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Sängerin Joan Baez wird 80 Die schöne Stimme des Gewissens

Unterhalten wollte sie nie. Stattdessen aufrütteln und Gemeinschaftsgefühle wecken. Das ist der Amerikanerin Joan Baez, die einst Bob Dylans Karriere förderte und sechs Jahrzehnte lang weltweit für den Frieden sang, mit berückendem Timbre gelungen. Am 9. Januar 2021 ist die "First Lady of Folk" und "Madonna der Protestbewegung" 80 Jahre alt geworden.

Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Joan Baez zum 80. Geburtstag

Ein Blick auf eine Küchenzeile mit Kacheln, rustikal-braunen Holzschränken, Pfannen über einem Herd. Davor eine elegante Frau mit weißem, kurz geschnittenen Haar und akustischer Gitarre. Am 2. April 2020, während des ersten Corona-Lockdowns, stellt Joan Beaz dieses Video auf Youtube. Hier adressiert sie sich an Frankreich – und singt eines der bekanntesten Lieder des französischen Dichtersängers Georges Brassens als Grußadresse: das Freundschaftslied "Chanson pour l'Auvergnat", das von Hilfe in Zeiten der Not handelt.

Joann Baez singt für Frankreich

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Joan Baez sings for France (2020) | Bildquelle: diamondsandrustpro (via YouTube)

Joan Baez sings for France (2020)

Zwar hat Jean Beaz 2019 ihren Abschied von den Konzertbühnen der Welt mit einer Tournee gefeiert. Aber in diesem "neuen Krieg" gegen Covid-19 tritt sie mit ihrer Stimme wieder an die Öffentlichkeit – per Video. An unterschiedliche Länder adressiert sie diese Botschaften. Und manche auch ans eigene Land. All denen, die in der "front line" arbeiten: Ärztinnen und Krankenpflegern, Farmarbeitern, Truckern, Angestellten in Lebensmittelläden sowie auch Leichenbestattern, widmet sie in einem der Videos Bob Dylans Song "Forever Young". Eine Frau, die sich einmischt, immer noch. Joan Baez, eine Stimme der Solidarität. Und das seit inzwischen über sechzig Jahren.

Traurige Lieder werden plötzlich tröstlich

Früh hat sie sich in die Gehörgänge und Gedächtnisse eingeprägt. Wie ein warmer Lufthauch kann sich diese Stimme um die Worte legen. Und plötzlich klingen tieftraurige Lieder ungemein tröstlich. "All my trials" heißt ein lyrischer alter Folksong, der oft für einen Spiritual gehalten wird. "Still, mein Kind, weine nicht: Du weißt, deine Mama wurde geboren, um zu sterben. All meine Prüfungen werden bald vorbei sein", heißt es da: 1960 nahm die damals noch keine 20 Jahre alte Sängerin Joan Baez dieses Lied auf, sang es so eindringlich wie zart.

Die Melodie, die langsam aufwärts schreitet und bei dem Wort für Weinen auf einer scharf und dramatisch wirkenden kleinen Septime verharrt, geht, von dieser Stimme gesungen, sofort unter die Haut. Der dissonante hohe Ton sticht, alarmiert – doch die anschmiegsamen Töne danach, in der Refrainzeile, versorgen das Gemüt gleich wieder mit Balsam. Eine Stimme, die warnen will und zugleich von vielen wie eine heilende Kraft empfunden wird: Das ist die Stimme von Joan Baez.

"Schade, dass Sie Kommunistin sind"

Joan Baez beim Woodstock Festival | Bildquelle: picture-alliance/dpa Joan Baez in Woodstock. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Diese Stimme bringe "Engel zum Weinen", sagte man ihr nach. Ihr zeitweiliger Freund und früher Bühnenpartner Bob Dylan fand, diese Stimme könne "böse Geister austreiben". Es ist eine schöne, ebenmäßige, auch kraftvolle Stimme, die auch ganz ohne Begleitung ein Publikum von vielen tausend Menschen mit Songs wie "We Shall Overcome" fesseln konnte. Diese Sängerin war und ist auch politische Aktivistin. Mit ihren Tönen identifizieren sich auch deshalb seit sechs Jahrzehnten Menschen auf der ganzen Welt. Viele lieben sie für ihre Integrität. Manche haben sie gehasst – aus demselben Grund. Nur kalt lässt sie kaum jemanden. John Lennon konnte ihren Gesang nicht leiden. Und ein Gitarrenbauer hinterließ im Inneren ihres Instruments die erst Jahre später entdeckte Inschrift: "Schade, dass Sie Kommunistin sind". Was übrigens falsch war. Joan Baez – eine Person mit Profil.

