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Asmik Grigorian im Interview "Den größten Druck mache ich mir selber"

Sie ist ein echtes Bühnentalent: Seit ihrer Salzburger "Salome" 2018 kann sich Asmik Grigorian ihre Rollen aussuchen. Mit ihrer betörenden Stimme und ihrer umwerfenden Bühnenpräsenz verzaubert die litauische Sopranistin Opernfans auf der ganzen Welt. Im Interview mit BR-KLASSIK spricht Asmik Grigorian über künstlerische Freiheit, das Hamsterrad des Erfolgs und Panikattacken vor Auftritten.

Asmik Grigorian | Bildquelle: Rytis Seskaitis

Bildquelle: Rytis Seskaitis

BR-KLASSIK: Frau Grigorian, was bedeutet Singen für Sie?

Asmik Grigorian: Singen ist mein Leben. Ich habe immer gesungen. Und jetzt ist es eine Art Religion für mich, die Sache, die mir Energie schenkt. Beim Singen kann ich mit mir selbst reden, aber auch mit Gott. Ich kann mich an mein Publikum wenden.

BR-KLASSIK: Und was bedeutet Schauspiel für Sie beim Operngesang?

Asmik Grigorian: Für die Oper muss man Schauspiel studieren. Aber eigentlich drücken wir das Wesentliche durch unsere Stimme aus, wir spielen mit unserer Stimme. Das sollte man nie vergessen.

Durchbruch mit der Salzburger "Salome"

BR-KLASSIK: Verstehen Sie die Figur dank der legendären Salzburger "Salome"-Produktion besser, ist Ihnen die Salome nahegekommen?

Asmik Grigorian: Natürlich verstehe ich den Charakter der Salome. Ich würde nie eine Rolle annehmen, in die ich mich nicht einfühlen kann, da ich auf der Bühne nicht lügen kann. Ich habe ihr Wesen absolut begriffen. Und ich denke, dass sehr viele Frauen, wahrscheinlich sogar alle, Salome zwar nicht auf einer körperlichen, aber auf einer emotionalen Ebene verstehen können. Wir alle wissen, wie es sich anfühlt, verletzt zu sein. Wir alle kennen Rachegelüste. Ich kann sie verstehen. Natürlich hoffe ich, dass ich – als Asmik – niemals in eine solche Situation geraten werde wie Salome. Aber wie gesagt, wir alle können sie auf einer emotionalen Ebene verstehen. Denn wenn wir ganz ehrlich zu uns sind, dann wissen wir, dass wir wenigstens einmal im Leben auch gerne so gehandelt hätten.

BR-KLASSIIK: Kann man sagen, die Salzburger "Salome"-Aufführung 2018 war Ihr Durchbruch?

Asmik Grigorian: Ja und nein. Ich habe auch damals schon überall Auftritte gehabt, die Oper plant so viel früher, als man sich das vorstellt. Insofern wurde ich da nicht wirklich entdeckt. Aber diese Rolle hat mir andere Möglichkeiten eröffnet: Seitdem kann ich auswählen, was ich machen möchte. Sie hat mir eine neue Freiheit geschenkt, für die ich extrem dankbar bin.

BR-KLASSIK: Jetzt sind Sie ein Star, genießen Sie das?

Asmik Grigorian: Ich weiß nicht recht. Ich habe nie an diesen ganzen Starkult geglaubt – für mich gehören Sterne an den Himmel … Aber wie gesagt, ich habe dadurch eine besondere Position erlangt, die ich sehr genieße. Ich habe die Möglichkeit, mit den Menschen meiner Wahl zusammenzuarbeiten, an Orten meiner Wahl aufzutreten und die Rollen meiner Wahl zu singen. Und für mich als Künstlerin ist das das größte Geschenk.

Ich glaube nicht, dass man wachsen kann, ohne manchmal zu scheitern.
Asmik Grigorian

Ihre Tochter sorgt für Bodenhaftung

BR-KLASSIK: Und Sie haben vielleicht auch mehr Zeit für Ihre Tochter?

