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Konzert mit der Dirigentin Emmanuelle Haïm "Ich bin von der Musik besessen"

In England wird Emmanuelle Haïm "The Ms Dynamite of French Baroque" genannt. Die Französin gilt als eine der interessantesten Künstlerpersönlichkeiten der Alte-Musik-Szene. Zum ersten Mal dirigiert sie nun das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Wir haben das komplette Konzert zum Anhören.

Dirigentin Emmanuelle Haïm bei der Probe mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks | Bildquelle: © Peter Meisel

Bildquelle: © Peter Meisel

BR-KLASSIK: Sie haben zunächst Klavier, Orgel und Cembalo studiert. Dann waren Sie musikalische Assistentin von William Christie und von Simon Rattle. Die meisten angehenden Dirigentinnen und Dirigenten dienen sich ja eher hoch und assistieren nicht gleich den ganz Großen. War das einfach Glück oder ist Ihnen das dirigentische Können in die Wiege gelegt?

Emmanuelle Haïm: Ich wollte schon als Kind Dirigentin werden. Aber durch das Studium der Tasteninstrumente ist das erst einmal ein bisschen in den Hintergrund gerückt. Zumal das Studium ja auch sehr interessant war – mit Fächern wie Komposition, Harmonielehre, Kontrapunkt, Musikgeschichte und Improvisation. Da habe ich gar nicht gemerkt, wie schnell die Zeit verflogen ist. Und als ich dann in William Christies Ensemble gespielt habe, ging es mehr darum, sich um die Noten zu kümmern, um Recherche oder ums Einstudieren des Chores. In der Alten Musik gibt es ja keine wirkliche musikalische Assistenz. Manchmal habe ich dann auch eine Bühnenprobe dirigiert. So lernt man das nach und nach. Nach ein paar Jahren konnte ich auf eigenen Füßen stehen, und da ist dann mein früherer Wunsch zu dirigieren wieder erwacht. Ich habe einfach begriffen, dass es nun Zeit war, erwachsen zu werden und das zu tun, was ich schon als Kind tun wollte. Wenn man ein junges Mädchen ist, ist man vielleicht noch etwas zu schüchtern und schiebt den Gedanken, Dirigentin zu werden, erst einmal zur Seite. Doch plötzlich war ich nicht mehr schüchtern und habe einfach angefangen.

BR-KLASSIK: Trotzdem ist das ja ein Wahnsinnsstart, direkt zu Beginn bei Simon Rattle zu assistieren …

Emmanuelle Haïm: Ich habe Sir Simon 1999 kennengelernt, anlässlich des Projekts „Les Boréades“ bei den Salzburger Festspielen. Ich habe Cembalo gespielt und die Klavierproben begleitet. Damals war ich regelrecht schockiert. Er war ein so unglaublicher Dirigent, der so viel aus den Leuten dort herausgeholt hat – mit seiner enorm charismatischen Art. Seine Autorität hatte überhaupt nichts Brutales. Das gefiel mir sehr. Außerdem ist er auf eine erfrischend neue Weise an die Alte Musik herangegangen. Es hat auf mich tatsächlich fast wie ein Elektroschock gewirkt. Danach war mir klar: genauso muss ich es auch machen.

Ich bin von Musik besessen – und relativ stur. Wenn ich etwas unbedingt will, muss ich es irgendwann auch haben.
Dirigentin Emmanuelle Haïm

BR-KLASSIK: Das haben Sie getan, sehr erfolgreich sogar. Was muss man denn konkret an Fähigkeiten mitbringen, um in dieser Liga mitspielen zu können?

Emmanuelle Haïm: Ich persönlich fühle mich von einem sehr starken Wunsch angetrieben und von der Überzeugung, dass ich es kann. Und von der Macht der Musik. Es gibt bestimmte Musik, die ich unbedingt dirigieren muss, weil sie sonst einfach nicht stattfindet. So viele Opern von Rameau, Lully, Marais, Sweelinck, Frescobaldi oder Monteverdi werden so gut wie gar nicht aufgeführt. Ich will aber, dass man sie hören kann.

Außerdem habe ich so viele großartige Musiker kennengelernt, die ich zusammenführen wollte. Mein Entschluss wurde bestimmt auch dadurch bestärkt, dass ich ein Ensemble zur Verfügung hatte, mit dem wir gemeinsam den Klang erarbeiten konnten, den wir uns wünschten. Wir sind zusammen gekommen, weil wir sozusagen aus der gleichen musikalischen Familie stammen. Das Ensemble Le concert d´Astree entstand um das Jahr 2000 herum. Unsere ersten Konzerte haben wir Ende 2000 bis Anfang 2001 gespielt. Glücklicherweise hatten wir auch bald eine Plattenfirma. Durch diese Aufnahmen  wurden wir recht schnell bekannt und hatten dann gleich viele Konzerte. Damals passierte irgendwie alles zur selben Zeit. Das hat mich angetrieben und vorangebracht. Jeder Dirigent hat natürlich seine eigene Geschichte. Ich bin jedenfalls von Musik besessen – und relativ stur. Wenn ich etwas unbedingt will, muss ich es irgendwann auch haben.

Es ist möglich, es als talentierte Frau zu schaffen. Es ist einfach nicht unmöglich.
Emmanuelle Haïm

BR-KLASSIK: Das Dirigieren ist noch immer männerdominiert. Nervt Sie die Frage, wie Sie sich als dirigierende Frau fühlen?

