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Krise beim Berliner Staatsballett - ein Kommentar Es mangelt an Respekt

Das Berliner Staatsballett bekommt eine neue Doppelspitze: Sasha Waltz und Johannes Öhman. Doch die Tänzer sind mit dem designierten Intendanten-Team unzufrieden - und protestieren heftig. Für unsere Berliner Kultur-Korrespondentin Maria Ossowski führten mehrere Fehler zu dem Debakel, das längst eine renommierte Institution beschädigt hat. Ein Kommentar.

Staatsballett Berlin bei einer Probe | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Der Konflikt rund um das Staatsballett Berlin berührt drei Ebenen. Alle drei sind vergleichbar mit dem Fall Dercon an der Volksbühne und sollten Kulturpolitiker bundesweit zum Nachdenken bringen, sonst fliegen ihnen ihre Kurswechsel ähnlich medienwirksam um die Ohren wie Kultursenator Müller und Kulturstaatssekretär Renner deren Personalentscheidungen.

Fehlbesetzung oder Aufbruch?

Ebene eins ist die inhaltliche. Eine in erster Linie auf klassisches Ballett ausgerichtete Compagnie braucht dringend einen neuen Chef. Sind eine Tanztheaterheroine, die ihre größten Erfolgen vor 20 Jahren feierte, flankiert von einem Ballettchef der gehobenen Mittelklasse, tatsächlich die beste Lösung für die 90 Mitglieder starke Truppe? Sind die beiden Personalien jenes Protests würdig, der im Moment allen Beteiligten nur schadet? Auf jeden Fall stehen Sasha Waltz und Johannes Öhmann für Aufbruch nach Jahren der Stagnation und der sinkenden Akzeptanz des Balletts und sind somit ein Fortschritt, der zu loben wäre, wenn Ebene zwei und drei diesen Optimismus nicht unmöglich gemacht hätten. 

Politischer Schachzug?

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (li.) stellt die neuen Intendanten des Staatsballetts Berlin, Sasha Waltz und Johannes Öhman, vor.  | Bildquelle: picture-alliance/dpa Bürgermeister Michael Müller mit Sasha Waltz und Johannes Öhman | Bildquelle: picture-alliance/dpa Ebene zwei betrifft die politische Kommunikation. Die Entscheidung platzte in die vom Ende des Wahlkampfes aufgeheizte Stadt und sollte dem Regierenden Bürgermeister in seiner Einheit mit dem Amt des Kultursenators sowie seinem Staatssekretär noch ein paar Sympathiepunkte kulturaffiner Wähler bescheren. Für diesen zu durchsichtigen Coup haben sie das Gebot einer gerade in Kunstkreisen immer wieder geforderten politischen Transparenz gekillt.

Schlechte Kommunikation

Ja, Tim Renner und Michael Müller dürfen allein entscheiden und können nicht  das gesamte Corps de Ballet in die Findung mit einbeziehen, denn Theaterintendanten und Ballettchefs haben bei ihrem Neubeginn das Recht, künstlerisches Personal auszutauschen. Variatio delectat. Aber es gebietet jede Management- und Betriebskultur, das Verfahren offen zu kommunizieren, nach dem Motto: Wir sind unzufrieden mit dem jetzigen Chef, wir wünschen uns eine neue Leitung mit diesen und jenen Fähigkeiten. Diese Aussagen, diese prozessuale Kommunikation fehlten.

Dann der Supergau: Anstatt das Gespräch mit den Künstlern oder ihren Vertretern zu suchen und sie von der Doppelspitze in hartleibigen und teils unangenehmen Diskussionen zu überzeugen, durften diese die Entscheidung aus den Medien erfahren. Solche klärenden Gespräche sind die Mühen der Ebene im Politikerleben, sicher nicht vergnügungssteuerpflichtig, aber die Grundlage allen politischen Handelns. Sie zollen den Betroffenen Respekt, und an dem mangelte es, wobei wir bei Ebene drei wären.

Mangelnder Respekt

Respekt ist das Zauberwort. Er ist im Kulturbereich von besonderer Bedeutung, denn was die wenigsten Kulturkonsumenten wissen: Die ökonomische Lage für Künstler wird immer prekärer. Kein Ballettänzer kann mit seinem Gehalt eine Familie ernähren, das gleiche gilt für nahezu alle Musiker, die nicht in einem Orchester angestellt sind und für Schauspieler ebenso. Die Zeiten großzügiger kommunaler Förderung sind lange vorbei, eine auskömmliche Gage, gar eine Altersversicherung sind nur den großen Stars beschieden. Alle anderen leben nach Jahrzehnten langer, harter Ausbildung und trotz täglichen intensiven Trainings von einem unangemessen lächerlichen Salär.

Finanzielle Sorgen der Tänzer

Maria Ossowski | Bildquelle: picture-alliance/dpa Autorin Maria Ossowski | Bildquelle: picture-alliance/dpa Ständig drohen zudem der Gang zum Arbeitsamt und Hartz IV. Berufsrisiko? Darum geht es nicht. Politiker schmücken sich gern und ausgiebig mit dem Image der Kultur als Standortfaktor. Der Protest der Tänzer und Schauspieler jetzt ist auch das Ergebnis eines jahrzehntelangen Missverhältnisses zwischen jenem beschworenen Standortfaktor und katastrophaler Bezahlung. Wenn dann noch Kommunikation und Respekt fehlen, folgt auf die Trias schludrigen politischen Handelns jener Proteststurm, der in der Kulturszene sicher nicht der letzte sein wird.

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