Asmik Grigorian: Nein, das stimmt nicht. (lacht) Leider nicht. Aber ich versuche trotzdem, möglichst viel für sie da zu sein. Sie reist immer noch mit mir, sodass wir morgens gemeinsam aufwachen und abends gemeinsam einschlafen können, was mir sehr viel bedeutet.

BR-KLASSIK: Als Operndiva leben Sie in einer Bubble mit Intendanten, Agentinnen, Medienleuten … Wie können Sie dem entkommen?

Asmik Grigorian: Ach, das ist eigentlich ganz einfach. Es ist dasselbe, wenn die Leute mich fragen: Wie schaffst Du es, aus einer Rolle wieder rauszukommen? Denn Tatsache ist, ich muss meine Rollen nicht verlassen und ich muss keiner Blase entkommen. Wenn ich heimkomme und meine Tochter Hunger hat, dann ist es ihr egal, ob Salome oder Manon Lescaut für sie Essen macht. Ich bin dann einfach für sie da und mache, was gerade ansteht. Aber wenn wir darüber sprechen, wie ich Ruhe finde, dann ist das etwas anderes. Für mich wird es in diesem Zusammenhang immer wichtiger, in der Natur zu sein. Dort kann ich allem entfliehen.

Eine außergewöhnliche Stimme

BR-KLASSIK: Wann haben Sie eigentlich gemerkt, dass Sie so eine außergewöhnlich schöne Stimme haben?

Asmik Grigorian: Danke erstmal für das Kompliment. Irgendwie wusste ich schon immer, dass ich diese Stimme habe und dass ich singen kann. Aber ich habe das nie für etwas Besonderes gehalten. Wissen Sie, ich bin in einer Sänger-Familie aufgewachsen, das war einfach meine Welt. Deshalb hatte ich angenommen, dass jeder eine schöne Stimme hat und singen kann (lacht). Deswegen war das für mich nie etwas Ungewöhnliches.

BR-KLASSIK: Ist eine solche Stimme eigentlich ein Geschenk der Natur?

Asmik Grigorian bei den Münchner Philharmonikern am 26. April 2023 | Bildquelle: Sebastian Widmann Asmik Grigorian bei ihrem Debüt mit den Münchner Philharmonikern in diesem Jahr. | Bildquelle: Sebastian Widmann Asmik Grigorian: Ich glaube, so eine Stimme ist eine Mischung aus vielen Faktoren. Wichtig ist in diesem Zusammenhang mein Körper. Er ist zwar nicht sehr groß, aber dafür extrem kräftig, wofür ich sehr dankbar bin. Das ist die Voraussetzung für die Art von Stimme, wie ich sie habe – eine, die über große Orchester hinwegträgt. Das ist wohl die größte Gabe, die ich mitbekommen habe. Außerdem natürlich die Musikalität, die ich in mir habe. Ich kenne die Oper einfach, weil ich mit ihr aufgewachsen bin. Ich habe die besten Sänger und Inszenierungen kennengelernt. Irgendwie war immer Musik in meinem Leben. Natürlich unterscheidet sich mein Hintergrund von dem anderer Leute, und in mancher Hinsicht war es einfacher für mich. Ich konnte meinen eigenen Stil entwickeln und wusste immer, was ich tun wollte, selbst wenn ich anfangs noch nicht so erfolgreich damit war. Ich wusste immer, was ich erreichen wollte, was mein Ziel war und wo mich mein Weg als Sängerin hinführen sollte.

Tragische Rollen als Segen

BR-KLASSIK: Ist das nicht ein trauriges Sängerinnen-Leben mit all diesen tragischen Frauenfiguren von Dvořák, Janáček, Verdi, Puccini oder Wagner?

