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Christian Thielemann beim BRSO "Ich habe 18 Jahre kein Debüt gehabt"

Viele Jahre dirigierte Christian Thielemann in München, aber noch nie stand er am Pult des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Jetzt ist es soweit: BR-KLASSIK überträgt den Konzertabend am Freitag im Radio und Video-Livestream. Im Interview verrät der Dirigent, wie es sich ohne Publikum im Konzertsaal anfühlt und warum er sich selbst kaum Streams anschaut.

Dirigent Christian Thielemann | Bildquelle: Matthias Creutziger

Bildquelle: Matthias Creutziger

BR-KLASSIK: Wie ist das, wenn Sie vor ein neues Orchester treten?

Christian Thielemann: Es ist interessant. Mein letztes Debüt ist, glaube ich, bei der Dresdner Staatskapelle gewesen – 2003. Also ich habe 18 Jahre kein Debüt gehabt. Es fühlt sich aber gar nicht so an, weil auch Musiker im Orchester sitzen, die ich kenne, die schon mit mir gespielt haben. Das formt sich dann ganz schnell. Durch die Abstände, die wir coronabedingt einhalten müssen, ist es allerdings erstmal schwierig – übrigens auch für mich. Manchmal weiß ich zum Beispiel nicht, ob die Holzbläser laut genug spielen. Die Probe ist für uns alle. Insofern ist es eine schöne Atmosphäre, und mir sagen einige Musiker, dieses Konzert wäre ihr erster Dienst seit Wochen, dann hat man doch Lust.

BR-KLASSIK: Sie dirigieren hier Stücke mit einer relativ kleinen Besetzung. Sie mögen es aber auch gerne dick besetzt. Vermissen Sie diesen vollen Klang jetzt im Moment?

Christian Thielemann: Es gibt nichts Schöneres als ein Riesenorchester, das leise spielt. Wenn es dann auch mal richtig laut spielt, ist es auch schön. Der Schluss von Bruckners 5. Symphonie muss so sein wie er ist. Aber davor haben Sie eine Fülle von Subtilitäten. Klar vermisse ich das. Aber ich nehme an, irgendwann werden wir die Pandemie im Griff haben.

Es gibt nichts Schöneres als ein Riesenorchester, das leise spielt.
Christian Thielemann

BR-KLASSIK: Eineinhalb Stunden haben die Bayreuther Festspiele 2020 gedauert. Damals waren Sie relativ erzürnt darüber, dass die Kultur so kaltgestellt wird. Das ist jetzt fast ein Dreivierteljahr her.

Dirigent Christian Thielemann bei einer Probe mit Musikerinnen und Musikern des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks | Bildquelle: Astrid Ackermann Christian Thielemann bei einer Probe mit dem BRSO in der Münchner Philharmonie | Bildquelle: Astrid Ackermann Christian Thielemann: Man ist grund-frustriert, weil man merkt: Wir sind nicht relevant. Es wird doch oft von Relevanz gesprochen. Wer ist jetzt relevant? Was ist jetzt wirklich wichtig? Natürlich die Kultur für die geistige Nahrung. Das ist unabdingbar für Menschen wie wir es sind. Aber wenn jetzt jemand eine Entscheidung zu treffen hat: Rechtsanwalt oder Konzert oder Apotheken aufmachen oder Ärzte oder Dirigenten. Dann wählen Sie den Arzt, den Rechtsanwalt, den Installateur und den Klempner. Wenn bei Ihnen zu Hause die Rohre lecken, dann kann ich zum Beispiel gar nichts machen, weil ich völlig unfähig dazu bin.

Sorge um die Rückkehr der Künstler nach Corona

BR-KLASSIK: Machen Sie sich auch Gedanken um die finanzielle Seite der Krise in der Kultur?

Christian Thielemann: Traurig ist, dass sich so wenig Gedanken gemacht wird um die Leute, die wirklich schlecht verdienen. Ich selbst habe ein festes Gehalt in Dresden, solange der Vertrag läuft, dazu die paar Gagen – also verhungern werde ich nicht. Man würde auf einem sehr hohen Niveau klagen, wenn man überhaupt klagen würde, und das wäre auch arrogant anderen gegenüber.

