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Waltraud Meier über ihren Bühnenabschied "Go with the Flow!"

Sie ist eine der größten Sängerinnen der letzten Jahrzehnte, eine Würzburgerin, die Weltkarriere machte: Waltraud Meier. Am 20. Oktober feiert sie mit 67 Jahren ihren Bühnenabschied. Eine sehr bewusste Entscheidung.

Mezzosopranistin Waltraud Meier | Bildquelle: © Nomi Baumgartl

Bildquelle: © Nomi Baumgartl

BR-KLASSIK: Frau Meier, ein wichtiges Datum steht bevor. Am 20. Oktober werden Sie zum letzten Mal auf der Bühne stehen und die Klytämnestra in Berlin singen. Wenn Sie zurückschauen auf Ihre allererste Vorstellung – was würden Sie der jungen Waltraud Meier sagen?

Waltraud Meier: Oh, ich sage den jungen Leuten eigentlich nichts. Die müssen ihren Weg selbst machen. Es ist eine andere Zeit heute. Ich halte mich da sehr zurück.

Kritik und Feedback

BR-KLASSIK: Aber gäbe es irgendwas, was Sie ihrem jüngeren Ich sagen würden, um sie vor bestimmten Dingen zu warnen? Haben Sie sich damals vielleicht Bilder gemacht, die nicht realistisch waren?

Waltraud Meier: So extrem war es nicht. Aber Ich würde warnen vor Lob, das direkt nach einer Vorstellung ausgesprochen wird.

BR-KLASSIK: Ausgerechnet? Das ist doch motivierend?

Waltraud Meier: Ja, aber nach einer Vorstellung hat man sein Herzblut vergossen. Soll da ein Intendant kommen oder der Dirigent und sagen: Du, heute war es wirklich nicht gut? Da geht man ja völlig deprimiert nach Hause. Also wird nach einer Vorstellung immer etwas Nettes gesagt. Und das sollte man dankbar an-, aber nicht unbedingt immer für bare Münze nehmen. Das erspart etliche Enttäuschungen.

BR-KLASSIK: Wann kommt denn die Wahrheit raus? Wer sagt einem, wie es wirklich war, von den Kritikern mal abgesehen?

Waltraud Meier als Isolde | Bildquelle: picture-alliance/dpa Waltraud Meier als Isolde | Bildquelle: picture-alliance/dpa Waltraud Meier: Naja, die Kritiker sagen ja auch nicht die Wahrheit. Nein, wer die Wahrheit sagt, das ist der Gesangslehrer, wenn man noch einen hat – oder der Dirigent, wenn man ein gutes Verhältnis zu ihm hat. Ich kann mich noch erinnern, als mein zweiter Lehrer noch lebte – wenn der in der Vorstellung war, habe ich ihn natürlich sofort nach der Vorstellung gefragt: Und wie war das jetzt? Da hat er immer gesagt: Jetzt nicht, morgen! Und dann habe ich natürlich schlecht geschlafen, weil ich dachte: Oh, morgen kriegst du es aber dann voll gesagt! Aber es ist ganz, ganz wichtig, dass man sich immer Menschen erhält, die einem ganz ehrlich die Wahrheit sagen.

Wieso der Bühennabschied?

BR-KLASSIK: Sie haben Ihren Abschied wunderbar geplant. Wie lange haben Sie das eingefädelt, und wann haben Sie entschieden, wann was passieren wird?

Waltraud Meier: Ich habe irgendwann gespürt, dass ich meinen Peak überschritten habe. Und dann habe ich gedacht: So, wie weit willst du jetzt runtergehen? Und nein, toppen kann ich's nicht mehr! Ich möchte selber entscheiden, wann ich aufhöre. Zu einem Zeitpunkt, wo ich sage: Diese Partie habe ich noch mit Anstand gesungen. Und so bleibt sie in meiner Erinnerung.

BR-KLASSIK: Und warum sollte es jetzt die Klytämnestra sein? Hatte das auch damit zu tun?