Asmik Grigorian: Nein, mein Leben mit diesen Rollen ist überhaupt nicht traurig. Ich bin vielmehr dankbar für die Gelegenheit, so oft zu sterben, denn dabei kann ich so viele meiner persönlichen Gefühle begraben, die ich hinter mir lassen möchte. Und es bietet mir die Möglichkeit, in einem einzigen Leben so viele verschiedene Leben zu leben, verschiedene Gefühle durchzumachen und dadurch meine Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Meiner Meinung nach ist es das, was unser Menschsein ausmacht – die Fähigkeit, Gefühle zu empfinden. Daher ist es ein Segen für mich, so ein großes Spektrum an Gefühlen ausloten zu können.

BR-KLASSIK: Im Sommer geben Sie bei den Salzburger Festspielen Ihr Rollen-Debüt als Lady Macbeth. Was ist an dieser Rolle so schwer?

Asmik Grigorian: Für mich ist es schwierig, weil ich diese Art Verdi noch nie gesungen habe, ich singe normalerweise nicht so viele Koloraturen. Das bedeutet also viel Arbeit für mich – und ich gerate bei dem Gedanken daran, ehrlich gesagt, immer noch in Panik. Irgendwie weiß ich nicht recht, wie ich diese Rolle angehen soll. Aber das ist immer so bei mir. Bevor ich eine Partie wirklich gesungen habe, zweifle ich immer daran, ob ich sie schaffen werde. So geht es mir im Moment. Aber Schritt für Schritt werde ich mich schon annähern. Und Sie wissen ja, manchmal gewinnen wir – und manchmal lernen wir etwas daraus. Ich bin gespannt, ob die Lady Macbeth für mich ein Sieg wird – oder ein Lernprozess (lacht).

Schattenseiten und #MeToo

BR-KLASSIK: Wann bleibt Ihnen überhaupt noch Zeit, neue Partien zu lernen?

Asmik Grigorian: Das ist tatsächlich die Schattenseite meines Lebens, da versuche ich allerdings im Moment was zu ändern – denn so kann ich nicht weitermachen. Es gibt Zeiten, in denen ich probe und dann gibt es Zeiten, in denen ich eigentlich frei haben möchte, um sie mit meiner Familie zu verbringen oder tausend andere Dinge zu unternehmen. Und das funktioniert leider nicht, weil ich die ganze restliche Zeit damit beschäftigt bin, neue Partien zu lernen. Neue Rollen lerne ich im Moment nur zwischen den Auftritten.

BR-KLASSIK: Gerade in der Klassikwelt und in der Opernszene hat die MeToo-Bewegung hohe Wellen geschlagen: Haben Sie selbst mal unter solchen Übergriffen gelitten oder etwas in der Art beobachtet?

Asmik Grigorian: Nein, zum Glück habe ich so etwas nie erlebt. Und ich finde es schwierig, über dieses Thema zu sprechen. In solchen Situationen gibt es immer zwei Seiten. Aber ich persönlich habe nie eine solche Erfahrung machen müssen. Ich hatte schon immer eine starke Persönlichkeit und war in der Lage, für meine Rechte und meine Gefühle zu kämpfen. Deswegen war es für mich nie ein Problem, jemandem deutlich zu sagen, wenn ich mich in einer Situation unwohl fühle.

BR-KLASSIK: Finden Sie die MeToo-Debatte wichtig?

Asmik Grigorian: Wie gesagt, halte ich das Ganze für eine komplizierte Angelegenheit. Natürlich ist es wichtig, weil es unangenehme Situationen gibt. Und ich möchte auf keinen Fall, dass meine Tochter jemals von irgendeinem Arsch bedrängt wird. Aber gleichzeitig gibt es ja auch ganz andere Geschichten und ich glaube, da ist auch was Wahres dran: Es gibt auch Leute, die so etwas für persönliche Rachefeldzüge missbrauchen oder um damit Geld zu machen. Deshalb finde ich es schwierig, das zu entscheiden. Es gibt definitiv zwei Seiten in dieser Sache. Wie überall muss man äußerst feinfühlig damit umgehen und jede Situation einzeln, und nicht pauschal beurteilen. Jede Situation ist wieder anders.

