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Kritik - "Michael Kohlhaas" in Regensburg Endzeit-Massaker eines Wutbürgers

Amoklauf im 16. Jahrhundert: Kleists Held nimmt sein Schicksal in die eigene Hand, mit blutigen Konsequenzen und bis zum tragischen Ende. Komponist Stefan Heucke sieht Parallelen zu den Klimaklebern – und fürchtet auch bei ihnen eine Radikalisierung. Das fesselt und begeistert das Publikum.

Benedikt Eder und Ensemble in  "Michael Kohlhaas" am Theater Regensburg | Bildquelle: © Marie Liebig

Bildquelle: © Marie Liebig

Rache wird kalt serviert, heißt es im Sprichwort, und das ist nicht mal das Schlimmste: Sie macht auch niemals satt. Nachzulesen ist das in der Novelle "Michael Kohlhaas" von Heinrich von Kleist, 1810 erstmals veröffentlicht. Damals bestand Kleist eigentlich nur aus Wut, zum Beispiel über die Franzosen, die Deutschland besetzt hielten, und er beschrieb einen historischen Vorgänger, der seinen Rachedurst, seinen Vernichtungswillen auslebte bis zum bitteren Ende. Komponist Stefan Heucke über seine Oper "Michael Kohlhaas" gegenüber dem BR: "Dieser Zorn über die Welt, wie sie nun mal bis heute ist, und der bei ihm ausgebrochen und eskaliert ist und zu schrecklichen Dingen geführt hat, dieser Zorn, den ich den 'Urzorn' genannt habe, der wohnt, glaube ich, in uns allen drin, wie wir hier stehen."

Auch Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert gibt sich die Ehre

Zwar hat Stefan Heucke nur für ein Orchester in aus heutiger Sicht kleiner Besetzung komponiert, also für Instrumente, wie sie zu den Zeiten von Kleist üblich waren, aber die klangliche Wucht ist enorm, nicht zuletzt, weil die Blechbläser enorm viel zu tun haben und Heucke auf einen hoch aggressiven Rhythmus setzt, als ob eine Zerstörungsmaschine los wütet, die alles platt macht. Das erinnert teils an die Wiederholungsschleifen der Minimal Music, teils an Marschmusik, teils an ein Trauerkondukt und ist selten ironisch.

Norbert Lammert, Ex-Bundestagspräsident, Opernfan, Kleist-Kenner und befreundet mit seinem Bochumer Mitbürger Heucke, hält die Thematik in seinem Vortrag kurz vor der Premiere für hoch aktuell: "Was Kleist und sein Kohlhaas gemeinsam haben, ist sicher, dass beide Egomanen sind, dass beide bis zur erklärten Kompromissunwilligkeit nicht kompromissfähig sind. Die im historischen Stoff wie in der Erzählung angelegte Eskalation ist ja nicht nur die Folge sich ständig ergänzender Ungerechtigkeiten, sondern auch der kategorischen Weigerung von Kohlhaas, irgendwo auf der Strecke irgendeinen Kompromiss zu machen."

Strittige Deutung, effektvolle Inszenierung

"Michel Kohlhaas" am Theater Regensburg | Bildquelle: © Marie Liebig Kohlhaas als Wutbürger | Bildquelle: © Marie Liebig Effekt macht diese Uraufführung in der Regie von Philipp Westerbarkei auf jeden Fall. Einmal mehr ist auf der Bühne eine schwarze Schräge zu sehen, längst stilbildend im zeitgenössischen Theater, wenn es um brachiale Stoffe mit Protestpotential geht. Ein Chor treibt die Handlung voran, mit viel Körpereinsatz die Brutalität symbolisierend: Es stapeln sich die schwarzen Leichensäcke. Wut, überall Wut, und das aus eigentlich nichtigem Anlass, weil Kohlhaas bei einem Grenzübertritt übers Ohr gehauen wird. Komponist Heucke schöpfte dabei aus einer sehr umstrittenen Inspirationsquelle: "Ich habe mich eigentlich mehr noch als an die Wutbürger, muss ich sagen, an die Last Generation erinnert gefühlt. Daran habe ich wirklich sehr stark denken müssen. Das ist eine ähnliche Reaktion der Hilflosigkeit, weil man gegen die Ungerechtigkeit und Untätigkeit nicht ankommt. Das habe ich durch die Erfahrung mit Kohlhaas wirklich besser verstanden. Ich würde jetzt nicht so weit gehen, mich an der Straße festkleben zu lassen, dazu bin ich zu alt und käme ich auch gar nicht wieder hoch, aber ich verstehe, was die antreibt, und ich sage das jetzt, es würde mich nicht wundern, wenn sie noch weiter gingen."

Kohlhaas als Klimakleber, der in den Terrorismus abrutscht? Eine ohne Zweifel strittige Deutung. Wie auch immer: Dieser blutige Gewaltritt nach Dresden, den Kohlhaas durchpeitscht, um zu seinem vermeintlichen Recht zu kommen, der fasziniert und fesselt über zweieinhalb Stunden. Dieser emotionale und physische Totaleinsatz reißt mit, nicht zuletzt wegen Paul Kmetsch in der Titelrolle. Auch die beiden weiteren Solisten Benedikt Eder und Patrizia Häusermann in vielfachen Rollen sind staunenswert präsent in diesem Endzeit-Massaker, in dem folgerichtig Martin Luther persönlich einen Auftritt hat.

Selten ist Oper aktueller!

Der Bewegungschor steht mit und ohne Gegenlicht und Nebelschwaden unter dramatischer Hochspannung. Dirigent Tom Woods stemmt diese Wutbürger-Fabel so engagiert, dass leider kaum ein Wort zu verstehen ist: Das Orchester tost und wütet geradezu enthemmt, vor allem vor der Pause, in den Kampfszenen. Insgesamt ein absolut zeitgemäßer Beitrag zu den politischen Konflikten der Gegenwart: So unverkrampft "aktuell", so aufwühlend, so überdeutlich im Anliegen ist Oper sehr selten. Scheint fast, als ob das arg zahnlose Lehrtheater aus Brechts Zeiten wieder richtig Biss hat.

Sendung: "Allegro" am 27. Mai ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Montag, 27.Mai, 09:56 Uhr

Barboncino

Michael Kohlhaas

So ist es richtig. Regisseure sollen sich bei modernen Opern mit ihren Inszenierungen " austoben". Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber sie sollen um Gottes willen die klassischen Opern in "Ruhe lassen". Moderne Opern bieten genug Möglichkeiten für jedes Regisseur-Ego.

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