Waltraud Meier: Nee, das hat einen anderen Grund. Im Oktober ist der 10-jährige Todestag von Patrice Chéreau, und da wird in der Berliner Staatsoper seine Inszenierung der "Elektra" zum letzten Mal gespielt. Und ich bin die Einzige dort, die von Anfang an mit dabei war und alle Vorstellungen gesungen hat. Und für mich war Chéreau der Regisseur schlechthin, ein Mann, von dem ich so unfassbar viel gelernt habe. Wir waren sehr eng befreundet. Schon als er starb, vor zehn Jahren, ist zum ersten Mal was bei mir weggebrochen, das gebe ich zu. Das war das erste Mal, als ich dachte: Aha, die Zeit geht jetzt vorbei. Deshalb wollte ich jetzt mit ihm aufhören. Mein Traum war zwar auch, dass Daniel Barenboim nochmal dirigiert, mein Lebensmusiker, aber seine Gesundheit erlaubt es leider nicht mehr. Sehr traurig.

Waltraud Meier über Daniel Barenboim

BR-KLASSIK: Aber Sie treffen sich regelmäßig?

Waltraud Meier: Natürlich. Immer wieder, auch wenn ich privat nach Berlin komme, dann sehe ich ihn immer.

BR-KLASSIK: Hat er denn gut Feedback geben können?

Waltraud Meier: Total! Er war der, der einem immer sagen konnte, wie was war und was man besser machen konnte. Und ich habe ihm eigentlich das Versprechen abgenommen, dass er mir sagt, wenn es irgendwann nicht mehr so gut ist. Aber ich glaube, ich bin ihm zuvorgekommen.

BR-KLASSIK: Selbstkritisch.

Waltraud Meier: Ich will nicht, dass er es mir sagen muss.

Die Zeit nach der Karriere

BR-KLASSIK: Was soll denn kommen, jetzt, in der Zeit nach Ihrer Bühnenkarriere? Haben Sie Pläne? Reisen?

Waltraud Meier: Ja. Erstmal nach New York. Dort war ich zuletzt 2016. Einfach mal so zehn Tage New York, einfach mal rumreisen, ohne dass man das Gefühl hat, man muss auf sich aufpassen, weil man in drei Tagen wieder eine Vorstellung hat. Ich habe zwar die Welt gesehen, und ich habe auch immer, wenn ich irgendwo mehrere Wochen war, die Zeiten zwischen den Proben genutzt, um mir das Land, die Leute und die Städte anzuschauen. Aber ich glaube, jetzt ist es noch mal etwas anderes. Außerdem bin ich eine wahnsinnig leidenschaftliche Hausfrau, ich gartle jetzt hier so rum, koche.

BR-KLASSIK: Wollen Sie denn auch Ihr Wissen weitergeben?

Waltraud Meier: Nein, mit fehlt wahrscheinlich die Geduld zum Weitergeben. Was ich machen werde: Ich habe jetzt ein Angebot von vier Wettbewerben, wo ich in der Jury dabei sein werde, unter anderem beim ARD-Wettbewerb nächstes Jahr in München. Da mache ich auch den Vorsitz, weil ich dann ein paar Dinge anders gestalten kann, als sie bisher geschehen sind.

BR-KLASSIK: Aha?

Waltraud Meier: Ja, ich denke, bei manchen Wettbewerben sind die Anforderungen zu breit gestreut. Die Sänger müssen von Barockmusik bis zur Moderne alles vorzeigen können. Und nach diesen Kriterien hätte ich nie im Leben einen Wettbewerb gewonnen. Und ich möchte es gerne so machen, dass man zwar weiterhin das alles anbietet, aber dass ein Sänger sich von vier oder fünf Kategorien drei aussuchen kann. Er darf mit mehr kommen, wenn er meint, er ist auf allen Gebieten wunderbar, aber verpflichtend sind nur drei. Und ich hoffe, dass man dadurch jemanden findet, der wirklich außergewöhnlich ist.