Ich glaube nicht, dass man aus einem ganz gemütlichen Leben heraus auf der Bühne Großes erschaffen kann.
Asmik Grigorian

Ohne Krisen gibt es keine Kunst

BR-KLASSIK: Wächst der Stress eigentlich, je berühmter man wird?

Asmik Grigorian: Das ist schon richtig. Ich habe da einerseits Glück, andererseits auch wieder nicht. Denn den größten Druck mache ich mir immer selber. Der Druck von außen beeinflusst mich natürlich auch. Aber der Druck von innen ist in meinem Fall wesentlich größer. Glücklicherweise wächst nicht nur der Druck, sondern gleichzeitig auch die Erfahrung und die Professionalität. Das gleicht sich dann wieder aus.

BR-KLASSIK: Das Thema mentale Gesundheit wird immer wichtiger. In dem Dokumentarfilm "Fuoco Sacro – Heiliges Feuer" von Jan Schmidt-Garre haben Sie von Panikattacken gesprochen. Haben Sie die immer noch – und was tun Sie dagegen?

Asmik Grigorian: Das war schon immer so, seit ich auf der Bühne stehe. Und ich tue alles dagegen, was ich tun kann. Irgendwie muss ich akzeptieren, dass das immer zu meinem Leben gehören wird. Ich werde nie eine Künstlerin sein, die völlig gelassen auf die Bühne gehen kann. Jetzt erst lerne ich damit umzugehen. Und ich finde, das gelingt mir inzwischen ganz gut. Wissen Sie, das ist eben die andere Seite. Auf der Bühne habe ich diese riesige Energie und diese großen Emotionen – und die Panik gehört irgendwie auch dazu. Ich habe gelernt, diesen Aspekt als Geschenk anzusehen – und nicht als Fluch.

Singen auf eigenes Risiko

BR-KLASSIK: Sie haben in letzter Zeit auch Wagner gesungen, die Senta im "Fliegenden Holländer" 2021 in Bayreuth, und zuletzt bei den Münchner Philharmonikern den "Liebestod" aus dem "Tristan". Viele im Publikum dachten da vielleicht wie ich: Kommt da eine neue Isolde?

Asmik Grigorian: Das hoffe ich sehr. Ich würde die Isolde wahnsinnig gerne singen. Wenigstens einmal in meinem Leben (lacht).

BR-KLASSIK: Die Gefahr, die Stimme zu verschleißen, ist bei Wagner natürlich groß, und es wäre schade um Ihre herrliche Stimme …

Sopranistin Asmik Grigorian | Bildquelle: dpa / Franz Neumayr / picturedesk.com Sopranistin Asmik Grigorian | Bildquelle: dpa / Franz Neumayr / picturedesk.com Asmik Grigorian: Nein, ich habe auch nicht vor, zu viel Wagner zu singen. Ich habe gesagt, vielleicht einmal im Leben (lacht). Das ist etwas anderes. Mir ist bewusst, dass ich keine Wagner-Sängerin bin. Aber es gibt etliche Wagner-Rollen, die ich gut singen könnte, wie zum Beispiel die Sieglinde, und die werde ich auch machen. Ich möchte mich da nicht auf eine bestimmte Schiene wie Wagner oder Puccini festlegen. Es macht mir einfach Spaß, verschiedene Sachen auszuprobieren. Und wenn mir eines Tages einfällt, dass ich jetzt Turandot oder Norma singen will, dann möchte ich die Flexibilität haben, genau das dann auch zu tun. Mir ist klar, dass da immer ein Risiko dabei ist. Und vielleicht verliere ich eines Tages meine Stimme. Aber dann habe ich wenigstens die Gewissheit, dass ich in diesem Leben alles gemacht habe, was ich tun wollte. Und jedes Mal, wenn ich etwas riskiere, übernehme ich dafür die volle Verantwortung – in dem Bewusstsein, dass es vielleicht das Letzte ist, was ich tue. Ich gehe das Risiko ein, aber es ist meine Entscheidung.

Sendung: "KlassikPlus" am 16. Juni ab 19:05 Uhr und am 17. Juni ab 14:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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