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Zum Tod von Frederic Rzewski Politische Utopie und virtuose Brillanz

Vielbeschäftigter Avantgarde-Pianist, Komponist mit Hang zur Improvisation, überzeugter Linker: Frederic Rzewski war eine schillernde Erscheinung in der amerikanischen Musik des 20. Jahrhunderts. Am 26. Juni ist der geniale Nonkonformist im Alter von 83 Jahren gestorben, wie das britische Online-Magazin Gramophone und die Washington Post mitteilen.

Komponist Frederic Rzewski | Bildquelle: © Cantaloupe Music, LLC

Bildquelle: © Cantaloupe Music, LLC

Frederic Rzewskis wohl wichtigstes Werk ist ein grandioser Zyklus für Klavier: "The People United Will Never Be Defeated!", 36 Variationen über das chilenische Revolutionslied "¡El pueblo unido, jamás será vencido!" Sie verbinden auf einzigartige Weise politische und künstlerische Avantgarde, utopische Hoffnung und virtuose Brillanz, traditionelle Form und Techniken der Neuen Musik. Vielleicht hat Rzewski damit die "Diabelli-Variationen" des 20. Jahrhunderts geschrieben. Komponiert hat er das Werk für Ursula Oppens, eine langjährige Freundin Rzewskis.

1976 wurde der Zyklus uraufgeführt. Viele bedeutende Pianisten haben den Variationszyklus als Herausforderung empfunden und eingespielt, darunter Marc-André Hamelin und Igor Levit. Auch der Pianist Kai Schumacher – selbst Nonkonformist wie Rzewski mit einem Faible für Punkrock – hat sich intensiv mit dem Zyklus auseinandergesetzt und ist hier im Video mit seiner Interpretation von "The People United Will Never Be Defeated!" zu erleben.

Kai Schumacher, Lange Nacht der Klaviermusik | Bildquelle: Bonny Coelfen

Bildquelle: Bonny Coelfen

Video

Der Pianist Kai Schumacher mit "The People United ..." in einem Live-Mitschnitt von der "Langen Nacht der Claviermusik 2017".

Pianist, Professor und poilitisches Engagement

Rzewskis stilistische Offenheit spiegelt sich in seinem Werdegang. Er war mit dem Avantgardisten John Cage befreundet, spielte aber kurzzeitig auch in den Minimal-music-Ensembles von Phlip Glass und Steve Reich mit. Studiert hatte er zunächst in Harvard und Princeton, bei Roger Sessions und Milton Babbitt, die für eine akademische Auslegung der Zwölftontechnik standen. In Italien setzte er sein Studium dann bei Luigi Dallapiccola fort und startete seine Karriere als Pianist zeitgenössischer Musik. Legendär wurde seine Uraufführung (und rasante Einspielung) von Stockhausens "Klavierstück X". Zugleich gründete er die Gruppe „Musica Elettronica Viva“, die zur Plattform wurde für vielfältige Improvisationskonzepte zwischen Avantgarde und Jazz.

1971 kehrte Rzewski nach New York zurück. Unterrichtet hat er unter anderem in Yale, am California Institute of the Arts und an der University of California, an der Berliner Hochschule der Künste und an der Hochschule für Musik Karlsruhe. Bis zu seiner Emeritierung 2003 war er Professor am Konservatorium in Lüttich.

Ein alter Hippie

Ein Großteil seiner Musik hatte eine links-politische Färbung. "Ich bin ein alter Hippie", bekannte er 2004 im BR-KLASSIK-Interview. Auf die Rolle des politischen Komponisten wollte er allerdings nicht reduziert werden. Er habe lediglich wie jeder Mensch das Bedürfnis, auf seine Zeit zu reagieren, "und die einzig mögliche Reaktionsweise, die ich habe, ist die Musik." Ginge es um Popmusik, würde man das wahrscheinlich als ganz normal betrachten, wie er 1997 in einem Interview mit der Times anmerkte. Aber ein amerikanischer Komponist klassischer Musik – müsse der unbedingt rechtsgerichtet, ein Akademiker oder einfach nur realitätsfern sein?

Wie die Washington Post schreibt, erlitt Rzewski im italienischen Montiano am 26. Juni einen Herzinfarkt während eines Essens zusammen mit seiner Tochter und seinem Enkel. Er hinterlässt ein vielfältiges Werk, in dem die Klaviermusik einen hohen Stellenwert einnimmt. Viele seiner Partituren hat der überzeugte Kapitalismus-Kritiker kostenfrei ins Netz gestellt.

Radio-Tipp

Am 6. Juli um 22:05 Uhr widmet BR-KLASSIK eine Sonderausgabe der Sendung "Horizonte" dem Komponisten und Pianisten Frederic Rzewski.

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