Dirigent Christian Thielemann bei einer Probe mit Musikerinnen und Musikern des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks | Bildquelle: Astrid Ackermann Christian Thielemann dirigiert bei seinem BRSO-Debüt Werke von Richard Strauss und Robert Schumann | Bildquelle: Astrid Ackermann Aber denken Sie an die vielen Leute auf dem freien Markt, wo womöglich die Stimmbänder nicht mehr trainiert sind. Oder zum Beispiel auch an Sänger, die bestimmte Partien nur eine bestimmte Zeit in ihrem Leben singen können: eine "Elektra" oder eine "Frau ohne Schatten". "Isolde" kann man vielleicht 15 oder zwanzig Jahre singen. Aber wenn Sie die Partie eine gewisse Zeit nicht gesungen haben ... Ich hoffe, dass die Kolleginnen und Kollegen alle wiederkommen, wenn die Opernhäuser wieder aufmachen.

Und dann hat das alles verheerende Folgen für den Nachwuchs. Wir werden überhaupt noch sehen, dass vielleicht manche Leute, die gesagt haben, sie wollen Sänger werden – die werden jetzt nicht Sänger, die werden Rechtsanwalt. Das ist aber ein riskanter Beruf. Und das wird uns jetzt allen so klar, wie alles von dieser Gesundheitsfrage abhängt. Also da muss grundlegend nachgedacht werden, wo man helfen sollte und wo man schnell helfen sollte.

Traurig ist, dass sich so wenig Gedanken gemacht wird um die Leute, die wirklich schlecht verdienen.
Christian Thielemann

BR-KLASSIK: Wie ist das mit Ihnen? Haben Sie sich dran gewöhnt, dass beim Dirigieren hinter Ihnen eine Leere ist, dass da niemand sitzt?

Christian Thielemann: Also wissen Sie, das ist eine professionelle Sache. Ich habe jetzt in Wien ein paar Bruckner-Symphonien aufgenommen in einem leeren Saal im Musikverein. Der war sehr schön beleuchtet. Es ist nicht dasselbe, aber Sie können professionell auf der Bühne eine Atmosphäre herstellen. Es soll nicht für immer so sein, aber es geht.

BR-KLASSIK: Schauen Sie sich Streams an?

Christian Thielemann: Wollen Sie wirklich die Wahrheit wissen?

BR-KLASSIK: Ja!

Dirigent Christian Thielemann bei einer Probe mit Musikerinnen und Musikern des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks | Bildquelle: Astrid Ackermann Reduziertes Orchester: Christian Thielemann probt mit dem BRSO | Bildquelle: Astrid Ackermann Christian Thielemann: Nein, ganz selten. Ich habe mir jetzt zwei, drei Sachen interessehalber angeschaut, aber eigentlich nicht. Ich bin viel zu sehr ein Live-Mensch. Ich habe mich anregen lassen, wie das andere machen, und habe natürlich meine eigenen Aufnahmen aus Wien angeguckt. Die sollen als DVD oder CD erscheinen. Aber es ist eben nur Fernsehen. Da müsste man schon so ein Heimkino mit einer Riesenleinwand und tollen Lautsprechern haben. Aber das normale Fernsehen? Also ich habe einen guten Fernseher, aber der genügt meinen Tonansprüchen nicht. Deswegen sehe ich eigentlich auch ungern so DVDs, weil man ja dann den richtigen Orchesterklang haben möchte. Wir müssen uns damit jetzt behelfen. Ich unterstütze auch, dass man das macht. Aber nicht, dass dann noch irgendjemand auf die Idee kommt und sagt: Das geht doch auch. Wir brauchen den ganzen Kram mit dem Publikum hier gar nicht mehr. Nein, nein, wir brauchen die Atmosphäre. Das muss jetzt aufhören.

Sendung: "Allegro" am 15. April 2021 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Das Konzert am Freitag, 16. April 2021, wird ab 20:05 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio und BR-KLASSIK CONCERT im Videostream live übertragen.

Programm und Mitwirkende:
Richard Strauss: 
"Wiener Philharmoniker Fanfare"
Sonatine Nr.1 F-Dur "Aus der Werkstatt eines Invaliden"
Robert Schumann:
Ouvertüre, Scherzo und Finale E-Dur, op. 52
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Dirigent: Christian Thielemann

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