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Nach Hundekot-Attacke von Marco Goecke Leben Musikkritiker gefährlich?

Mit Kritik muss man umgehen können. Kritisieren will aber auch gelernt sein. Die Hundekot-Attacke von Marco Goecke auf eine Kritikerin der FAZ hat auch einen neuen Diskurs angestoßen: Wie kann Kunstkritik im 21. Jahrhundert aussehen?

Theater- & Konzertkritiker / v.A.Geiger Literatur: Kritiker. - "Vier Theater- und zwei Konzertrezen- sionen". - (Karikatur auf einen vielschreibenden Kritiker). Holzstich, 1847, von Andreas Geiger (1765-1856). | Bildquelle: picture-alliance / akg-images | akg-images

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Das Leben als Musikkritikerin oder Musikkritker wurde vor der Hundekot-Attacke von Marco Goecke auf eine Journalistin der FAZ als nicht sonderlich gefährlich wahrgenommen. Doch nachdem Goecke seine Kritikerin im Theater Hannover körperlich angegangen war, laufen nun die Ermittlungen gegen den Choreografen wegen einfacher Körperverletzung und Beleidigung. Als Ballettdirektor in Hannover ist Goecke inzwischen gekündigt. Auch ein weiteres Theater zieht jetzt Konsequenzen aus dem Vorfall: Während das Bayerische Staatsballett betonte, die Stücke Goeckes weiter im Repertoire zu lassen, hieß es vom Nationaltheater Mannheim, man wolle Goeckes Stück "Woke up blind" nicht wie geplant im April zur Aufführung bringen.

Die Kunstkritik: wichtige Form des Kulturjournalismus

Goeckes tätlicher Übergriff auf die Kritikerin der FAZ bleibt aber in seiner Drastik ein Einzelfall. Das bestätigt die Journalistin und Professorin Dorte Lena Eilers im Interview mit BR-KLASSIK. Eilers leitet den neugegründeten Studiengang Kulturjournalismus an der Hochschule für Musik und Theater München in Kooperation mit der Theaterakademie August Everding. Sie sagt, der Vorfall am Staatstheater Hannover habe den Blick auf eine ganz wichtige Form des Kulturjournalismus gelenkt: die Kunstkritik.

Viele Kritikerstimmen statt einem "Kritikerpapst"

Kunstkritik hat sich in jüngster Zeit enorm gewandelt, speziell mit der Digitalisierung in den vergangenen zehn Jahren. So ist die Stimmenvielfalt, die Kunstwerke oder Musikaufführungen kritisch beurteilt, viel breiter geworden. Der eine "Kritikerpapst" wurde abgelöst von vielen Stimmen, die sich auf verschiedenen Plattformen über ein Werk äußern.

Es braucht Verantwortungsbewusstsein und journalistisches Know-how.
Dorte Lena Eilers über Kunstkritik

Dorte Lena Eilers leitet den Studiengang Kulturjournalismus in München | Bildquelle: Ben Wolf Dorte Lena Eilers leitet den Studiengang Kulturjournalismus in München. | Bildquelle: Ben Wolf Vielfalt ist gut. Doch Dorte Lena Eilers betont auch, dass es umso wichtiger wird, über Kritik zu sprechen, Kritik zu lernen. Denn wie auch die Intendantin Laura Berman in Hannover in Bezug auf Marco Goeckes Hundekot-Attacke betont hatte: Die professionelle Kritik sei gefährdet, weil sie nicht einen so hohen Reputationswert wie früher habe. Und in Social Media werde ohne jegliche Verantwortung für das, was geschrieben wird, gepostet. Verantwortung ist für Dorte Lena Eilers ein wichtiges Stichwort in der aktuellen Debatte: "Es braucht Verantwortungsbewusstsein und journalistisches Know-how", sagt sie. Und dafür brauche es wiederum eine professionelle Ausbildung für Kritikerinnen und Kritiker.

Zukunft der Musikkritik: Instagram, Twitter oder Metaverse?

In dem neugegründeten Studiengang wird die Kunstkritik ein großes inhaltliches Modul bilden, in dem das Handwerk für eine verantwortungsvolle Kritik vermittelt werden soll. Und für Eilers ist dabei auch wichtig, solche Fragen zu stellen wie: In welchem Medium kann eine intellektuelle Kunstkritik noch stattfinden? Geht das auch auf Instagram? Kann man auf Twitter einen guten Diskurs anstoßen? Auch interessant: Welche Rolle wird zukünftig Künstliche Intelligenz oder Medien im VR-Bereich eines Metaverse spielen können? So wird in München die Kunstkritik, aber auch der Kulturjournalismus für das 21. Jahrhundert geformt und weitergedacht.

Infos zum Studiengang Kulturjournalismus

Der neue Master-Studiengang Kulturjournalismus in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Theater München startet zum Wintersemester 2023/24. Die Bewerbungsfrist läuft bis zum 31. Mai 2023.

Sendung: "Allegro" am 24. Februar 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

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Montag, 06.März, 14:43 Uhr

Alpenflora

Herr Goecke

Steht Herr Goecke nicht über der Kritikseines Schaffens ? Sein Tun ist wirklich in der "untersten Schublade" angesiedelt. Pfui und nochmals pfui !! Gut, wurde dem Herrn seine Anstellung gekündigt. Ich hätte grosse Lust, auch ihm mal ins Geicht zu streichen. Für mich ist so eine Person mit derart wenig Selbstwertgefühl gestorben. Punkt.

Samstag, 25.Februar, 01:39 Uhr

Rüdiger

Kunstkritik in der Krise

Ich denke nicht, dass die Kritik vielfältiger geworden ist. Auch sehe ich keine neue Schärfe durch die sozialen Medien.

Aus meiner Sicht fehlt vielen Kunstkritikern heutzutage die Kompetenz und das führt eher zu einer netten Harmlosigkeit und Beliebigkeit. Man scheut klare Urteile, durch die man sich womöglich blamieren könnte

In der jüngeren Vergangenheit sehe ich sogar eine korrupten Symbiose, ohne die sich das Regietheater, aber auch der Dadaismus in den Künsten nicht hätten durchsetzen können. Grundsätzlich hat die lebendige Kunst eine funktionierende Kritik nötig. Beide sind gegenwärtig in einer tiefen Krise, und es ist nicht absehbar, wie sie ihre Talfahrten beenden können.

Der Vorgang in Hannover scheint mir ein psychopathischer Einzelfall ohne Symbolkraft zu sein, ausgelöst durch einen selbstherrlichen, sich überschätzenden "Künstler" (Regisseure sind ja nicht im engeren Sinne Künstler, aber für Beuys war ja jeder ein Künstler).

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