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Geiger Gidon Kremer wird 70 Virtuose auf der Suche nach der Wahrheit

Er verehrt Bach über alles. Gidon Kremer verleiht aber auch zeitgenössischen sowie zu Unrecht vergessenen Komponisten eine Stimme. Außerdem nimmt der Geiger auch politisch kein Blatt vor den Mund. Am 27. Februar wird er 70 Jahre alt.

Geiger Gidon Kremer | Bildquelle: imago/Future Image

Bildquelle: imago/Future Image

"Die Welt von Bach ist ein Universum, mit dem jedes Leben bereichert werden kann - und auch mein Leben bereichert wurde", sagt der Geiger Gidon Kremer. Auf den Letten wirkt die Musik von Johann Sebastian Bach so, als käme sie aus dem All: weit wie der Kosmos und zugleich fremd wie von einem anderen Stern. Gerade in der kulturellen Enge der Sowjetdiktatur wurde Bach für Kremer zu einer kulturellen Oase. Eine Oase, die Kremer nie mehr verlassen hat.

Reisender zwischen musikalischen Welten

Wie der Titel seiner 2003 erschienen Autobiografie verrät, führt Gidon Kremer ein Leben "Zwischen Welten": Früher zwischen Ost und West, zwischen Sowjetunion und westlichem Ausland. Heute - bei immer noch 120 Konzerten im Jahr - zwischen diesem und dem nächsten Auftritt. Vor allem aber ist Gidon Kremer ein Reisender zwischen musikalischen Welten. Er beschränkt sich als Geiger nicht nur auf das klassische Repertoire um Bach, Mozart oder Beethoven, sondern setzt sich insbesondere auch für zeitgenössische Musik ein. Das ist im klassischen Konzertbetrieb allerdings alles andere als leicht, beklagt Kremer: "Der konservative Konzertveranstalter zielt im Grunde genommen auf Titel und Namen. Ich bin ab und zu ganz schön traurig, wenn ich sehe, dass Namen mehr bedeuten als Musik."

Keine Angst vor neuen Tönen

Geiger Gidon Kremer 1996 | Bildquelle: imago/ United Archives Gidon Kremer im Jahr 1996 | Bildquelle: imago/ United Archives Um dieser Kommerzlogik zu entgehen, schafft sich Gidon Kremer früh seine eigenen künstlerischen Oasen - Anfang der Achtziger zunächst in Form eines Kammermusikfestivals im österreichischen Lockenhaus. Es bietet eine alljährliche musikalische Sommerfrische in freundschaftlicher Atmosphäre und verfolgt vor allem ein Motto: keine Angst vor neuen Tönen. "In Lockenhaus gab es das intime Miteinander, fernweg von allem kommerziellen Druck", erzählt Gidon Kremer. "Es lag mir sehr viel daran, dass es nicht zu einem Supermarkt wird, zu einem Festival mit vielen Namen und wenig Substanz."

Man sollte ständig auf Reise gehen mit dem Unbekannten.
Gidon Kremer, Geiger

Wegbereiter für Arvo Pärt

Ein ständige Begleitung für seine Reisen ins musikalische Neuland schenkte sich Gidon Kremer quasi zu seinem 50. Geburtstag. Ende der Neunziger gründet er die Kremerata Baltica, ein Streicherensemble aus jungen Musikern aller drei baltischen Staaten. Mit der Kremerata Baltica an der Seite stellt sich Kremer weiter in den Dienst vergessener Werke und neuer Komponisten - insbesondere aus der ehemaligen Sowjetunion. Auf dem Weg macht Kremer nicht nur Gija Kantscheli und Sofia Gubaidulina bekannt, sondern auch Arvo Pärt. "Mit ihm hört man alles andere als die gewohnten Dinge", schwärmt Kremer von dem Komponisten. "In einem Zeitalter, wo es so viel befremdende Töne gibt, so viele Geräusche, ist es wunderbar, eine Musik zu finden wie die von Arvo Pärt. Eine Sprache, die mit wenigen Tönen sehr viel sagen kann."

Künstlerisch und politisch aktiv

Kremer belässt es allerdings nicht dabei, nur die Töne sprechen zu lassen. So sehr er nach künstlerischen Oasen sucht, so wenig sucht er den Elfenbeinturm. Im Gegenteil: Kremer meldet sich auch politisch zu Wort. Insbesondere dann, wenn es um Russland geht. Seit Jahren tritt er ein für eine offene russische Gesellschaft. Und gegen den autoritären Kurs der Putin-Regierung. "Meine Angelegenheit ist die Musik, aber ich bin kein gleichgültiger Mensch", erklärt Gidon Kremer. "Mich bewegt alles, was um mich herum passiert genauso wie die Partituren, denen ich versuche, in meiner Arbeit gerecht zu werden. Und wenn rund um mich herum Dinge passieren, die mich aufwühlen, so glaube ich, dass es Sache meines Gewissens ist, mich dazu zu äußern."

Mich bewegt alles, was um mich herum passiert.
Gidon Kremer

Man kann bei Gidon Kremer durchaus eine Nähe ausmachen zwischen künstlerischer und politischer Integrität. Es ist, als wäre er in Haltungsfragen noch immer ein Schüler Bachs: Demut gegenüber dem, was größer ist als man selbst: die Wahrheit. Und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um eine künstlerische Wahrheit handelt, die Kremer auch jenseits kommerzieller Pfade verfolgt, oder um eine politische, die ihn immer wieder öffentlich das Wort ergreifen lässt. Möge es so bleiben.

Gidon Kremer auf BR-KLASSIK

BR-KLASSIK ehrt Gidon Kremer anlässlich seines Geburtstags mit mehreren Sondersendungen:
Los geht es am 27. Februar in Klassik Stars.

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