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Musiker zum Ukraine-Krieg Petrenko: "Ein Messer in den Rücken der ganzen friedlichen Welt"

Entsetzen und Solidarität – nach dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine sind Künstlerinnen und Künstler aus der Ukraine und den angrenzenden Ländern in größter Sorge.

Kirill Petrenko | Bildquelle: Wilfried Hösl

Bildquelle: Wilfried Hösl

Kirill Petrenko und seine Berliner Philharmoniker setzen ein Zeichen zur russischen Invasion der Ukraine: Das Orchester, der Rundfunkchor Berlin, Gustavo Dudamel sowie die Solistinnen Nadine Sierra und Okka von der Damerau werden die Konzerte in dieser Woche mit Gustav Mahlers Zweiter Symphonie den Betroffenen der russischen Angriffe auf die Ukraine widmen. "Der heimtückische und völkerrechtswidrige Angriff Putins auf die Ukraine ist ein Messer in den Rücken der ganzen friedlichen Welt", so Dirigent Petrenko. Für ihn ist es auch ein Angriff auf die Kunst, die bekanntlich über alle Grenzen hinaus verbindet. "Ich bin zutiefst solidarisch mit all meinen ukrainischen Kolleginnen und Kollegen und kann nur hoffen, dass alle Künstlerinnen und Künstler für Freiheit, Souveränität und gegen die Aggression zusammenstehen werden."

Hoffnung bis zuletzt

Die ukrainische Komponistin Anna Korsun wurde in Denezk geboren. Seit gut 10 Jahren lebt sie in Deutschland, wo sie auch studiert hat. Sie ist noch immer im Schockzustand – denn bis zuletzt hat sie gehofft, dass es nicht zum Krieg gegen die Ukraine kommt. Ihre Familie wie auch viele ihrer Freunde leben dort. "Das einzige, was ich machen kann: Jede Stunde meine Mutter anrufen, meine Freunde anrufen, fragen, ob alles in Ordnung ist und dazwischen Nachrichten hören", so Korsun. Dabei sei die Stimmung in der Ukraine erstaunlich ruhig, ohne Panik. Man bleibe Zuhause, höre Nachrichten, kümmere sich umeinander und biete einander Hilfe an. "Ich bin wirklich sehr stolz auf meine Familie und Freunde", fasst Korsun die Lage zusammen.

Die ganze Welt sollte sich jetzt Sorgen machen.
Anna Korsun, Komponistin

Kiew, Hauptstadt der Ukraine am Donnerstag, 24.02.2022: Autos stauen sich, während die Menschen die Stadt Kiew verlassen.  | Bildquelle: dpa-Bildfunk/Emilio Morenatti Ruhe oder Panik? Auf den Straßen Kiews jedenfalls staut sich der Verkehr, viele Menschen flüchten. | Bildquelle: dpa-Bildfunk/Emilio Morenatti Dabei hat Korsun Verständnis, dass die Politik im Westen darauf gesetzt hat, einen Krieg gegen die Ukraine mit diplomatischen Mitteln verhindern zu können. Ein Krieg – "Das erscheint einfach surrealistisch: Wir sind im 21. Jahrhundert," findet Korsun. Wie viele Menschen aus Russlands Nachbarländern im ehemaligen Ost-Block ist sie jedoch der festen Überzeugung: "Nach der Ukraine kommt Putin auch in andere Länder, wenn er so gesund und fit bleibt." Die internationale Gemeinschaft müsse nun alles unternehmen, "ansonsten kommt es zu einem großen Krieg", fürchtet die Musikerin.

Ein Vernichtungskrieg gegen die Ukraine und die ukrainische Kultur

Die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv während des KlickKlack-Interviews. | Bildquelle: BR Bildquelle: BR Die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv hat sich bereits am 24. Februar in einem Interview mit der Deutschen Welle geäußert. Auch sie sieht die Zukunft für die Ukraine pessimistisch. Dabei fordert sie ein entschiedeneres Vorgehen des Westens gegen Putin, der nun sein "wahres Gesicht" zeige, so Lyniv. "Er will einen unabhängigen Staat vernichten, eine Nation mit eigener Kultur, eigenem Alphabet, eigener Sprache und Geschichte, eigenen Künstlerinnen und Künstlern, einer eigenen Identität." Sie sehe die Entwicklung der Ukraine als europäischer Staat, für den man sich 30 Jahre lang seit der Unabhängigkeit eingesetzt habe, akut in Gefahr. Die ganze Welt müsse nun beweisen, was ihr die Lehren von zwei Weltkriegen wert sei.

Gidon Kremer und Semyon Byhchkov: erschüttert und bestürzt

Der lettische Geiger Gidon Kremer, ein erklärter Gegner von Putins Politik, gab BR-KLASSIK am Donnerstag über sein Management zur Auskunft, er sei zutiefst erschüttert von den Vorgängen. Bestürzt äußerte sich auch der aus Russland stammende Dirigent Semjon Bytschkow, Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie: "Die Träger des Todes und der Vernichtung müssen zur Verantwortung gezogen und geächtet werden", teilte der 69-Jährige am Donnerstag laut dpa mit. Man dürfe nicht schweigen, wenn sich die Geschichte wiederhole. Bytschkow erinnerte dabei an die Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands 1956 und den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei 1968.

