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Premierenkritik Augsburg Schostakowitschs "Moskau, Tscherjomuschki" - Schmerzhaft heutig

Wohnungsnot ist ein so existenzielles wie gegenwärtiges Thema. Vor allem in Städten wie München. Man stellt sich in die Schlange, preist sich an, hofft und leidet. Doch so neu ist das Problem nicht. In den Fünfzigerjahren schrieb Schostakowitsch seine Operette "Moskau, Tscherjomuschki". Das Thema: Wohnungsnot. Ein so heiteres wie bitter sarkastisches Stück. Das Staatstheater Augsburg hat nun eine Neuinszenierung herausgebracht. Rita Argauer war für BR-KLASSIK bei der Premiere dabei.

Szenenfoto aus Moskau Tscherjomuschki in Augsburg | Bildquelle: Staatstheater Augsburg

Bildquelle: Staatstheater Augsburg

Die Musik von Dmitri Schostakowitsch erlebt gerade eine Renaissance. Das überrascht nicht: In den vergangenen eineinhalb Jahren wurde virusbedingt alles auf den Kopf gestellt, was man mal für unumstößlich gehalten hat. Gebrochen, ja, wankend wirkt die Gegenwart. Da passt Schostakowitschs ästhetisch oft so gebrochene Musik gut hinein, als künstlerischer Spiegel für das gerade Erlebte.

Regisseurin Corinna von Rad bleibt nah an Schostakowitschs Vorlage

Szenenbild aus Moskau Tscherjomuschki in Augsburg | Bildquelle: Staatstheater Augsburg Trautes Heim? Das wär fein! Szenenbild aus "Moskau, Tscherjomuschki" am Staatstheater Augsburg | Bildquelle: Staatstheater Augsburg Die Operette "Moskau, Tscherjomuschki" ist da aber noch einmal ein Sonderfall. Ein völlig irres Stück Musiktheater ist das, samt psychedelisch abgedrehtem Ende und beißender politischer Kritik! Schostakowitsch reagierte damit auf die politische Forderung volksnahe Musik zu schreiben. Schlager, Jazz und überdrehte Zitate aus der russischen Romantik hat er so zu einer Art Nummernrevue verquirlt. Das zugrundeliegende Thema aber ist so bitter wie existenziell: Wohnungsnot. Befeuert durch undurchdringbare Bürokratie und Korruption.

Am Staatstheater Augsburg hat Corinna von Rad dieses selten gespielte Stück nun neu in Szene gesetzt. Und sie bleibt nah am Werk. Ihre Inszenierung ist weder eine Überinterpretation noch eine Neudeutung. Die ist bei dem Thema aber auch gar nicht notwendig. Auf der Bühne steht ein Bauzaun, dahinter das verheißungsvolle Moskauer Neubaugebiet Tscherjomuschki. Davor stehen die Menschen an, wedeln mit einem Wohnungsberechtigungsschein, hoffen auf einen Schlüssel.

Sängerin Olena Sloia glänzt in ihrer Rolle

Aus dieser Situation pickt Schostakowitsch drei Einzelschicksale wie in einem Episodenfilm heraus: Das verheiratete Paar Sascha und Mascha, die keine gemeinsame Bleibe haben. Barburow und seine Tochter Ljusja, deren alte Wohnung abgerissen wurde. Und Funktionär Drebednjow mit seiner Frau Wawa, die im Luxus schwelgen und gerne eine größere Wohnung hätten.

Die auffälligste Figur ist Ljusja, eine wütende, selbstbewusste junge Frau, die für ihre Rechte eintritt. Olena Sloia singt sie grandios: kräftig, aber dennoch empfindsam und mit großem Ausdruck. Besonders zeigt sich das im Duett mit dem sie umwerbenden Freigeist Boris. Mit toll durchdringendem Bariton gesungenen von Wiard Witholt. Aber auch Alejandro Marco-Buhrmester und Natalya Boeva bieten als wohnungsloses Ehepaar eine herrlich absurde Show auf der Bühne.

Musikalische Realsatire zu einem heutigen Thema: Wohnungsnot

Unter dem heiteren Reigen aber liegt bitterer Ernst: Was im Realsozialismus nicht funktioniert hat, funktioniert im heutigen Spätkapitalismus auch nicht reibungslos. Einige wenige bereichern sich, das Volk leidet. Das Thema ist so heutig, dass Regisseurin Corinna von Rad sich sämtliche Bezüge in die Gegenwart sparen kann. Die drängen sich sowieso auf.

Das klein besetzte Orchester unter Ivan Demidov hält die Stimmung hoch. Inklusive samt Schlagzeug und Saxophon. Im immer wiederkehrenden Werbesong für die Neubausiedlung tönt es von einem Optimismus, der längst nicht mehr angebracht ist.

Schostakowitschs Operette erinnert an die "Dreigroschenoper"

Das Lachen bleibt einem da im Halse stecken. Das Swingen erstarrt. Und in diesem drastischen Effekt erinnert Schostakowitschs seltsam verdrehte Operette an eine Ausnahmeerscheinung der Musikgeschichte: die Kooperation von Bertolt Brecht und Kurt Weill in der "Dreigroschenoper".

Sendung: "Allegro" am 13. Dezember 2021 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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