, wie er von allerlei Teufelsgestalten in Versuchung geführt wird. Engel sind seine letzte Rettung. Doch der Altar verwandelt sich hier schnell in eine kalte, neonhelle, seelenlose Showkulisse, in der zahlende Kunden ihren Perversionen frönen. Das ist mal aufwühlend, mal erschütternd, mal befremdlich über die knappen 75 Minuten.

Du Yun will beides: lautstark aufrütteln und Herzen rühren

Du Yun sparte nicht gerade am orchestralen Aufwand, und auch der Chor hat viel zu tun, schließlich sind die Engel für ihre himmlischen Chöre bekannt. Dirigent Ivan Demidov ist für seine Kondition zu beneiden, so strapaziös, wie diese Partitur für seine Schulterpartie sein muss. Unentwegt ist er mit rhythmischer Gymnastik gefragt, weil die Musik stampft und rollt wie ein Tanker im Sturm. Du Yun will beides: Mit Lautstärke aufrütteln und mit grellsten Kontrasten Herzen rühren. Das ist in dieser zeitlichen Konzentration wuchtig, spektakulär, stumpft jedoch leider auch ab, als ob in einem Godzilla-Film ein paar Hochhäuser zu viel einstürzen.

Das Ensemble überzeugt, das Werk wirkt als Schocker zu kalkuliert

Laut Programmheft war das durchaus Absicht, sollte der Abend "provozieren". Mit den abgerissenen Flügeln in Großaufnahme und angedeuteten Missbrauchsszenen ist das fraglos gelungen. Das gesamte Ensemble, darunter Luise von Garnier und Wiard Witholt als Ehepaar und Claudio Zazzaro und Alma Naidu als Engel überzeugte in jeder Hinsicht. Trotzdem bleibt die Frage, was neben dem Schockeffekt der künstlerische Gehalt dieser Oper sein soll. Als Fanal geht das in Ordnung, auch und gerade in der Kürze, als Drama wirkt das Werk zu kalkuliert, zu mechanisch, zu vorhersehbar. Statt Menschen stehen Behauptungen auf der Bühne, Allegorien von Gier und Gewalt, und das konnte der Augsburger Bertolt Brecht irgendwie besser.

 Sendung: "Allegro" am 6. Februar 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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