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Kritik - "Elektra" an der Staatsoper Berlin Wahnsinnig, hysterisch, fragil, vollkommen

Es war die letzte Inszenierung des verstorbenen Starregisseurs Patrice Chéreau. Mit Richard Strauss' "Elektra" gelang dem Franzosen ein Meilenstein der Opernregie. Die Produktion von 2013 ist am Sonntag an der Berliner Staatsoper mit Daniel Barenboim am Pult stürmisch gefeiert worden.

Szenenbild von Patrice Chéreaus "Elektra" an der Staatsoper Berlin | Bildquelle: © Monika Rittershaus

Bildquelle: © Monika Rittershaus

Familientragödie ist noch harmlos ausgedrückt. Dem ganzen Stamm der Atriden sind die Götter richtig böse, Verbannung und Mord gehören bei dieser Sippe zum Tagesgeschäft. Elektra ist die Tochter von Agamemnon und Klytemnestra. Diese Klytämnestra hat einen Liebhaber, beide ermorden Vater Agamemnon im Bade. Die Tochter will ihn rächen.

"Game of Thrones" ist nichts dagegen

Was will uns die alte Griechengeschichte heute noch sagen, wird sich mancher Opernhasser fragen. Er oder sie sollen einfach eine Karte kaufen und eine der faszinierendsten Produktionen dieser Spielzeit anschauen. "House of Cards" oder "Game of Thrones" sind ein müder Abklatsch dessen, was der 2013 verstorbene französische Starregisseur Patrice Chéreau hier an Spannung, Seelenqual und Tiefenpsychologie begriffen und fragmentarisch in Szene gesetzt hat. Bis Elektras Bruder Orest schließlich Mutter und Lover ermordet, rast und fleht und gurrt und jammert Elektra sich durch die Story und reißt jeden mit, der ihr verfällt.

Sängerwürde auf höchstem Niveau

Der Clou ist die Besetzung. Die Staatsoper, dafür ist sie gar nicht genug zu preisen, verweigert sich nämlich dem verzweifelten Jugendwahn vieler anderer Bühnen. Schon bei den Meistersingern mit den uralten Meistern oder mit Regisseuren wie Dieter Dorn und Harry Kupfer pfeift sie auf angeblich frische junge, in Wahrheit aber überangepasste effekthaschende Mätzchen. Hier herrscht Sängerwürde auf höchstem künstlerischen Niveau. Bis in die fünfte Magd hinein sind alle Rollen hochkarätig besetzt, allen voran Waltraud Meier als Klytämnestra, Cheryl Studer als Vertraute, Michael Volle als Orest und der 92-jährige Franz Mazura als Pfleger des Orest.

Nur der Tod bleibt

Vollkommen jedoch, wahnsinnig, hysterisch, fragil, mädchenhaft und nie besser zu hören ist Evelyn Herlitzius als Elektra. In einem strengen Bühnenbild - in grau und braun gehalten - mit einem maurischen Bogen, zwei Türen und einer Treppe verkörpert diese kleine, zarte, schmale Gestalt mit ihrem dramatischen Sopran alle Einsamkeit und Verzweiflung des vernachlässigten Kindes. Der ermordete Vater ist eine Illusion, die Rache nur ein Sehnsuchtspunkt. Als der Bruder Orest schließlich auftaucht, die Ehebrecher ermordet und Elektras Wünsche Wahrheit werden, bleibt ihr nichts mehr. Nur der Tod.

Elektra, 1909 in Dresden uraufgeführt, fasziniert noch immer. Daniel Barenboim leitet die über 100 Musiker starke Staatskapelle dynamisch, dramatisch und sängerschonend. Einen erschütternderen, grandioseren Opernabend hat es in Berlin lange nicht gegeben.

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