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Kritik – Janáčeks Oper "Die Sache Makropulos" in Berlin Der Traum vom ewigen Leben

Als die vorletzte Oper Leoš Janáčeks am 18. Dezember 1926 in Brünn auf die Bühne kam, handelte es sich um eine Gegenwartskomödie, der Janáček eine existenzielle Ebene hinzufügte. Es geht um die Flucht vor dem Tod, ob ein endloses irdisches Leben überhaupt erstrebenswert ist und natürlich um die Liebe. Das vertrackte Stück haben nun der Regisseur Claus Guth und der Dirigent Sir Simon Rattle gemeinsam in der Berliner Staatsoper auf die Bühne gebracht.

Die Sache Makropulos | Bildquelle: Monika Rittershaus

Bildquelle: Monika Rittershaus

Die geheimnisvolle Operndiva Emilia Marty mischt sich in einen verworrenen Erbschaftsprozess ein, steuert verblüffende Details aus der Vergangenheit bei. Das kann eigentlich nur wissen, wer schon vor hundert Jahren lebte, aber Emilia Marty wirkt viel jünger. Kein Wunder, denn ihr Vater gab ihr vor über dreihundert einen lebensverlängernden Trank, dessen Wirkung nun nachlässt. Deshalb braucht sie die Formel, die titelgebende "Sache Makropulos" aus Leoš Janáčeks letzter Oper.

Rhythmusbetont: Simon Rattle dirigiert die Berliner Staatskapelle

Wie ein Schweizer Uhrwerk lässt Simon Rattle die Berliner Staatskapelle das überwältigende Vorspiel zur Oper "Die Sache Makropulos" musizieren. Schnell, bedrohlich, die Blechbläserfanfaren aus der Zeit Kaiser Rudolfs II. schmettern dazu aus der Seitenloge. Sie erinnern an jene Zeit, in der die Geschichte von Emilia Marty begann. Die über dreihundertjährige, geheimnisvolle Operndiva hält sich in einem weißen Laborraum auf, kommt aus dem Nebel, in dem sie sich zwischen den drei Akten aber nicht etwa verjüngt, sondern merklich altert, sich mit größter Mühe erneut verkleidet und in eine andere Rolle schlüpft.

Surreal-komisches Geschehen auf der Bühne

Rechts und links davon hat Bühnenbildner Étienne Pluss die hyperrealistischen Spielflächen der verkappten Komödie bauen lassen: Eine verwinkelte Anwaltskanzlei, den Garderobengang eines Theaters und einen Hotelflur. In einer surreal-exakten Choreographie tanzen Kanzleiangestellten durch das Registraturlabyrinth, öffnen und schließen sinnlos die Karteifächer. Hotelangestellte purzeln schließlich im dritten Akt grotesk verrenkt aus dem Aufzug, straucheln mit dem Servierwagen. Alles gerät aus den Fugen – oder scheint es nur Emilia Marty so und wir schauen mit ihrem Blick auf die Welt?

Starkes Ensemble

Die Sache Makropulos | Bildquelle: Monika Rittershaus Marlis Petersen als Emilia Marty und Ludovit Ludha in der Rolle des Albert Gregor. | Bildquelle: Monika Rittershaus Marlis Petersen in der Rolle der Emilia Marty ist die zwischen Sehnsucht und Zynismus, Überdruss und Lebensgier schwankende Frau, ebenso so stilsicher im großen Divenauftritt wie im wendigen Konversationston. Regisseur Claus Guth schreckt auch nicht vor den Mitteln der Türen- und Slapstickkomödie zurück, betont elegant und witzig die Herkunft des Stoffs vom Boulevardtheater. Ganz plötzlich kippt aber der Ton ins Tragische, wenn etwa Bo Skovhus den leicht schmierigen Lustmolch Jaroslav Prus mit leicht forcierter Grandezza gibt oder Jan Jezek einen bemitleidenswerten Grafen Hauk-Šendorf, der als Greis seiner nicht gealterten Jugendliebe unverhofft wiederbegegnet.

Großartig: Marlis Petersen als Operndiva

Bis in die kleinsten Rollen ist der Abend grandios besetzt. Natalia Skrycka gibt der jungen Opernsängerin Krista lyrische Wärme bis zum Entschluss, ganz bewusst auf die lebensverlängernde Formel zu verzichten. Zentrum diese starken Ensembles ist aber unbestritten Marlis Petersen, die in der vertrackten Partie leuchtende Melodiebögen der puren Verzweiflung findet. Endlich ist die Partie mal richtig besetzt mit einer jungen, attraktiven Frau, der die Männer nachvollziehbar zu Füßen liegen, wenn sie es denn zulässt.

Tod oder Ewigkeit?

Simon Rattle lässt die Berliner Staatskapelle dazu frostig gleißen, immer verblüffend präzise, mal auftrumpfend, dann wieder sanft bebend, immer sehr rhythmusbetont. Wenn Janáčeks Komposition gegen Ende ruhiger und einfacher wird, kommt ein Hauch von Wärme hinzu. Die überragende Marlis Petersen stirbt schließlich als greise Emilia Marty. Oder geht in einen anderen Raum, ins Licht, vielleicht ins Nichts. Diese poetische Offenheit ist die größte Stärke des gesamten Abends.

Sendung: "Leporello" am 14. Februar 2022 ab 16:05 Uhr af BR-KLASSIK

Kommentare (2)

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Samstag, 19.Februar, 12:09 Uhr

Julia

"Endlich mal richtig besetzt" - mansplaining

Als ich den Satz "Endlich ist die Partie mal richtig besetzt mit einer jungen, attraktiven Frau, der die Männer nachvollziehbar zu Füßen liegen" las, dachte ich, "diese Kritik kann nur ein Mann geschrieben haben". Nachdem ich die Oper am Mittwoch gesehen habe, regte mich dieser Kommentar noch mehr auf. Hat der Autor die Oper überhaupt gesehen, wo es um das Dilemma des ewig Jungssein geht, wo die Jugend und Schönheit der Protagonistin total bedeutungslos ist, wo die Männer, die ihr tatsächlich zu Füße liegen, jegliche Charaktertiefe verlieren und als oberflächliche (patriarchische) Männer dargestellt werden? In der jetzigen Zeit, in der MeToo Debatten und Feminismen den Alltag prägen, kann ich einen solchen Satz nicht nachvollziehen. Zudem die Sängerin mit ihren 54 Jahren auch nicht die Jüngste ist. Aber das hat ja nichts zu bedeuten. Die Partie war hervorragend besetzt.

Donnerstag, 17.Februar, 00:02 Uhr

Georg

"richtig besetzt mit einer jung-attraktiven Frau"

Es stellt sich auch für mich als männlichen Leser (dieser ansonst sehr akkuraten Kritik) die Frage, warum es wichtig ist und eine Operrolle erst dann "richtig besetzt wurde", wenn die Darstellerin jung und attraktiv ist. Hier bringt der Autor Uwe Friedrich doch Berufliches und Privates durcheinander

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