BR-KLASSIK: Sänger sind keine eierlegenden Wollmilchsäue?

Waltraud Meier: Nee, das wird zwar öfters gewünscht, aber das ist es nicht.

Rückblick auf ein gelebtes Leben

BR-KLASSIK: Frau Meier, wir haben uns viel über das Singen unterhalten. Und Sie haben gesagt, das sei damals eine andere Zeit gewesen. Wenn Sie sich den Opernbetrieb heute anschauen, mit diesem vielen Hin und Her fliegen, was denken Sie da?

Waltraud Meier: Ich bin damals wie eine Verrückte hin und her geflogen! Ich habe mir kürzlich mal so meine Kalender angeschaut und bin schier umgefallen: Das habe ich alles gemacht, das ist ja unglaublich! Also, nee, ich bin ein Kind des Regietheaters und auch des verrückten Theaters!

BR-KLASSIK: Das heißt, diese ganze kulturkritische Leier, da würden Sie nicht mit einstimmen. Früher war gar nicht alles besser?

Waltraud Meier: Nee, nee, nee.

Ich bin ein Kind des Regietheaters!
Waltraud Meier

BR-KLASSIK: Christa Ludwig hat mal gesagt, dass sie eigentlich zu wenig mitgekriegt hat vom Leben. Sie hat sogar gesagt, dass sie ihren Sohn gar nicht wirklich kennengelernt hätte, weil sie ja immer irgendwo in der Welt rumgereist sei.

Waltraud Meier: Das kann ich über mein Leben gar nicht sagen. Wie traurig!

BR-KLASSIK: Ja, fand ich auch.

Waltraud Meier: Ja, nee, ich habe in die Vollen gelebt! Und wenn ich unterwegs war, habe ich immer geguckt, dass Freunde zu mir kommen und mich besuchen können. Also ich war wenig alleine.

Go with the flow!
Waltraud Meier

BR-KLASSIK: Aber das erfordert wahrscheinlich auch eine gewisse Bewusstheit, dass man sich das vornimmt, weil - man ist ja dann eben drei Wochen lang in der Stadt und vier Wochen in Paris...Wie schafft man das, da Freundschaften zu halten?

Waltraud Meier: Heutzutage mit Facetime ist es leichter denn je. Als ich damals in Buenos Aires war,1980, da habe ich noch per Luftpost Briefe verschickt. Das waren noch Zeiten! Und heute ist es so anders. Jetzt, als ich kürzlich in Japan war, ja, da gehe ich auf Facetime und habe das Gefühl, ich quatsche mit meinen Freunden als wären die hier mit mir in München.

BR-KLASSIK: Eigentlich toll. Man sagt ja immer, dass diese moderne Technik so schrecklich wäre. Aber eigentlich verdanken wir ihr doch auch eine ganze Menge.

Waltraud Meier: Ja, ich habe so eine Philosophie: Go with the flow!

BR-KLASSIK: Das klingt vernünftig. Sie haben wahnsinnig viel gegeben, aber auch wahnsinnig viel bekommen.

Waltraud Meier: Ich habe viel mehr bekommen, als mir in die Wiege gelegt wurde. Also manchmal kann ich es auch gar nicht fassen, was da alles so war. Und jetzt schaue ich, wie es jetzt weitergeht. Wach bleiben!

Sendung: "Meine Musik" am 30. September 2023 ab 11:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

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Freitag, 29.September, 09:13 Uhr

Ida Lind

Tolle Frau

…aber ein Kind des Regietheaters sein, ist keine Ehre!

Donnerstag, 28.September, 18:14 Uhr

Jörg Wöltche

Waltraud Meier

Ich durfte ihr einmal bei einer Probe im Kissingen Sommer korrepetieren. Strauss und Wagner, Wesendonck-Lieder, letzteres vom Blatt einen Halbton tiefer, ersteres mit zwei Wochen Vorbereitung. Auch in Ces- statt C-Dur.

Meine Erinnerung. War echt cool die eine Stunde in Bad Kissingen im Regentenbau.

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