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Kritik – Gounods "Faust – Margarethe" in Augsburg Frauenpower statt Verdammnis

Das Schicksal von Margarethe spielt in der Faust-Vertonung von Charles Gounod eine große Rolle. Darum wurde die 1859 in Paris uraufgeführte Oper in Deutschland auch zunächst unter dem Titel "Margarethe" gespielt. Trotz der Abweichungen von Goethes Dichtung wurde Gounods "Faust" auch in Deutschland ein Publikumserfolg und reißt bis heute das Publikum durch seine romantische Tonsprache mit. Am Staatstheater Augsburg ist eine Neuproduktion der Oper herausgekommen, und zwar ganz bewusst unter dem Titel "Faust- Margarethe".

Szene aus "Faust – Margarethe" am Staatstheater Augsburg | Bildquelle: Jan Pieter Fuhr

Bildquelle: Jan Pieter Fuhr

Puristisch und nüchtern präsentiert sich die Bühne des Augsburger Staatstheaters im Martini-Park zu den düster und episch sich aufbäumenden Anfangsakkorden aus dem Orchestergraben. Ein starker Kontrast, der sich fortsetzt, wenn sowohl Faust als auch Mephisto und der Herrenchor im schwarzen Frack den weißen, leeren Raum von Wolf Gutjahr bevölkern. Sparsam und umso wirkungsvoller setzen Regisseur Jochen Biganzoli und seine Ausstatten Katharina Weissenborn mehr und mehr Farbtupfer auf die Szene.

Margarethe als Anziehpüppchen

Knallrote Tücher und Negligées symbolisieren Männerphantasien, Mephisto liest den Faust aus dem gelben Reclamheft. Und Margarethe wird wie ein Anziehpüppchen von der schwarz gewandeten Musikerin zum käuflichen Lustobjekt mit Goldperücke und für Faust zum Dirndl-tragenden Gretchen mit Blondzöpfen. All das lässt Sopranistin Jihyun Cecilia Lee schweigend mit sich geschehen. Den Rest des Abends trägt sie ohnehin Jeans und Pulli und wird dann auch nicht mehr schweigen. In den ersten drei Bildern der Oper singen vor allem die Männer – und das ausgezeichnet: Alejandro Marco-Buhrmester als eleganter und darum so gefährlicher Méphistophélès und Jacques le Roux als vor Kraft strotzender, nach Jugend verlangender Faust.

Augsburger Alltag in Videoprojektionen

Szene aus "Faust – Margarethe" am Staatstheater Augsburg | Bildquelle: Jan Pieter Fuhr Bildquelle: Jan Pieter Fuhr Bis zur Liebesnacht steht der Abend unter Fausts Namen. Geschickt projiziert Regisseur Jochen Biganzoli Videos von Jana Schatz auf die weiße Wand, um das Kennen- und Liebenlernen zwischen Faust und Margarethe im heutigen Augsburg lebensnah zu dokumentieren. Bis zum Zähneputzen im Bad folgen wir Margarethe in ihre Single-Wohnung, auch ihr Kind bekommt sie im Augsburger Spital – zwar alles schwarzweiß, aber doch sehr authentisch gedreht. Nach der Pause steht das Bühnengeschehen unter dem Titel "Margarethe". Stumm protestiert der Damenchor aus Schwangeren zusammen mit ihr gegen Sexismus, während Mephisto die Frauen verhöhnt.

Romantische Wallung im Orchestergraben

Ohne Pathos geht es nicht in dieser Oper, und Domonkos Héja am Pult der Augsburger Philharmoniker bringt den Martini-Park ordentlich in romantische Wallung. Und das großartige Ensemble kann problemlos mithalten: Natalya Boeva als vergeblich liebender Siebel ist eine weitere Luxusbesetzung, und Jihyun Cecilia Lee steigert als grandiose Marguerite gesanglich und darstellerisch den Abend bis zum fulminanten Finale. In dem wird ihre Figur nicht zum Opfer, sondern steigt mit gereckter Faust auf den Küchentisch und schickt ihren Faust zum Teufel. Frauenpower statt Verdammnis. Wer hätte das gedacht?! Was Goethe nicht verträgt, schadet Gounod nicht. Das Augsburger Publikum stimmte dieser zeitgemäßen Neudeutung überholter Geschlechter-Rollenbilder jedenfalls aus vollem Herzen zu.

Weitere Infos und Termine auf der Website des Staatstheaters Augsburg

Sendung: "Allegro" am 31. Januar 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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