Erst Mensch, dann Pazifistin, dann Sängerin

Mit dem Bürgerrechtler Martin Luther King protestierte sie 1963 in Washington. In einer Delegation der Friedensbewegung besuchte sie an Weihnachten 1972 Hanoi und entkam nur knapp einem Bombenhagel durch die USA. Im kriegszerstörten Sarajevo sang sie 1992 für die Menschen auf der Straße. Für ihre pazifistische Überzeugung ging sie sogar zweimal ins Gefängnis. "Wenn man schon Etiketten für mich braucht", sagte sie in einem Interview einmal, "dann zuerst bitte 'menschliches Wesen', gefolgt von 'Pazifistin', und wenn immer noch eines benötigt wird, na gut, meinetwegen 'Folksängerin'." Das politische Engagement kam bei ihr direkt aus einem religiösen Elternhaus. Ihr Vater, Albert Baez, ein Physiker, lehnte aufgrund seiner pazifistischen Einstellung hochbezahlte Arbeit für die Rüstungsindustrie ab, wandte sich dann der Entwicklungshilfe zu. Die Familie zog deshalb häufig um, lebte in unterschiedlichen amerikanischen Staaten, aber auch in Paris, Rom und Bagdad. Die Weltgewandtheit der Joan Baez kam also auch aus unbequemen äußeren Umständen.

Die Entdeckung von Newport 1959

Dunkle Haut, dunkle Augen: Früh fühlte sich die Tochter einer Schottin und eines gebürtigen Mexikaners als Außenseiterin, angesichts blonder, helläugiger Mustertöchter. Dann entdeckte sie den Gesang. Knetete täglich mit den Fingern ihren Kehlkopf, um ihre Stimme zu kräftigen. Und feierte alsbald Erfolge. Ihre Entdeckung 1959 beim ersten Newport Folk Festival erzählt sich wie ein Märchen. Der Organisator George Wein hatte eigentlich das Programm schon voll und wollte die "sehr sehr aufregende" junge Sängerin, von der ihm der damals sehr bekannte Banjo-Spieler, Gitarrist und Sänger Bob Gibson vorschwärmte, nicht mehr einbauen.

Doch Gibson, begeistert von der etwa zehn Jahre jüngeren Kollegin, holte Joan Baez einfach auf die Bühne, nachdem er selbst ein paar Lieder gesungen hatte. Danach wurde nicht etwa er, sondern die schwarzhaarige 18-Jährige, die in Jesuslatschen und Schlabberpullover erschienen war, von Bewunderern umringt. Der Kritiker Robert Shelton von der New York Times, einer der bedeutendsten Berichterstatter über die damalige junge Folk-Szene, pries ihre Stimme als "schmerzhaft rein". Und Impresario George Wein notierte später in seinen Memoiren über diesen ersten großen Moment der Joan Baez: "Auf Anhieb wurde sie nicht nur die große Entdeckung, sondern auch das lebende Symbol des ersten Newport Folk Festivals".

Joan Baez und Bob Gibson in Newport

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Joan Baez & Bob Gibson - We Are Crossing The Jordan River | Bildquelle: thebeardedwoman (via YouTube)

Joan Baez & Bob Gibson - We Are Crossing The Jordan River

Verehrung für Bob Dylan

Bob Dylan und Joan Baez | Bildquelle: picture-alliance/dpa Bob Dylan und Joan Baez | Bildquelle: picture-alliance/dpa Die Großzügigkeit ihres älteren Kollegen Bob Gibson gab sie alsbald weiter. Sie förderte Anfang der Sechzigerjahre den näselnden Dichtersänger Bob Dylan. Als ihn noch niemand kannte, überließ Joan Baez ihm in ihren eigenen Auftritten stets für ein paar Stücke die Bühne. Sie verehrte ihn, liebte ihn, sie wurden ein Paar, doch er verließ sie irgendwann für andere Abenteuer. Seinen Liedern, den Werken eines der größten Songwriting-Genies des 20. und frühen 21. Jahrhunderts, blieb sie stimm- und wortstark treu. Und das, obwohl er ihr einst vorhielt, sie könne ja nicht so recht mit Sprache umgehen: "Lausig" fand er ihre Songlyrik. Sie antwortete mit dem wunderschönen Lied "Diamonds & Rust", in dem sie Dylan sehr sprachgewandt unter anderem als "ungewaschene Erscheinung" und als "Urvagabunden" charakterisierte.

Mit Musik Gemeinschaftsgefühle schaffen

Joan Baez sang mit Wolf Biermann und Konstantin Wecker, rüttelte ihr Publikum in Washington, Woodstock oder auch Danzig auf. Sie interpretierte amerikanische Klassiker und deutsche Protestsongs, französische und spanische sowieso. So hartnäckig wie sie war im Musikgewerbe kaum jemand sanft – und niemand auf so feinfühlige Art standhaft. Als Schülerin des großen Protestsängers Pete Seeger ging es ihr darum, mit Musik Gemeinschaftsgefühle zu schaffen und für Überzeugungen einzutreten.

