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Ryan Wigglesworth im Interview Pazifismus und Spirituals

Am 29. und 30. September eröffnet das BR-Symphonieorchester die neue Konzertsaison - mit Ryan Wigglesworth am Pult. Im Interview spricht er über englische Musik und warum ihn sein Debüt in München durchaus nervös macht.

Dirigent Ryan Wigglesworth | Bildquelle: © Benjamin Ealovega

Bildquelle: © Benjamin Ealovega

BR-KLASSIK: Ryan Wigglesworth, fühlen Sie sich mehr als Komponist oder Dirigent?

Ryan Wigglesworth: Ich denke, wenn man komponiert, ist das die Haupttätigkeit im Leben, und alles andere bezieht sich darauf. Aber ich habe nie wirklich einen Trennstrich gezogen, denn wenn ich dirigiere, lerne ich auch sehr viel über Komposition.

In fünf Minuten ist alles klar

BR-KLASSIK: Worauf achten Sie besonders, wenn Sie Werke anderer Komponisten dirigieren?

Ryan Wigglesworth: Je länger man dirigiert, desto besser lernt man den unfassbar komplexen Organismus eines Orchesters kennen. Manchmal steht man vor hundert Leuten, das hat dann auch viel mit Psychologie zu tun. Die Psychologie einer Gruppe ist anders, als wenn man nur eine Person vor sich hat. Und als Gastdirigent muss man sehr schnell herausfinden, wie man am besten mit den Leuten zurechtkommt. In den ersten fünf Minuten merkt man, wie ein Orchester arbeitet.

Britten und Tippett – nicht englisch, sondern international

BR-KLASSIK: Sie dirigieren das BR-Symphonieorchester mit Werken von Beethoven, Britten und Tippett. Sind Sie mit dem Schaffen dieser beiden englischen Komponisten besonders vertraut?

Ryan Wigglesworth: So habe ich darüber noch nicht nachgedacht, wir haben es hier ja nicht mit wirklich typisch englischer Musik zu tun. Brittens Kantate "Our Hunting Fathers" ist ein experimentelles Stück, das sehr selten aufgeführt wird und sich vielmehr an Europa orientiert als das Meiste, was zu dieser Zeit - Mitte der Dreißigerjahre - in England komponiert wurde. Die Musik geht in gewisser Hinsicht vielmehr in Richtung Mahler und Berg. Tippetts Oratorium ist ein internationales Statement, aber für mich fühlt es sich auch nicht typisch englisch an - viel weniger als Elgar zum Beispiel.

Freiheit und Pazfismus

BR-KLASSIK: Wo sehen Sie die Verbindung zwischen den drei Werken, die Sie mit dem BR-Symphonieorchester zur Aufführung bringen werden?

Ryan Wigglesworth: Das Thema dieses Konzerts ist Freiheit, Pazifismus und Antimilitarismus. Beethovens "Leonoren-Ouvertüre" ist aus der Oper "Fidelio", und diese Oper hat als zentrales Thema Freiheit. Brittens "Our Hunting Fathers" hat einen Text, der recht schwer zu rezipieren ist. Aber es wird doch klar, dass es um eine Art Metapher geht, wenn die Beziehungen zwischen Männern und Tieren dargestellt werden. Es gibt zum Beispiel einen Klagegesang auf einen toten Affen, dann ein Lied über Ratten, ein anderes handelt von Jagdrufen. Das sind im Grunde alles Metaphern für Beziehungen zwischen Menschen. Dem Dichter W. H. Auden, der die Texte für Britten zusammengestellt und zum Teil geschrieben hat, war es sehr wichtig, die Angst vor dem Krieg, wie sie jene Jahre beherrschte, in Worte zu fassen.

Die Sprituals bei Tippett sprechen direkt das Publikum direkt an.
Ryan Wigglesworth

Dirigent Ryan Wigglesworth | Bildquelle: © Benjamin Ealovega Bildquelle: © Benjamin Ealovega
Und das leitet eigentlich direkt hin zu Tippetts Oratorium "A Child of Our Time". Dieses Werk handelt auch von zwischenmenschlichen Beziehungen - wie es schief gehen kann und wie wir es wieder gut machen können. Tippett war sehr interessiert an der Psychologie Carl Gustav Jungs, der die dunklen hellen Seiten der menschlichen Persönlichkeit untersucht hat. Nicht zuletzt geht es bei Jung auch darum, Wunden zu heilen. Und viel von diesem Prozess tritt in den Spirituals klar zu Tage. Es war eine sehr mutige Idee von Tippett, die Spirituals anstelle von Chorälen in dieses Oratorium einzubinden. Aber gerade das bindet das Ganze zusammen. Die Spirituals ermöglichen eine völlig andere Farbe, eine andere Art zu sprechen. Sie sprechen direkt das Publikum direkt an; es ist, als würde man durch sie ins Oratorium hineingezogen.

Authentischer Gesang

BR-KLASSIK: Und genau das wird transportiert durch die Sänger, darunter den Tenor Mark Padmore, der in dieser Saison als Artist in Residence beim BR-Symphonieorchester fungiert. Was ist für Sie das Besondere an seiner Stimme?

Ryan Wigglesworth: Ich arbeite mit Mark jetzt schon einige Jahre zusammen und kenne seine Stimme mittlerweile sehr gut. Er ist ein sehr besonderer Künstler aus mehreren Gründen. Er ist, wie ich es nenne, ein authentischer Sänger. Er ist nicht künstlich. Was man hört und sieht, bekommt man auch - es steht nichts zwischen ihm und dem Hörer.

Aufregendes Debüt

BR-KLASSIK: Sie stehen erstmals am Pult des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Sind Sie aufgeregt?

Ryan Wigglesworth: Natürlich. Ich meine, als Dirigent ist es immer schwierig, ein Debüt zu geben. Man kommt in die erste Probe und weiß nicht, was auf einen zukommt - wird das Verhältnis gut sein oder nicht. Natürlich wusste ich von der Qualität des Orchesters. Ich weiß: Jeder einzelne Teil des Orchesters ist technisch perfekt. Der Klang, den sie zusammen produzieren, ist unfassbar reich und tief. Es ist einfach etwas ganz Besonderes!

Infos zum Konzert

München, Herkulessaal der Residenz
Donnerstag, 29. September 2016
Freitag, 30. September 2016

Ludwig van Beethoven:
"Leonoren"-Ouvertüre Nr.2 C-Dur, op.72a
Benjamin Britten:
"Our Hunting Fathers" - Orchesterlieder, op. 8
Michael Tippett:
"A Child of Our Time" - Oratorium für Soli, Chor und Orchester

Sophie Bevan (Sopran)
Karen Cargill (Mezzosopran)
Mark Padmore (Tenor)
Brindley Sherratt (Bass)
Chor des Bayerischen Rundfunks
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Ryan Wigglesworth

Übertragung auf BR-KLASSIK am Freitag, 07. Oktober, ab 20.03 Uhr

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