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Kritik - Ballett "Alice im Wunderland" in München Schwereloser Tanz mit dem weißen Kaninchen

Das Bayerische Staatsballett eröffnete die Ballettfestwoche 2017 in München mit einer getanzten Version des Kinderbuch-Klassikers "Alice im Wunderland". Ein Abend, der mit maßgeschneiderter Musik überzeugte und mit Solisten, die mit ihren facettenreichen Leistungen mal an Fred Astaires lässige Steppkünste erinnerten und mal gekonnt die Sprache des klassischen Balletts karikierten.

Szenenbild aus "Alice im Wunderland" mit dem Bayerischen Staatsballett | Bildquelle: © Wilfried Hösl

Bildquelle: © Wilfried Hösl

Eine Gartengesellschaft, ganz auf viktorianisch getrimmt, tänzelt geziert, gestikuliert übertrieben mit spitzen Fingern, nimmt plaudernd an einer Tafel Platz. Ein trotzköpfiges Mädchen wirbelt lieber mit Sprüngen und Pirouetten herum, statt ruhig zu sitzen: Das ist Alice. Einer der Gäste fotografiert sie, vom Blitzlicht steigt eine Rauchwolke auf. Plötzlich schimmert alles bläulich. Zuckend verwandelt sich der Fotograf in ein Kaninchen, mit Stummelschwanz und Janis Joplin-Brille. Ein beherzter Handgriff reicht - schon hat das Tier die protestierende Alice unterm Arm, dass die Spitzenschuhe nur so trommeln. Ab geht die Post ins Kaninchenloch! Auch für den Zuschauer. Eine Videoprojektion auf der Bühne suggeriert eine rasante, schwindelerregende Reise unter die Erde - in eine verrückte Welt, in der alles relativ ist - ob man groß ist oder klein, Mensch, Grinsekatze oder Spielkarte.

Eine Revue mit Metzgerei

Szenenbild aus "Alice im Wunderland" mit dem Bayerischen Staatsballett | Bildquelle: © Wilfried Hösl Eine Metzgerei wie in "Delikatessen" - Bühnenbild zu "Alice im Wunderland" | Bildquelle: © Wilfried Hösl Choreograph Christopher Wheeldon reiht, gleich einer Revue, verschiedene Szenen aus der literarischen Vorlage aneinander. Visuell öffnet er der Publikum die Pforte zu einem Haus, konzipiert als überdimensionales Stickbild. "Home sweet home" ist im Kreuzstich eingearbeitet. Aber von wegen "sweet home". Hier residiert die böse Herzogin, die ihr Ferkelbaby auf einem Schweinethron in den Schlaf schaukelt. Aus einer Maschine quellen Würste, die sich die Köchin mit flinken Drehungen um den Leib schlingt. Man meint, in der Metzgerei des französischen Films "Delikatessen" gelandet zu sein. Die kleine Alice trippelt zunächst vorsichtig, doch ihr Zutrauen wächst. Und damit der Radius ihrer Bewegungen. Bald schon reiht sie sich in den derb-rustikalen Reigen ein. Matej Urban gibt eine herrliche, aber miserabel gelaunte Herzogin.

Nach jedem durchgestandenen Abenteuer, bei den Spielkarten, im Garten der Herzkönigin oder auch im Blumengarten, setzt Choreograph Wheeldon eine ruhigere Episode: einen Pas de deux auf fast leerer Bühne. Oder ein neoklassisch gehaltenes Adagio. Maria Shirinkina als Alice beherrscht diesen Bewegungskanon perfekt, ihre Gestik und Mimik sind sympathisch neugierig. Schwerelos erscheint sie im Pas de deux mit dem Kaninchen und vor allem mit ihrem Herzbuben. Den tanzt Vladimir Shklyarov mit viel verliebter Hingabe und federnder Sprungkraft.



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Musik wie maßgeschneidert

Szenenbild aus "Alice im Wunderland" mit dem Bayerischen Staatsballett | Bildquelle: © Wilfried Hösl Happy End - Alice und ihr Herzbube | Bildquelle: © Wilfried Hösl Besonders gelungen ist die Hutmacher-Szene: Auf einer knallroten historischen Jahrmarktbühne legt Jonah Cook als Hutmacher eine souveräne Steppnummer aufs Parkett. Cool, punktgenau, mit einem strahlenden Lächeln, wie Fred Astaire! Das rhythmische Klappern der Schuhe schwebt über dem mal scharfen, mal butterweichen Klang des Bayerischen Staatsorchesters. Überhaupt die Musik - sie kann fast alles: Mal untermalt sie filmmusikalisch, dann karikiert sie liebevoll mit Harfengeblubber die großen klassischen Ballettmusiken von Tschaikowsky, dann erinnert sie wieder an eine romantische Sinfonie oder auch an minimal music. Joby Talbot hat sie Takt für Takt dem Choreographen zugeliefert. Und davon profitiert das Ballett: Alles ist durchkomponiert, pulsiert vom Schlagzeug, und wenn es spannend wird, grätschen die Blechbläser rein.

Beim großen Showdown im 3. Akt zeigt die verbitterte mordlustige Herzkönigin zum ersten Mal tatsächlich Herz und lässt den Herzbuben von Alice doch nicht köpfen. Viel Applaus gab es an dieser Stelle für Severine Ferrolier - es braucht schon viel Selbstironie, wenn man im Spagat über den Boden robbt und so typisch klassische Ballettfiguren karikiert. Zum Schluss: Happy End für Alice, die nach ihrer Reise durch das Wunderland zur jungen Frau gereift ist, und für ihren Herzbuben.
Viel Szenenapplaus gab es und einen von Jubel begleiteten Schlussapplaus als Dank an die mitunter witzige, stets voller Freude tanzende Compagnie des Bayerischen Staatsballetts.

Ballettfestwoche 2017 - "Alice im Wunderland"

Choreographie: Christopher Wheeldon
Komposition: Joby Talbot, Nicholas Wright

Nationaltheater München
Premeire: 3. April 2017


Weitere Termine und Infos finden Sie unter staatsoper.de.

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