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"Krieg und Frieden" an der Bayerischen Staatsoper Reaktionen und Kritikenspiegel

Russischer Patriotismus? Solche Themen sind nach Russlands Angriff auf die Ukraine gerade heikel. Die Neuinszenierung von Prokofjews "Krieg und Frieden" durch Dmitri Tscherniakow an der Bayerischen Staatsoper bekam trotzdem überwiegend positive Kritiken. Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Szene aus "Krieg und Frieden" an der Bayerischen Staatsoper, März 2023. | Bildquelle: Wilfried Hösl

Bildquelle: Wilfried Hösl

Es ist die am meisten diskutierte, aber wohl auch am meisten erwartete Premiere der laufenden Saison an der Bayerischen Staatsoper. Denn: Sie birgt ein Risiko. Nämlich die Gratwanderung, Prokofjews "Krieg und Frieden" jetzt aufzuführen, wo Russland die Ukraine angreift und längst überkommene großrussische Phantasien heraufbeschwört. Und somit die Herausforderung, sich dem russischen Patriotismus mit Fingerspitzengefühl zu nähern. Das scheint gelungen zu sein, denn die Inszenierung wurde zum allergrößten Teil positiv besprochen. BR-Klassik-Kritiker Bernhard Neuhoff zeigte sich von der Inszenierung weitgehend begeistert. Doch warum genau dem Regisseur Dmitri Tscherniakow und dem Ensemble der Bayerischen Staatsoper dieser schwierige Stoff geglückt ist, darüber sind sich die Kritikerinnen und Kritiker der größeren Medien nicht ganz einig. Und auch in der BR-KLASSIK-Community gibt es geteilte Meinungen.

Fokus auf die musikalische Qualität im Tagesspiegel

Für Kritikerin Eleonore Büning liegt das an zwei Punkten. So sei in der Inszenierung der Krieg allgegenwärtig: "Es ist der, den Russland zur Zeit gegen die Ukraine führt." Des weiteren überzeugt Büning hauptsächlich die Besetzung und die musikalische Qualität: Und die internationalen Sängerinnen und Sänger gingen alle "darstellerisch an ihre Grenzen. Nicht zuletzt dieser Umstand und die Kompromisslosigkeit, mit der Dirigent Vladimir Jurowski den lyrischen Schönheiten wie auch den martialischen Effekten von Prokofjews Schmerzenspartitur zu ihrem Recht verhilft, machen daraus einen einmalig großen Abend."

Arsen Soghomonyans herausragender Tenor in der SZ

Auch Reinhard Brembeck sieht in der Süddeutschen Zeitung das Risiko, das in dieser Aufführung steckt: "Also war es durchaus riskant, dieses nur selten gespielte Stück politischen Theaters anzusetzen. Es war auch keineswegs vorherzusehen, dass das Publikum derart positiv auf die Aufführung reagieren würde", schreibt er. Und auch er lässt sich am meisten von der musikalischen Leistung überzeugen, insbesondere vom armenischen Tenor Arsen Soghomonyan: "Sein Tenor glüht, er hält gegen alle Anfechtungen, alle Gräueltaten stand. Soghomonyans Besuchow erhält zuletzt den meisten Beifall. Denn dieser nicht korrumpierbare Mensch formuliert einen Gegenentwurf zur kriegslüsternen Welt, er lebt einen Humanismus, in dem es keine Feinde gibt, sondern nur Menschen."

Die Münchner Aufführung - auch ein Zeichen gegen die Cancel-Culture?

Markus Thiel (Münchner Merkur) und Joachim Lange (Der Standard) stellen hingegen eher die Inszenierung als ausschlaggebend für das Glücken dieser risikoreichen Premiere dar. "Dabei ist der Abend so stark, gerade weil er trotz Griff in die russische Zitate-Kiste einen gedanklich wegführt von Kiew und Moskau zu den anderen Gräuelorten. Im Grunde also das Beste, was Prokofjew passieren konnte", schreibt Thiel.

Szenenbild Prokofjews "Krieg und Frieden" - Bayerische Staatsoper März 2023 | Bildquelle: © Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper Szene aus "Krieg und Frieden". | Bildquelle: © Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper "In Zeiten, in denen Russland seinerseits die Rolle des Aggressors einnimmt, ist es denn auch eine besondere Herausforderung, hier szenische Lösungen zu finden. Regisseur Dimitri Tcherniakov gelingt das", findet Lange im österreichischen "Standard". Dass dieser berühmte Saal auf der Münchener Bühne die Anmutung einer Notunterkunft für Flüchtlinge (oder Bedrängte) von heute habe, sei wohl die zentrale Pointe, mit der Tcherniakov Position bezieht, führt er aus. Noch wichtiger ist für Lange die Aufführung als ein Statement gegen die Cancel-Culture: "Wer wie Serge Dorny nach dem Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine vor über einem Jahr an der Entscheidung für dieses Stück festhält, gibt damit per se auch ein Statement gegen jene Cancel-Culture ab, die eine Verbannung russischer Kunst fordert."

Und letztendlich erörtert die Aufführung Fragen, die auf eine russische Bühne gehören, dort aber derzeit nicht diskutiert werden können.
Robert Braunmüller, Abendzeitung

Den Fokus auf Russland setzt auch Robert Braunmüller in der "Abendzeitung" und stellt fest: "Und letztendlich erörtert die Aufführung Fragen, die auf eine russische Bühne gehören, dort aber derzeit nicht diskutiert werden können." Wenn diese Oper heute aufgeführt werde, dann so und nicht anders, lobt er, denn Tscherniakov und Jurowski "packen das Übel an der Wurzel und üben radikale russische Selbstkritik". Das "Maß an Selbstreflexion russischer Künstler" stimme ihn optimistisch. "Noch ist dieses Land nicht verloren."

Geteilte Meinungen in der BR-KLASSIK-Community

In der BR-KLASSIK-Community auf Facebook sind die Meinungen geteilt. So geht die Inszenierung für Dagmar N. im zweiten Teil nicht mehr auf. Das "Pathos vom heiligen Russland" und die russischen Flaggen auf den Wangen der Darsteller oder die Leninbüste findet sie nur "schwer erträglich". Agnes D. ist hingegen begeistert: "Es war erschreckend, gewaltig und großartig. BRAVI TUTTI !" Und Frank. O. zieht im Erleben der Musik Parallelen in die deutsche Geschichte: "Das Pathos gehört einfach dazu, weil es sehr gut an den Stil der Stalinzeit erinnert. Es erinnert beim Hören auch sofort an sowjetische Filme, die in den 50er und frühen 60er Jahren im Osten Deutschlands zu sehen waren."

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