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Uraufführung - Scartazzinis "Edward II." in Berlin Peinlich und langweilig

Schwule hatten es im Mittelalter nicht leicht. König Edward II. wurde wegen seiner Neigung 1327 gepfählt. Über diesen gruseligen Stoff schrieb Andrea Lorenzo Scartazzini eine Oper. In Berlin feierte sie nun ihre Uraufführung - in einer Inszenierung von Christof Loy.

Szenenbild aus "Edward II." von Andrea Scartazzini an der Deutschen Oper Berlin | Bildquelle: © Monika Rittershaus

Bildquelle: © Monika Rittershaus

Ja, ab und zu regt sich im Theater tatsächlich noch jemand über Homosexualität auf. Etwa in der Bayerischen Staatsoper in München, wenn in Tschaikowskys "Eugen Onegin" mal wieder halbnackte Cowboys übers Bett springen, oder wenn Benjamin Brittens schwuler Matrose "Billy Budd" sein trauriges Schicksal besingt. Abendfüllend ist Homosexualität aber schon lange nicht mehr, außer vielleicht in Moskau oder Warschau, wo die Männerliebe noch wirklich gefährlich ist, und der Kampf um Toleranz bisweilen handgreiflich ausgetragen wird.

Sex and crime auf der Bühne

Ausgerechnet in Berlin jedoch eine neue Oper über Homosexualität auf die Bühne zu bringen, kommt schätzungsweise fünfzig Jahre zu spät - jedenfalls dann, wenn es irgendwie relevant, umstritten, aufsehenerregend sein soll. Insofern hatte der Stückeschreiber Thomas Jonigk keine leichte Aufgabe, als er sich das englische Schauerstück "Edward II." aus dem Jahr 1593 vornahm und aktualisierte. Der geniale Renaissance-Dichter Christopher Marlowe hatte damals einen echten Reißer zu Papier gebracht - mit viel Sex und Blut, wie es zu Shakespeares Zeiten auf den Bühnen üblich war.

Opernabend ohne Spannung

Szenenbild aus "Edward II." von Andrea Scartazzini an der Deutschen Oper Berlin | Bildquelle: © Monika Rittershaus Bildquelle: © Monika Rittershaus Edward II., der schwule Paradiesvogel in der englischen Geschichte, war ein mindestens so dankbarer Stoff wie Doktor Faust. Der König wurde 1327 in der Tat gepfählt, weil er sich anscheinend weder an Moral noch an damals übliche Konventionen hielt und seinen Günstling und Liebhaber Piers Gaveston hemmunglos verhätschelte - auch mit öffentlichen Ämtern. Diese Geschichte buchstabierte Thomas Jonigk nun in neunzig Minuten nach, leider gänzlich uninspiriert und humorlos. Nun muss so ein düsteres Stück wahrlich nicht witzig sein. Jonigk allerdings versuchte es immer wieder, was den Abend umso peinlicher machte.

Tiefpunkt des Librettos war ein Vergleich der Verfolgten, nämlich der Homosexuellen und der Juden, und wer von diesen beiden Minderheiten aus Sicht der Mehrheit nun schlimmer sein mochte. Die Musik des Italieners Andrea Lorenzo Scartzazzini gab sich hochdramatisch, nämlich oft dick instrumentiert und laut, war aber letztlich wenig ergreifend. Es wurde immer wieder gesprochen, der Gesang dazwischen blieb erstaunlich gleichförmig und gefühlsarm. Für eine Oper war es viel zu spannungsarm und undramatisch, für ein Oratorium zu spröde und für ein Agitationsstück zu altmodisch.

Christof Loy bedient Klischees

Szenenbild aus "Edward II." von Andrea Scartazzini an der Deutschen Oper Berlin | Bildquelle: © Monika Rittershaus Bildquelle: © Monika Rittershaus Stattdessen leistete sich auch Regisseur Christof Loy jede Menge Klischees. Der Bischof trägt Damenmode, auch unten drunter, und tätschelt vielsagend ein Kind. Das Volk trifft sich zur Demo für die Traditionsfamilie, also Mutter, Vater, Kind. Alle regen sich über Edward II. auf, dabei ist der in dieser Uraufführung ungefähr so aufregend wie ein Beamter im gehobenen Dienst. Bei Christopher Marlowe war der König noch ein lebens- und sexgieriges Ungeheuer, das den Spießern zwangsläufig Angst machte. Liebhaber Gaveston lief in Berlin wahlweise in Unterwäsche oder im Pailletten-Kleid durch die Kulisse, für die Bühnenbildnerin Annette Kurz ein paar gotische Kirchenfenster entworfen hatte. Doch alle Beteiligten trugen Klamotten der modernen Großstadtgesellschaft, was die Aktualität ausgesprochen oberflächlich unterstreichen sollte.

Musiker können den Abend nicht retten

Die Oper mit einem Fremdenführer enden zu lassen, der eine Besuchergruppe durch das Schloss führt, in dem Edward ermordet wurde, war an Einfallslosigkeit kaum zu überbieten. So konnte dem Publikum noch schnell der Wikipedia-Eintrag zu Edward II. nachgeliefert werden. Schade, denn der Aufwand war enorm, und Dirigent Thomas Sondergard tat sein Bestes, um der Oper ein Mindestmaß an Energie einzuflößen. Auch die Sänger, darunter Michael Nagy in der Titelrolle und Ladislav Elgr als Gaveston, bemühten sich redlich, aber es blieb der Gesamteindruck einer vorzeitigen CSD-Parade oder eines Schwulen-Karnevals. Sehr pflichtschuldiger, allenfalls höflicher Applaus.

Infos und Termine

Andrea Lorenzo Scartazzini: "Edward II."

Deutsche Oper Berlin

Musikalische Leitung: Thomas Søndergard
Inszenierung: Christof Loy

Weitere Termine:
Freitag, 24. Februar 2017, 19:30 Uhr
Mittwoch, 1. März 2017, 19:30 Uhr
Samstag, 4. März 2017, 19:30 Uhr
Donnerstag, 9. März 2017, 19:30 Uhr

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