Sie sang gegen Diktaturen und Menschenrechtsverletzungen, war laut dem Schriftsteller und späteren tschechischen Präsidenten Václav Havel einst eine wichtige Inspiration für die "samtene Revolution" in der einstigen Tschechoslowakei. Sie traf in Polen den Solidarnósc-Gründer Lech Wałęsa und aß in Frankreich mit Präsident Mitterrand und dessen Frau zu Abend, nicht ohne mit den beiden über Mahatma Ghandi zu diskutieren. Anders als Bob Dylan, der schon Mitte der 1960er Jahre den Weg der politischen Einmischung verließ (was sie ihm eine Zeitlang vorwarf), blieb sie politisch am Ball und setzte sich über Jahrzehnte hinweg in vielen Ländern der Welt für Frieden und Menschenrechte ein.

In den 80ern nicht "zeitgemäß"

Auch in ihrer Karriere allerdings war nicht alles rosig. In den 1980er Jahren war sie zwar als politische Ikone in West- und Osteuropa besonders gefragt, doch in den USA schien ihr Stern zu sinken. 1985 eröffnet sie beim großen Live-Aid-Event den amerikanischen Part im Stadion in Philadelphia – in einem nur siebenminütigen Gastspiel ohne Gitarre und ohne Band, während die Fans eher auf die erste Rockband warteten. Auf der Anreise dorthin hatte der Taxifahrer sie nicht erkannt. Ähnliches passierte ihr im selben Jahrzehnt auch mit einem Stimmcoach, bei dem sie einige Stunden nimmt. Beim ersten Treffen horchte der erst bei der Nennung ihres Namens auf. Sie resümierte später selbst: Sie sei einfach "nicht mehr zeitgemäß" gewesen.

Joan Baez bei "Live Aid" 1985

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Joan Baez - Amazing Grace (Live Aid 1985) | Bildquelle: Live Aid (via YouTube)

Joan Baez - Amazing Grace (Live Aid 1985)

Eine Oktave tiefer

Das ist heute anders. Durch den Erfolg vieler junger Singer-Songwriter von Ed Sheeran bis Billie Eilish ist Musik, die in Folk-Sounds wurzelt, wieder stark im Trend. Figuren wie Joan Baez oder auch die große kanadische Singer-Songwriterin Joni Mitchell sind längst als Vorbilder für junge Stars wiederentdeckt worden. Und die natürliche Musikalität einer Interpretin wie Joan Baez ist längst wieder etwas vielfach Bewundertes. In ihren bisher letzten Studio-Aufnahmen, die 2018 auf dem Album "Whistle Down The Wind" erschienen, klingt sie zwar nicht mehr so energiegeladen wie früher, aber immer noch hat ihre Stimme eine besondere Anmut. Dunkler ist diese Stimme geworden. Baez selbst sprach in einem Interview davon, dass sie jetzt  "eine Oktave tiefer" singe.

Das Gegenteil von sperrig

Genau diese Schönheit ist es, mit der Musikfans aus anderen Lagern oft haderten. Gerade Bob-Dylan-Fans hatten manchmal ihre Not mit Joan Baez' Interpretationen von Dylan-Songs. Die durch exzessives Verschleifen und Quetschen der Melodien besonders sperrige Art, in der Bob Dylan selbst interpretiert, ist das genau Gegenteil des Stils von Joan Baez. Bei ihr fließt alles – und für manche etwas zu sehr. Doch auch Dylan-Fans dürften herzlich lachen, wenn sie dieser Tage Baez' 1975 veröffentlichte Version des Dylan-Songs "Simple Twist Of Fate" anhören, in der sie in einer der mittleren Strophen mit viel komödiantischem Geschick Dylans Gesangsstil imitiert.

Joan Baez singt "Simple Twist of Fate"

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Simple Twist Of Fate | Bildquelle: Joan Baez - Topic (via YouTube)

Simple Twist Of Fate

Stimme der Aufrichtigkeit

Joan Baez: eine Sängerin, die bereits in den frühen Jahren ihrer Karriere eine Ikone war. Und die es geschafft hat, das zu bleiben. Man hört Melodie für Melodie von ihr, und man kann es kaum fassen, dass eine Stimme des Gewissens so schön sein kann. Es ist nicht nur eine schöne Stimme, sondern auch eine bewundernswert aufrichtige. Wenn eine solche Stimme vom Traum einer besseren Welt singt, dann ist das keine Attitüde. Und eines steht fest: Bis in die jüngste Zeit hat Joan Baez noch immer viele Gründe, der Menschheit eine bessere Welt zu wünschen – und das nicht nur wegen der Corona-Pandemie.

Sendung: "Piazza" am 9. Januar ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Buchtipps:

Elisabeth Thomson: "Joan Baez – The Last Leaf", Palazzo, 2020, 224 Seiten
Jens Rosteck: "Joan Baez – Porträt einer Unbeugsamen", Osburg Verlag 2019, 358 Seiten

Kommentare (1)

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Freitag, 08.Januar, 16:29 Uhr

Elsbeth

Joan Baez 80. Geburtstag

BRAVO Joan Baez !

Wenn alle Menschen so wie Joan Baez wären würden wir in einer viel, viel schöneren Welt leben.
Danke für alles Joan. Sie begleiten mich seit 50 Jahren wie ein roter Faden durch mein Leben.

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