Haben die Menschen gar nichts gelernt aus den schrecklichen Ereignissen der Vergangenheit?
Camilla Nylund, Sopranistin

Im BR-KLASSIK-Interview äußert auch die finnische Sopranistin Camilla Nylund ihre Sorge angesichts der Entwicklungen in der Ukraine. Tatsächlich sehen seit Beginn der Krim-Krise im Frühjahr 2014 immer mehr Finnen Russland als Bedrohung. So erwägt Finnland neuerdings sogar den NATO-Beitritt. Denn immerhin teilt das skandinavische Land rund 1300 km gemeinsame Grenze mit Russland. Nylund bewegen die Ereignisse sehr: "Es ist natürlich Wahnsinn, dass wir jetzt 2022 schreiben, und es droht Kriegsgefahr in Europa. Es ist verrückt. Da denkt man sich auch: Haben die Menschen gar nichts gelernt aus den schrecklichen Ereignissen der Vergangenheit?"

Rückblick: Solidaritätskonzert für die Ukraine auf dem Majdan mit Lisa Batiashvili

Lisa Batiashvili bei SWEET SPOT TV | Bildquelle: Alescha Birkenholz Lisa Batiashvili spielte 2015 ein Ukraine-Solidaritätskonzert auf dem symbolträchtigen Majdan-Platz in Kiew | Bildquelle: Alescha Birkenholz Schon in der Vergangenheit haben sich im Zusammenhang mit der Annexion der Krim immer wieder Klassik-Stars kritisch gegenüber Putin und seiner Ukraine-Politik geäußert. Auch die georgische Geigerin Lisa Batiashvili ist eine scharfe Kritikerin. Sie positionierte sich klar, als sie bei einem Konzert auf dem Majdan in Kiew auftrat. Der Platz im Herzen der ukrainischen Hauptstadt war Schauplatz der Proteste zwischen November 2013 und Februar 2014, als die Ukrainer friedlich gegen ihren autoritären Präsidenten Janukowitsch und seine anti-europäische und pro-russische Politik demonstrierten – kurz darauf annektierte Russland die Krim. Im Gedenken an diese blutig niedergeschlagenen Proteste, bei denen über 100 Menschen starben, traten Künstler wie Lisa Batiashvili und der Dirigent Kirill Karabits im Sommer 2015 bei einem Klassik-Konzert auf dem Majdan-Platz auf – zu dem symbolträchtigen Datum am 24. August, dem Unabhängigkeitstag der Ukraine.

Ich bin extrem traurig, weil ich durch meine Familiengeschichte mit beiden Ländern verbunden bin.
Vladimir Jurowski, Dirigent

Der russische Dirigent Vladimir Jurowski hat nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine das Programm für zwei Konzerte seines Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin am Wochenende geändert. So wird er neben russischen Werken nun auch die Ukrainische Nationalhymne auf eine Melodie des ukrainischen Komponisten Mychajlo Werbyzkyj (1815-1870) sowie dessen Sinfonische Overtüre Nr. 1 dirigieren – als Zeichen der Solidarität mit dem ukrainischen Volk. Bis zuletzte habe er den Beginn der militärischen Aggression nicht für möglich gehalten, so Jurowski am Donnerstag in einer Mitteilung. "Ich bin zutiefst entrüstet über diese Aktion, aber auch extrem traurig, weil ich durch meine Familiengeschichte mit beiden Ländern verbunden bin."

Jurowski: Kämpfen mit Vernunft und musikalischen Mitteln

Dirigent Vladimir Jurowski. | Bildquelle: Bayerische Staatsoper/Simon Pauly Vladimir Jurowski: überzeugter Pazifist | Bildquelle: Bayerische Staatsoper/Simon Pauly Schon 2021 sprach der überzeugte Pazifist Jurowski im BR-KLASSIK-Interview von einem "Krieg zwischen der Ukraine und Russland". Es sei auch ein Medienkrieg, der da gekämpft werde, so der Dirigent damals. "Die staatlichen Medien sprechen nur in negativen Tönen über die Ukraine und ukrainische Künstler. Aber unter den normalen Bürgern und sogar im Musikbetrieb erklingt die ukrainische Musik nach wie vor. Ich finde, da wo Krieg herrscht, müssten wir Musiker dafür sorgen, dass die Vernunft und die allgemeinen menschlichen Werte nach wie vor die Oberhand gewinnen." So wollte Jurowski 2017 ein Konzert des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov aufführen. Silvestrov gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten Ost-Europas. In den letzten Jahren hat er immer wieder mit "musikalischen Mitteln" für sein Land gekämpft und zahlreiche Chöre, "Majdan-Hymnen" und "Gebete für die Ukraine" komponiert. Für das Konzert damals konnte Jurowski Gidon Kremer überreden, mit ihm gemeinsam in Moskau gemeinsam aufzutreten. Das Werk Silvestrovs wurde laut Jurowski jedoch im letzten Moment ausgetauscht.

Kommentare (3)

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Samstag, 26.Februar, 09:18 Uhr

Ulysses Belz

Die Macht der Musik

Deutlicher und klüger als diese großen Musiker kann man es nicht formulieren. Ihre politischen Stellungnahmen haben Gewicht. Musik gibt Hoffnung, führt in die Freiheit und ist stärker als die stärkste Armee. Ich hoffe, sie können bald in Odessa spielen, in Charkiv und Kiev!

Samstag, 26.Februar, 09:13 Uhr

Helge Thoma

Ugraine

Ich hoffe, dass diese wahnsinnige Entscheidung Herrn Putin, der eindeutig jede Tote Linie überschritten hat irgendwann ( in Bälde)
Das Genick bricht ! Lernen die Menschen nie aus der Geschichte ?

Freitag, 25.Februar, 20:32 Uhr

Beate Schwärzler

Vladimir Jurowski ... und all die andern Musiker

...machen mir Mut und geben mir Kraft, die eigene Schwäche immer wieder zu überwinden und jetzt zumindest zu v e r s u c h e n, hier, im Westen, von Ferne, Widerstand zu leisten.
Danke, Ihr Musikerinnen und Ihr Musiker. Wenn doch mehr Menschen auf Euch hörten...

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