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Kritik: Donizettis "Liebestrank" am Staatstheater Nürnberg Herzen in der Dating-Hölle

Früher ritzten Verliebte Buchstaben in Bäume, heute tippen sie Emoticons ins Handy. Was erfolgsversprechender ist für eine dauerhafte Beziehung? Offenbar die altmodische Variante, meint jedenfalls Regisseurin Ilaria Lanzino in ihrer Neuinszenierung von Donizettis "Liebestrank". Das Publikum stimmte zu.

Donizettis Liebestrank in Nürnberg | Bildquelle: Bettina Stöß/Staatstheater Nürnberg

Bildquelle: Bettina Stöß/Staatstheater Nürnberg

Kann ja sein, dass früher alles romantischer war, herzergreifender und irgendwie übersichtlicher, aber wenn es um die Liebe geht, haben die Dating-Portale immerhin einen unbestreitbaren Vorteil: Dort ist Zuneigung messbar. Egal, ob Follower, Herzchen, Visits oder Likes: Jeder Klick ein Treffer, und wer sich drauf versteht, kann damit bekanntlich richtig Geld verdienen.

Loblied auf die Vergangenheit

Nicht die Sache der aus dem italienischen Pisa stammenden Regisseurin Ilaria Lanzino: Sie hat offenbar im Netz keine guten Erfahrungen gemacht mit dem Kennenlernen oder unter der Dorflinde ganz besonders nachhaltige, denn für sie steht fest: In der Dating-Hölle sind Herzen schneller verpixelt als verliebt. Und so singt sie das Loblied auf die Vergangenheit, als erste Küsse noch im Gebüsch ausgetauscht wurden statt vor der Weltöffentlichkeit.

Donizettis "Liebestrank" in Nürnberg | Bildquelle: Bettina Stöß/Staatstheater Nürnberg Wie im Märchen: Adina und Nemorino | Bildquelle: Bettina Stöß/Staatstheater Nürnberg Der titelgebende Liebestrank von Gaetano Donizettis Belcanto-Oper, das Mittel, das die Liebe erzwingen soll, ist also in der Inszenierung am Nürnberger Staatstheater kein Wässerchen vom Quacksalber, sondern eine Software vom Online-Profi, mit dessen Portal "Elisir" soll jeder eine Chance haben auf schnelle Zweisamkeit. Was die arglosen Dorfbewohner dabei vergessen: Sobald sie ihr Smartphone zur Hand nehmen und sich einloggen, werden sie allesamt zu hysterischen Karikaturen ihrer selbst, die sich ausschließlich an ihren Usern orientieren.

Sieg der Poesie über die Technik

Klar, klingt alles ziemlich konservativ und rückwärtsgewandt, fast schon reaktionär, denn Ilaria Lanzino lässt den bösen Dating-Zauberer am Ende tatsächlich zur Hölle fahren und die Heile Welt von vorgestern wieder aufleben, als ob das ein Weg sein könnte, Ordnung hineinzubringen in die emotionale Unübersichtlichkeit der Gegenwart. Es war wohl als Sieg der Poesie über die Technik gemeint, als Triumph der Aufrichtigkeit über den Fake-Wahnsinn. Aber ob es hilft, wenn wir alle unsere Botschaften wieder in Bäume ritzen?

Ausstatterin Emine Güner führte das Publikum mit ihrem Alpenkitsch zunächst in Irre, schnell wandelte sich die Szene ins Virtuelle: Ein Neonröhren-Gestänge, immer wieder großformatige Handy-Bildschirme, und der kernige Belcore, der bei Donizetti Soldat ist, wird zum martialischen Ballerspiel-Gamer. Unterhaltsam war das alles durchaus, aber auch etwas fahrig und vorhersehbar. Überraschungen blieben aus.

"Bösewichte" retteten den Abend

Donizettis "Liebestrank" in Nürnberg | Bildquelle: Bettina Stöß/Staatstheater Nürnberg Männerduell: Nemorino und Belcore | Bildquelle: Bettina Stöß/Staatstheater Nürnberg Liebestrank-Erfinder Dulcamara stand gleich doppelt auf der Bühne: Einmal als schrulliges und knuddeliges Faktotum von anno dazumal, einmal in der Online-Version als diabolischer Fürst der World-Wide-Finsternis. Es waren die "Bösewichte", die diesen Abend retteten: Samuel Hasselhorn als gerissenes Mannsbild Belcore und Taras Konoshchenko als durchtriebener Online-Dulcamara. Stimmlich überzeugten auch Andromahi Raptis als Adina und Sergei Nikoalev als Nemorino, doch schauspielerisch blieben beide etwas farblos, was wohl an der allzu angestrengten Inszenierung lag. Besonders ironisch war sie nicht, was sich bei Donizetti doch anbietet.

Dirigent Roland Böer sorgte allerdings für forsches Tempo und einen Belcanto-Sound, der schon nah am Swing war, so rhythmisch angeraut, wie er sich anhörte. Der Chor schien mit seiner Rolle etwas zu fremdeln, musste er doch stets aufgeregt als Avatar-Herde über die Bühne galoppieren, was stellenweise zur Schnappatmung führte. Die seltsamen Trockenhauben, unter denen die Damen unterwegs waren, trugen auch nicht gerade zur optischen Beruhigung bei. Ziemlich aufreibend, die Liebe und ihr Kummer. Aber ob beides früher wirklich unkomplizierter war? Fragen Sie mal die Linde, am Brunnen vor dem Tore.

Sendung: "Allegro" am 09. Mai 2022 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK.

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