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Kritik – "Die Großherzogin von Gerolstein" in München Die Ente bleibt draußen

Jacques Offenbachs Militärsatire galt mal als "wehrkraftzersetzend" und in Russland wäre sie das vermutlich heute noch. Am Münchner Gärtnerplatztheater serviert Josef E. Köpplinger am Donnerstag eher einen bunten Abend über Männerbilder als eine Pazifismus-Revue.

"Die Großherzogin von Gerolstein" am Münchner Gärtnerplatztheater, Juan Carlos Falcón (Großherzogin), Daniel Prohaska (Prinz Paul) | Bildquelle: Jean-Marc Turmes

Bildquelle: Jean-Marc Turmes

Gut, dass dieses Herzogtum Gerolstein nicht an Russland grenzt. Wer weiß, was Putin damit machen würde. Bekanntlich kämpfen die Russen nach eigener Auffassung ja vor allem gegen die westlichen Werte im Allgemeinen und die Homosexualität im Besonderen, und da hätten sie in Gerolstein alle Hände voll zu tun. In diesem Zwergstaat nämlich sind Soldaten in erster Linie Lustobjekte, tanzen Schwanensee und werfen die Beine zum Galopp. Und weil die Großherzogin sich so furchtbar langweilt, ziehen sie sogar in den Krieg, nehmen aber mangels Feindberührung nur Tagestouristen gefangen.

Von Dresden nach München

Ja, es ist eine Soldatensatire, die Jacques Offenbach geschrieben hat, so scharf übrigens, dass sie zeitweise als "wehrkraftzersetzend" galt. Und es ist eine Abrechnung mit Kleinstaaterei, Wichtigtuerei, Machtgehabe und die sagenhafte Dummheit der Diktatoren. Regisseur Josef E. Köpplinger hatte seine Inszenierung zuerst an der Dresdener Semperoper gezeigt, ganz kurz vor dem ersten Corona-Lockdown. Da wundert es nicht, das jetzt, nach der Pandemie, die Premiere am Münchner Gärtnerplatztheater deutlich ausgelassener und fröhlicher war. Außerdem gilt das Viertel rund um das Theater als Hochburg der nichttraditionellen Lebensweisen, der Lesben und Schwulen, und nicht zuletzt für die versteht sich das Haus als erste Adresse.

Loriot lässt grüßen

Kein Wunder also, dass Köpplinger die Szene mit zahlreichen halbnackten Kerlen amüsierte und die titelgebende Großherzogin gar nicht genug bekommen konnte von ihrer forschen Truppe, allen voran der junge Fritz, den sie aus rein sexuellen Motiven vom Gefreiten zum General befördert. Zur Belohnung lässt sie ihm ein Schaumbad ein – aber die Enten blieben draußen, wie bei Loriot. Das alles war durchaus vergnüglich, hatte Schwung und Biss, vor allem durch das Dirigat von Michael Balke, wenn die Gesangstexte auch kaum verständlich waren. Da wären Mikrofone hilfreich gewesen.

Die Hauptrolle allerdings, die erwies sich einmal mehr als Problem. Bei der Premiere 2020 an der Dresdner Semperoper hatte sich die Wagner-gestählte Anne Schwanwilms mit ihrem unbeweglichen Pathos als glatte Fehlbesetzung erwiesen. Jetzt, in München, hatte Tenor Juan Carlos Falcón den Part übernommen. Als Travestie ging das in Ordnung, doch weder stimmlich, noch schauspielerisch hatte er die Ausstrahlung, die für diese sarkastische Rolle nötig gewesen wäre. Die Großherzogin ist eine Mischung aus mannstoller Megäre, skrupelloser Herrscherin und lustigem Partygirl. Eine Offenbach-Figur eben, anarchisch, frech, fernab aller guten Manieren. Da hätte es mehr Ego gebraucht, mehr Mut zur Provokation, mehr diabolische Abgründe.

Queer und bunt, aber wenig politisch

So war der Abend zwar queer und bunt, aber nicht gerade "wehrkraftzersetzend", wie es manche Zuschauer im 19. Jahrhundert empfanden. Gleichwohl hatte Intendant Josef E. Köpplinger manche schlüssige Idee: So gilt das Tragen eines rosa Tütü unter den Soldaten als Höchststrafe, stellt der Fummel doch das Wichtigste in Frage, das sie haben: Ihre Männlichkeit. Der Degen der herzoglichen Vorfahren ist denn auch das umjubelte Sinnbild aller phallischen Sehnsüchte: Immer wieder wird die halb vermoderte Waffe aus den Spinnweben gezogen, auf dass sie den Machismo bedient. Durch und durch ein Männer-Ritual, die Frauen sind allenfalls Dekoration, dürfen etwas lieben und etwas intrigieren, sonst haben sie in diesem Gerolstein außer Gänsehüten wenig zu tun.

Klar, in Kriegszeiten wie unseren hätte diese bittere Militarismus-Abrechnung auch viel politischer sein können, viel düsterer. So schenkt sich die Herzogin am Ende ein paar Poster-Boys und gönnt sich ihren schwulen Verehrer als pflegeleichten Ehemann. Viel Beifall für Matteo Ivan Rašić als Fritz, der sogar im Handstand singt, für Alexander Grassauer als sonorer General Bumm und Sigrid Hauser als unverwüstliche Hofdame mit dem Dolch im Gewande. Mal sehen, ob Gerolstein an den nächsten Abrüstungsverhandlungen beteiligt ist.

Sendung: "Allegro" am 27. Januar 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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