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Sie wird zur Erzählerin ihrer Epoche: Catharina Dorothea Bach, älteste Tochter von Johann Sebastian Bach. Autorin Angela Steidele blickt durch ihre Augen auf das kulturelle Leben Leipzigs im Zeitalter der Aufklärung. Mit ihrem Roman hat sie es nun auf die Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse geschafft.

Bildquelle: Insel Verlag

Buchtipp

"Aufklärung" von Angela Steidele

Im Herbst 1734 begegnen sich Catharina Dorothea Bach und Luise Gottsched erstmals im Zimmermannischen Kaffeehaus in Leipzig. Dort hat Johann Sebastian Bachs älteste Tochter aus erster Ehe gemeinsam mit ihrer hochmusikalischen Stiefmutter Anna Magdalena als Solistin die "Kaffeekantate" gesungen. Zwischen Dorothea und Luise Adelgunde Gottsched beginnt eine Freundschaft, die bis zum Tod der berühmten "Gottschedin" 1762 halten wird. Und diese steht im Mittelpunkt des Romans "Aufklärung" von Angela Steidele. Über das literarische Denkmal des einflussreichen deutschen Sprachforschers und Literaturtheoretikers Johann Christoph Gottsched für seine jüngere verstorbene Gattin ist Dorothea empört:

"Ich habe mich halt so über die Biographie Luises geärgert, die der Professor veröffentlicht hat.(...) Immerhin schreibt er, dass Luise mehr geleistet hat, als von irgendeinem anderen Frauenzimmer in Deutschland zu erwarten gestanden. Ihre vielen Bücher zählt er aber nur auf. Was drin steht, erfährt man nicht. Vor allem lobt sich der Professor selbst dafür, sich eine Gehülfinn aus ihr bereitet zu haben."

Dorotheas Entsetzen ist berechtigt, denn die Gottschedin war als herausragende Persönlichkeit ihrer Zeit ihrem Mann ebenbürtig.

Angela Streidele macht Bach-Tochter zur Erzählerin

Über die 1708 geborene Bach-Tochter Dorothea ist kaum etwas bekannt. Zeitlebens war sie unverheiratet und hat sich nach dem Tod ihres Vaters und dem ihrer Stiefmutter Anna Magdalena Bach um ihre jüngeren Geschwister gekümmert. Mit 54 Jahren ist sie gestorben. In ihrem Roman "Aufklärung" macht Angela Steidele sie als Erzählerin zur Protagonistin, und so wird die "Jungfer Bachin" zur Chronistin um die Leipziger Intellektuellenszene jener Epoche. Sie berichtet über das Lob Bachs auf die Librettistin zu seinem Weihnachtsoratorium.

"Sie hat die Chöre dazuerfunden, weil die Pauken und die Trompeten nicht mehr im Text selber vorkommen, sondern nur noch im Orchester. Aber so ist das Gotteslob durch Musik doch wieder drin."
"Die hat's ja faustdick hinter den Ohren."
"Ich finde, das kann so bleiben."

Doch wer ist "sie", die da vom Meister Bach als Textdichterin so hoch geschätzt  wird?

„Wenn Winkler oder Ludwig das Libretto geschrieben hätten, wäre ihr Name selbstverständlich auf dem Titelblatt des Textheftes genannt worden. (…) Es ist doch ganz und gar rätselhaft, warum aber ausgerechnet der Dichter des Weihnachtsoratoriums verschwiegen wird. Und warum? Weil eine Frau den Text geschrieben hat, und zwar Luise Gottschedin."

Auch wenn dies im Roman so überzeugend dargelegt wird: bis heute weiß niemand, wer den Text für Bachs Weihnachtsoratorium wirklich geschrieben hat. Die Spur zur Gottschedin ist Fiktion. Doch die geschickte Vermischung von Historischem, Dichtung und Wahrheit, teils in eine heutige Sprache gepackt, gelingt Angela Steidele wunderbar. Sie schreibt mit Liebe zum Detail, intelligent und humorvoll.

Parallelen zum heutigen Europa

Steidele umreißt in ihrem Buch "Aufklärung" aus weiblicher Perspektive die Themen Musik-, Theater-, Sprach-, Religions- und Wissenschaftstheorie, Linguistik, Mathematik, Physik und Politik einer Epoche, die ihre Bedeutung bereits vorausahnte. Kurz schien es möglich, dass Frauen und Männer die Welt gemeinsam zur Vernunft bringen. Doch die Herrschaftsverhältnisse sprechen dagegen. So bescheren die Launen des preußischen Königs Friedrich II. den deutschen Landen eine dunkle Zeit. Aus Habgier lässt er 1745 Sachsen überfallen und Leipzig ausplündern. Für die Bach-Familie ein Alptraum! Die Parallelen zum heutigen Europa hat Angela Steidele im letzten Teil des Romans hervorgehoben. Das 603 Seiten starke Buch ist eine unterhaltsame und aufklärende Lektüre.

Sendung: "Allegro" am 4. Januar 2023, ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK