BR-KLASSIK

Inhalt

Projekt Digitale Bühne Der Traum vom gemeinsamen Online-Musizieren

Wegen Corona sind gemeinsame Musik-Proben derzeit nicht möglich. Videokonferenzen sind keine Lösung – die Programme eignen sich nicht. Helfen möchte das Projekt "Digital Stage". Es will eine digitale Bühne für gemeinsame Proben und Aufführungen von Musik und Theater erschaffen. Dazu entwickelt das ehrenamtliche Team entsprechende Lösungen. Das Projekt ist für die Nutzer kostenlos.

Digital Stage - Musizieren online | Bildquelle: digital-stage.org

Bildquelle: digital-stage.org

Die Corona-Pandemie zwingt uns dazu, digitale Lösungen zu finden. Beim Musizieren ist das nicht so einfach. Wegen der Abstandsregeln machen viele alleine Musik, aber gemeinsam zu spielen ist nicht oder nur begrenz möglich. Und auch eine funktionierend Online-Variante für das musikalische Miteinander fehlt noch, aber wohl nicht mehr lange: Momentan wird eine "Digitale Bühne" entwickelt. Sie soll für jedermann nutzbar sein und besser zum Musizieren geeignet als Zoom und Co.

Idee wurde auf Hackathon entwickelt

Die Idee entstand bei einem so genannten Hackathon. Bei diesem Netzevent – initiiert von der Bundesregierung – trafen sich Menschen per Computer in einem digitalen Raum, um unter dem Motto #wirvsvirus Ideen zu entwickeln, wie sich Probleme im Corona-Alltag lösen lassen. Neben vielen anderen Bereichen ging es auch um Ideen für gemeinsames Musizieren.

Die Probleme: Zoom und ander Videokonferenzen sind ungeeignet

In klassischen Videokonferenzen geht es darum, dass mehrere Menschen nacheinander sprechen können. Das soll auf die Teilnehmer möglichst natürlich wirken. Daraus ergeben sich folgende Probleme für die Musik:
1. Damit der Ton möglichst schnell ist und möglichst wenig Daten "frisst", wird der Ton komprimiert. Diese Audiokompression ist so angepasst, dass Sprache gut klingt, Musik aber nicht.
2. Um Störgeräusche, wie Tastaturklappern oder Husten auszublenden, sind die meisten Programme so eingestellt, dass die meisten Nutzer stummgeschaltet werden. Kurz: Der Lauteste gewinnt. Im Gespräch vielleicht sinnvoll, beim Musizieren sicher nicht.
3. Für den natürlichen Eindruck ist Lippensynchronität wichtig. Da das Video aber in der Übertragung länger braucht als die Audiospur, wird die Übertragungsgeschwindigkeit des Tons an die des Videos angepasst. Man nimmt also Verzögerungen, die so genannte Latenz, in Kauf. Bei der Sprache kein Problem – wenn man im gleichen Takt musizieren will, untragbar.

Ziel: Überwindung der Latenz

Digital Stage - Musizieren online | Bildquelle: digital-stage.org Bildquelle: digital-stage.org Verzögerung verursacht nicht nur der Versuch, Bild und Ton zu synchronisieren. Der Ton, der von einem Nutzer zum anderen geht, muss einen langen Weg über verschiedene Schnittstellen durchlaufen: vom Mikrofon über einen Converter, der den gespielten Ton in ein digitales Signal umsetzt, über die Firewalls, die Netzwerkverbindung selbst, ... – und im empfangenden Rechner wieder dasselbe. Bis zur Umwandlung des Signals zurück in den Ton zeigen die Macher von Digital Stage auf ihrer Website 15 verschiedene Glieder in der Kette – und alle zusammen verursachen Verzögerungen von bis zu fünf oder sogar zehn Sekunden. Es geht also darum, in möglichst vielen Gliedern die Latenzen zu minimieren, und zwar so, dass sie weniger als fünfzig Millisekunden betragen.

Lösung 1: Verbesserte Software + Interface

Eine Idee, wie das funktionieren könnte, liefert das Programm "Soundjack". Es wurde von der Universität Anhalt entwickelt und schafft es bereits, mehrere User verzögerungsarm zusammenzubringen. Um die Verzögerungen zu verringern, helfen das gute alte LAN-Kabel (W-LAN macht langsam) und sogenannte Interfaces, also zum Beispiel externe Soundkarten, die dem Rechner quasi Arbeit abnehmen. Das Problem: Wer Soundjack derzeit nutzen will, muss sich momentan noch echt gut mit Computern auskennen. Man muss wissen, wie man eine Soundkarte konfiguriert und wie man eine Portweiterleitung in seinem Router herstellt. Das alles will die Digital Stage viel einfacher machen.

Wir arbeiten daran, dass die Software in Zukunft selbst die Installation für den Benutzer erledigt und für alle einfach zu bedienen ist.
Julian Klein, Initiator von Digital Stage

Um herauszufinden, was die User brauchen, führt Digital Stage derzeit umfassende Tests durch, unter anderem mit dem Berliner Ensemble "a rose is", mehreren Hochschulen und dem deutschen Chorverband. Wer mittesten will, kann sich auf der Website melden.

Lösung 2: Eine schnelle, intelligente, musikalische Box mit virtuellem Mischpult

Symonics GmbH, eine Partnerfirma von Digital Stage, hat eine Box entwickelt, die ohne Computer direkt an ein Internetkabel angeschlossen wird. Über einen Bildschirm sieht man seine Musikpartner – und gut hören soll man sie auch können. Die Box soll schneller als ein PC sein und vor allem musikalisch-intelligent, denn sie verfügt über ein "virtuelles Mischpult". Und das geht so: Wenn in einem zusammengeschalteten Orchester der Ton aller einzelnen Mitglieder zu allen anderen einzelnen Mitgliedern geschickt werden müsste, würde das sehr viel Datenverkehr verursachen. Das virtuelle Mischpult liefert intelligent und nach den individuellen Bedürfnissen des jeweiligen Ensembles einen Zusammenklang an alle – und nur einzelne Musiker, die sich direkt hören müssen, werden auch direkt miteinander verbunden. Das spart Daten – und Zeit.

Die Solo-Flöte muss die Solo-Oboe hören – oder die Solo-Geige ihre Stimmführerin. Alle anderen werden über das virtuelle Mischpult geliefert. Je nach Bedürfnis des Ensembles
. Julian Klein, Initiator von Digital Stage

Außerdem trennt die Box im Gegensatz zu konventionellen Videokonferenzen Audio und Video. Beides lässt sich individuell einstellen – so werden Daten und Zeit gespart. In einem Chor etwa muss die Dirigentin alle Singenden hören, aber nicht sehen, ihr Video kann also verzögert sein. Die Singenden müssen sie pünktlich sehen, der Ton der anderen Stimmen könnte vom virtuellen Mischpult kommen.

Der Prototyp der Box schafft es im derzeitigen Entwicklungsstadium, fünf musizierende Menschen mit weniger als fünfzig Millisekunden Latenz zu verbinden. Wenn sie auf den Markt kommt, wird sie 270 Euro kosten und daher vor allem etwas für Profis sein.

Lösung 3: Simpel ohne Zusatztechnik online musizieren – die kostenlose Browserversion

In Zukunft soll es so einfach wie möglich sein, über das Internet zu musizieren – ähnlich wie eine Zoom- oder Skype-Konferenz für Gespräche. Die Idee: einfach auf die Webseite gehen und dort eine Konferenz öffnen. Kostenlos, ohne Interface, ohne Netzwerkkabel, vielleicht sogar vom Handy aus. Damit dieser Traum wahr wird, versucht Digital Stage neben der in den anderen Versionen erprobten Möglichkeiten (digitales Mischpult, Audio-Videotrennung), die Verzögerung durch einen weiteren Trick zu eliminieren. Latenz entsteht nämlich auch dadurch, dass man einfach zu weit weg vom Server ist – je weiter, desto länger braucht das Signal. Digital Stage plant ein Netz aus nahen, regionalen Servern aufzubauen, um die Übertragungsstrecke zum Server zu verringern.

Unser Ziel ist es, die digitale Bühne zu schaffen, dass die Leute in Kontakt kommen, online proben und sogar Aufführungen machen können
Katharina Grossardt, Musikerin und Initiatorin von Digital Stage

Die Browserversion geht nun online – sie wird nun mit dem Landesjugendensemble Neue Musik Berlin getestet.

Unterstützung gesucht

Das ganze Team von Digital Stage, ob aus den Bereichen Software-Entwicklung, musikalische Tests, Organisation, Netzwerken oder Fundraising, arbeitet seit März ehrenamtlich – und daher noch nicht in Vollzeit. Um das zu ermöglichen, werden Spenden gesammelt; willkommen ist aber auch tatkräftige Unterstützung.

Sendung: "Leporello" am 10. Juni 2020 ab 16.05 Uhr in BR-KLASSIK

Kommentare (4)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.

Freitag, 12.Juni, 15:09 Uhr

Beatrice Bergér Gee

Tatkräftige Unterstützung

Hallo, ich lebe aktuell im dem USA unterrichte aber schon länger international online. Seit März nutze ich voicelessons.com der Entwickler/ Programmierer Musiker Mike Elson hat da super Module entwickelt und. Ständig am entwickeln um Wartezeiten und vieles mehr zu überwinden und das gemeinsame musizieren möglich zu machen. Ihn solltet ihr unbedingt kontaktieren. MIKE@Voicelessons.com
Liebe Grüße, Beatroce

Freitag, 12.Juni, 10:38 Uhr

BR-KLASSIK

Aktuelle Informationen

Liebe Leserinnen und Leser,

aktuelle Informationen zum Projekt finden Sie immer auf deren Homepage: https://digital-stage.org/ und sicher in Zukunft auch wieder auf br-klassik.de

Viele Grüße
Ihr BR-KLASSIK-Team (heo)

Freitag, 12.Juni, 08:37 Uhr

Robert Ransburg

Digital stage

Eine gute Idee, die vielleicht die Welt der klassischen Musik revolutionieren wird. So könnte man z.B., trotz gebrochenem Bein von zu Hause aus bei den Orchesterproben mitmachen. Ob das jeder will, bleibt offen :-)

Freitag, 12.Juni, 08:20 Uhr

Barbara Bartsch

Wie gehts weiter?

Wie kann ich auf dem Laufenden bleiben, wie weit die Entwicklung ist?

    AV-Player