Der Inselstaat Taiwan ist ein Dauerthema in den Nachrichten. In seiner Neujahrsansprache sagte zuletzt der chinesische Präsident Xi Jinping, dass die Wiedervereinigung mit China "unvermeidlich" sei. Solche Töne sorgen im demokratisch regierten Taiwan verständlicherweise für Besorgnis. Präsidentin Tsai Ing-wen appelliert an China, doch die friedliche Koexistenz beider Staaten zu respektieren. Der unbedingte Selbstbehauptungswille Taiwans drückt sich auch in der Kultur aus. So wird auf der Insel seit dem 19. Jahrhundert westliche klassische Musik gepflegt.
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Wie ein buddhistischer Tempel sieht sie aus, die 1987 eröffnete National Concert Hall in Taipeh, der Hauptstadt von Taiwan. Aber nur von außen. Der große Saal ist hypermodern. Das Konzerthaus ist unter anderem Spielstätte des Evergreen Symphony Orchestra unter Leitung seines deutschen Chefdirigenten Gernot Schmalfuss. Finanziert wird dieses Orchester zu 100 Prozent von einer Schiffsrederei, einem der finanzstärksten Konzerne des Landes.
Die Geschichte der Pflege westlicher klassischer Musik in Taiwan ist relativ jung. Sie begann erst mit der Besetzung der Insel durch Japan im Jahr 1895. In deren Folge wurde das erste Sinfonieorchester gegründet. Doch von einer Art Klassik-Boom kann man erst in den 1930er- und 1940er-Jahren sprechen. Die meisten Menschen hätten damals klassische Musik gehört, etwa im Radio oder vom Grammophon, so Soziologe und Musiklehrer Szu-wei Chen. Es gab sogar öffentliche Konzerte, bei denen das Publikum Grammophonplatten mitbringen durften, die dann mit Verstärkung abgespielt wurden. Im Radio gab es Liveübertragungen von Konzerten aus Tokio und Osaka.
Das Ende der japanischen Besatzung Taiwans 1945 bedeutete auch das vorläufige Ende der Pflege westlicher klassischer Musik in Taiwan. Erst mit der Demokratisierung des Landes in den späten 1980er-Jahren wurden wieder regelmäßig Sinfonieorchester aus Europa eingeladen. Seit Eröffnung der nationalen Konzerthalle in Taipeh 1987 kommen pro Saison im Schnitt vier westeuropäische Orchester zu Gastspielen nach Taiwan, so wie etwa im November letzten Jahres das Gewandhausorchester aus Leipzig. Das gastierte auch in der zweitgrößten Stadt des Landes, in Kaohsiung. Denn dort steht die "Elbphilharmonie" Taiwans, das vor fünf Jahren eröffnete "Weiwuying Center for the Arts". Ein riesiger Bau, von außen ganz in weiß, mit geschwungenen Formen, scheinbar ohne rechte Winkel. Im Inneren steigen die Ränge weinbergartig rund um die Bühne auf. So gibt es keine Distanz zwischen Bühne und Publikum, alle Menschen sind Teil der Aufführung, wie der Intendant des Hauses, Wen-pin Chien, anmerkt: "Wir wollen die Kunst und das Leben, die Besucherinnen und Besucher mit den Künstlerinnen und Künstlern enger zusammenbringen."
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Auch das BRSO war 2018 zu Gast in Taiwan – mit seinem damaligen Chefdirigent Mariss Jansons.
Das "Weiwuying Center for the Arts" besitzt übrigens die mit 105 Registern größte Konzertsaal Asiens, erbaut von der deutschen Firma Johannes Klais aus Bonn. Intendant Wen-pin Chien, der selbst etliche Jahre an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf als Kapellmeister tätig war, ist es ein Herzensanliegen, das Bauwerk auch internationalem Publikum zeigen zu können: "Es atmet Demokratie, es ist offen für alle. Es steht für die Freiheit und Gleichheit aller, es ist der Ausdruck einer offenen Gesellschaft."
Sendung: "Allegro" am 8. Januar 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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