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Jelly Roll Morton "King Porter Stomp" Der selbsternannte Erfinder des Jazz

Am 17. Juli 1923 betritt der Jazzpionier Jelly Roll Morton zum zweiten Mal ein Aufnahmestudio und spielt eine Reihe bedeutender Soloaufnahmen ein. Einige der Stücke, darunter "King Porter Stomp" und "New Orleans Joys", will er schon kurz nach der Jahrhundertwende komponiert haben.

Platten Cover Jelly Roll Morton | Bildquelle: © Classic Jazz

Bildquelle: © Classic Jazz

Jelly Roll Morton erfand den Jazz an einem Sonntagnachmittag des Jahres 1902 - das behauptete er jedenfalls selbst. Und er legte sich mit vielen an, die dies bestritten. Wenn man in den 30er Jahren, mitten in der Swing-Ära den Kreolen mit den diamantbesetzten Zähnen reden hörte, der noch um die Jahrhundertwende als Jüngling mit verbundenen Augen in den Luxusbordellen von New Orleans gespielt hatte, hielt man ihn meist für einen Angeber. Ein weiteres verwunderliches Statement des Kreolen, dessen bürgerlicher Name Ferdinand Joseph La Menthe war: "Jazz ist eine französische Musikform". Dennoch war er nicht etwa bloß ein Großmaul, das fragwürdige Aussagen tätigte. Als Musiker, der Ragtime und Blues verband, war er der erste wichtige Jazzpianist, der erste bedeutende Jazzkomponist und ein wegweisender Arrangeur - ja das wohl erste Genie des Jazz. Seine Kompositionen sind ein Grundpfeiler des traditionellen Repertoires. Obwohl er berühmt, sogar berüchtigt war, hatte er viel Pech. Zum einen meldete er das Copyright seiner frühen Werke zu spät an, zum anderen machte er erst ab 1923 Aufnahmen, einige seiner besten erst, als längst anderer Jazz in Mode war.

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King Porter Stomp (1923) | Bildquelle: Tim Okasa (via YouTube)

King Porter Stomp (1923)

Benny Goodman gibt mit einem Uroldie den Startschuß zur Swing-Ära

Jelly Rolls wohl berühmteste Komposition ist der "King Porter Stomp". Erst nach der Ersteinspielung von 1923 wurde er im folgenden Jahr veröffentlicht, doch komponiert hat er den ersten Stomp als Teenager angeblich 1902 oder 1906. Der Titel bezieht sich auf einen Pianisten aus Florida namens Porter King, den er 1910 kennen lernte. Wenn das Stück wirklich so alt ist, dann ist das in der Tat sensationell modern, etwa im Vergleich zu den zeitgleichen Ragtimes von Scott Joplin oder James Scott.

Das Stück wirkte 1935 immer noch brandaktuell, als Benny Goodman es mit seinem Orchester in einem Arrangement von Fletcher Henderson aufnahm. In Goodmans Version, die bald darauf bei seinem legendären Auftritt im Palomar Ballroom von Los Angeles erklang, der Goodmans Siegeszug einleitete, seht das altehrwürdige Stück am Beginn der Swing-Ära.

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1935 HITS ARCHIVE: King Porter Stomp - Benny Goodman

"Den ganzen Jazz habe ich erschaffen"

Die Version des "King Of Swing" mit einem berühmten Trompetensolo von Bunny Berigan machte das Stück unglaublich populär. Alle erdenklichen Bands von Count Basie und Chick Webb über Tommy Dorsey bis Glenn Miller nahmen es auf, so gut wie alle bis auf Duke Ellington. Der schrieb sich seine Hits selber und hatte Morton befehdet - natürlich wegen einer Urheberrechtsgeschichte.

Morton profitierte nicht vom Erfolg seines "King Porter Stomp" und dem anderer Kompositionen, an denen er die Rechte oft verkaufte. Morton: "Alles in allem hat man mich um drei Millionen Dollar beraubt. Jeder spielt heute meine Sachen, und sie nennen nicht einmal meinen Namen. Kansas-City-Stil, Chicago-Stil, New-Orleans-Stil - zum Teufel! Das alles ist Jelly-Roll-Stil. Ich habe jetzt viel zu tun, und die Besprechungen mit den Rechtsanwälten nehmen mir meine ganze Zeit; aber so viel habe ich nun auch wieder nicht zu tun, dass ich nicht überall herumkomme und Jazz höre, den ich selbst vor fünfundzwanzig Jahren kreiert habe, noch ehe die meisten von diesen Kindern überhaupt auf der Welt waren. Den ganzen Jazz, der heute gespielt wird, habe ich geschaffen, und wenn ich für meine Arbeit rechtmäßig bezahlt worden wäre, hätte ich jetzt drei Millionen Dollar mehr als ich jetzt habe."

Morton lieferte den anderen die Bausteine

Er bezeichnete sich als "Originator of Jazz and Stomps" und als "World’s Greatest Hot Tune Writer". Freilich hat nicht ein Einziger den Jazz erfunden, doch der Begriff "Stomp", der nichts Anderes meint als Musik, die heftiges Fußstampfen auslöst, geht auf ihn zurück. Sein eigenes Stampfen war übrigens bisweilen ein echtes Problem für Aufnahmetechniker. Als Komponist hat Morton in der Frühzeit des Jazz wirklich eine Vorrangstellung. Ganze Generationen von Musikern haben sich bei ihm bedient, als wäre sein Werk ein riesiger Steinbruch für ihre Bausteine. Ein Beispiel gefällig? Eines, an das man gar nicht denken würde? Wo kommen wohl die ersten Takte von Ray Charles‘ "Mess Around" her?

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Ray Charles - Mess Around (1953)

Das einprägsame Eröffnungsmotiv von "Mess Around" hatte vielleicht schon ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel, als der Soul Brother es 1953 aufnahm. Es taucht schon im "New Orleans Blues" auf, den Jelly Roll Morton am 17. Juli 1923 als "New Orleans Joys" eingespielt hat, ein Stück, das damals etwa 20 Jahre alt war.

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New Orleans Joys - Jelly Roll Morton | Bildquelle: althazarr's good time oldies (via YouTube)

New Orleans Joys - Jelly Roll Morton

Sendungshinweis

15. Juni 2023 BR-Klassik, 23.05 – 0.00 Jazztime mit Benedikt Schregle. Eine Chronik des Jazz (30) von Marcus Woelfle: "King Porter Stomp" - Juni und Juli 1923

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