Emmanuelle Haïm: Am Anfang habe ich bei jedem Interview auf diese Frage gewartet. Sie konnte gleich zu Beginn, in der Mitte oder am Ende auftauchen. Aber sie kam immer. Und sie hat mich immer sehr genervt. Weil ich selber gar nicht darüber nachgedacht habe und weil mir das auch nicht wichtig war. Inzwischen, nachdem ich eine Weile damit gelebt habe und jetzt seit fast zwanzig Jahren dirigiere, finde ich das Thema wichtig. Man muss bestimmt etwas mehr kämpfen, um die Leute zu überzeugen. Da gibt es ja oft Zweifel, ob eine Frau das wirklich kann. Wenn sie aber nach einer Weile sehen, dass es funktioniert, dann akzeptieren sie es. Und ich denke, es ist gerade für junge Frauen wichtig, dass sie andere Frauen dirigieren sehen. Dann können sie es sich selber leichter vorstellen. Auch für das Publikum und die Musiker ist es gut. Denn wenn man es sieht, kann man seine Vorbehalte abbauen. Es ist möglich, es als talentierte Frau zu schaffen. Es ist einfach nicht unmöglich.

BR-KLASSIK: Die US-amerikanische Dirigentin Karen Kamensek hat mir in einem Interview mal gesagt, dass man als Frau am Dirigentenpult doppelt so viel leisten müsse wie ein Mann. Man brauche doppelt so viel Energie und müsse doppelt so gut vorbereitet sein wie die männlichen Kollegen. Sehen Sie das ähnlich?

Dirigentin Emmanuelle Haïm bei der Probe mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks | Bildquelle: © Peter Meisel Bildquelle: © Peter Meisel Emmanuelle Haïm: Ich weiß nicht... Ich versuche immer, gut vorbereitet zu sein. Ich bin extrem wissbegierig und neugierig. Ich möchte die Sprache können, in der ein Stück geschrieben ist. Ich will etwas über die Hintergründe wissen und beschäftige mich mit den Originalschriften. Ich liebe das. Gründliche Vorbereitung macht mir Spaß. Ich teile die Kenntnisse auch gerne mit meinen Musikerkollegen. Das sollte jeder machen, finde ich, egal ob männlich oder weiblich. In meinem Repertoire muss ich ohnehin sehr vorausschauend arbeiten. Vor einigen Tagen habe ich Monteverdis „Il ritorno d´Ulisse in patria“ dirigiert. In der Partitur erfährt man nicht viel: Da steht weder, wie viele Instrumente wann spielen, noch wie man die Oper besetzen kann. Wie ist die Orchestrierung? Sollen einige vokale Passagen instrumental begleitet werden? Damit muss man sich wirklich weit im Voraus beschäftigen. Das muss sogar drei oder vier Jahre vorher passieren, damit Veranstalter und Intendanten entsprechend planen können. Ich glaube also nicht, dass es da große Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt.

BR-KLASSIK: Sie haben eine große Leidenschaft für historische Aufführungspraxis und gelten als Barockmusik-Expertin. Hier und heute dirigieren Sie zwar ein modernes Orchester, aber mit altem Repertoire. Händel und Rameau. Was begeistert Sie an diesen beiden Komponisten?

Emmanuelle Haïm: Beide sind ganz große Genies des 18. Jahrhunderts. Rameau war ja wohl eher ein schwieriger Zeitgenosse. Er hat erst sehr spät, mit über 50 Jahren, begonnen, Opern zu komponieren.  Seine erste Oper – Hippolyte et Aricie – hat die musikalische Welt damals total geschockt. Das Orchester hat sich geweigert, das Werk zu spielen, es seien viel zu viele Noten und es sei außerdem zu dissonant und viel zu elaboriert. Die wollten sich erst gar nicht damit beschäftigen. Aber dann haben die Leute doch gemerkt, was für ein unglaubliches Werk das ist.

Und Händel war mehr so ein irdischer, leidenschaftlicher Theatermensch. Ich glaube, dass es sehr spannend ist, gerade so ein Repertoire mit einem Symphonieorchester zu spielen, das normalerweise nicht so oft damit konfrontiert ist. Aber so kann man ganz andere Aspekte in dieser Musik des 18. Jahrhunderts beleuchten. Sie spielen es wirklich großartig. Sie machen richtig toll mit.

BR-KLASSIK: Was hat Sie denn in Ihrer Zusammenarbeit mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks am meisten überrascht?

Emmanuelle Haïm: Ihre außergewöhnliche Flexibilität, ihre Anpassung an den Stil, ihre Begeisterung und dieser weiche, zauberhafte Streicherklang. Sie haben großartige Holzbläser. Sie setzen sich ganz toll für diese Musik ein. 

BR-KLASSIK: Sie kommen also wieder?

 Emmanuelle Haïm: Ich hoffe!

Das Gespräch führte Kristin Amme für BR-KLASSIK.

Infos zum Konzert

Donnerstag, 16.03.2017
Freitag, 17.03.2017
München, Herkulessaal

Georg Friedrich Händel
Concerto Grosso G-Dur op.6/1
Georg Friedrich Händel
Auszüge "Rinaldo"
Wolfgang Amadeus Mozart
Konzert für Klavier und Orchester Nr.23 A-Dur KV488
Georg Friedrich Händel
Wassermusik-Suite Nr.1 F-Dur HWV 348
Jean-Philippe Rameau
Suite aus Dardanus

Emmanuelle Haïm, Dirigentin
Kristian Bezuidenhout, Klavier
Katherine Watson, Sopran
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Das Konzert am 17.03. wird live auf BR-KLASSIK übertragen.

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