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Kritik – "Die Großherzogin von Gerolstein" in Nürnberg Liebesräusche im Archiv

Sie liebt das Militär und die Männer und auch sonst benimmt sich Jacques Offenbachs Großherzogin von Gerolstein gern daneben. Im Staatstheater Nürnberg hat sie sich nun ins Archiv verzogen, dem Regisseur Andreas Kriegenburg in seiner ersten Operettenregie kafkaeske Züge verleiht.

Szenenbild aus "Die Großherzogin von Gerolstein" am Staatstheater Nürnberg | Bildquelle: Bettina Stöss

Bildquelle: Bettina Stöss

Die "Großherzogin von Gerolstein" hat gerade Hochkonjunktur auf den deutschsprachigen Bühnen. Nach Graz und München zückt sie jetzt auch in Nürnberg den Säbel, den von Papa, ihren ganz persönlichen Fetisch. Diese ironische Verbindung von Erotik und Militär macht den besonderen Reiz dieser Operette aus und es ist verwunderlich, dass alle drei Inszenierungen dieser Spielzeit, genau dieses Thema aussparen. Dabei ist es aktuell wie schon lange nicht mehr, vielleicht zu aktuell, um Offenbachs scharfe Satire auf den Militarismus in die Gegenwart zu verlegen. Bleibt also die Erotik, die Erotik einer skrupellosen Frau, die nicht davor zurückschreckt, ihre Macht für ihre Zwecke zu missbrauchen. MeToo mit umgekehrten Vorzeichen. Und zumindest in dieser Beziehung ist die Großherzogin aus Nürnberg am überzeugendsten.

Kampf um Ordnung gegen das Chaos des Lebens

Bühnenbildner Harald Thor hat dafür eine wunderliche Welt der Karteikästen, Rohre und Schaltknöpfe geschaffen. Es ist das Archiv des Großherzogtums Gerolstein. Hier wird noch mit Papier gearbeitet, mit Rohrpost und altertümlichen Mikrophonen hantiert. Bevölkert wird es von einer Schar von Archivaren, die alle uniform grau gekleidet sind, schwarze Pagenfrisuren à la Mireille Matthieu tragen und offenbar auch den selben Optiker haben. Andrea Schraads Kostüme sind wie ein Korsett, das den Figuren Haltung verleiht, aus dem sie aber am liebsten ausbrechen würden. Aber sie trauen sich nicht. Erst am Schluss zeigen sie in einer skurrilen Aktenordner-Choreographie, was in ihnen (den Aktenordnern) steckt: Spitzenhöschen!

Die Großherzogin in München

Lesen Sie hier unsere Kritik der Inszenierung am Gärtnerplatztheater.

Wie der Chor nicht nur dieses Ballett umsetzt, ist großartig und zeigt, wie intensiv und präzise Regisseur Andreas Kriegenburg hier gearbeitet hat. Denn das ist das Leitmotiv seiner Inszenierung: der Kampf um die Ordnung im Archiv gegen das Chaos des Lebens. Und so fängt sie auch an. Der Schauspieler Pius Maria Cüppers verheddert sich als Oberarchivar Nepomuk in das Kabel des Mikrophons, das er gerade aufstellt. Ein virtuoser Slapstick, gekrönt von einer absurden Ansprache über den Sinn der Ordnung und des Archivierens. Dieses Großherzogtum erinnert nicht umsonst an Franz Kafkas Schloss. Nur das Archivarenpäarchen Fritz und Wanda rebelliert verstohlen gegen diese Uniformität. Martin Platz und Chloe Morgan tun das mit erstaunlicher Körperakrobatik.

Erst schlingert die Inszenierung, dann fängt sie sich

Aufgebrochen wird die archivarische Friedhofsruhe dann von der Großherzogin höchstpersönlich. Leicht alkoholisiert phantasiert sie zur Freude der Belegschaft von Ihrer Vorliebe für Soldaten und insbesondere für Fritz. Dazu gesellen sich ihr Verlobter Prinz Paul, Haushofmeister Puck und General Bumm und damit Liebesaffäre, Militärsatire und Hofintrige. Die Handlungsebenen kommen durcheinander und die Aufführung verliert zeitweise den Faden.

Erst nach der Pause kriegt sie wieder die Kurve, wenn Fritz siegreich aus der Schlacht zurückkehrt, einer dank Alkohol gewonnenen Fuselschlacht, und die Großherzogin versucht, ihm eine Liebeserklärung zu entlocken. Bewusst verzichtet sie darauf, ihre Macht auszuspielen und bekommt prompt einen Korb. Eleonore Marguerre spielt diesen Zwiespalt wunderbar aus, und wenn sie danach verstört auf dem Souffleurkasten sitzt und Schokolade futtert, ist die Geschichte im Grunde auserzählt.

In Nürnberg darf der Cancan nicht fehlen

Dass sich die Großherzogin am Ende wieder fängt, versteht sich von selbst. Aber den restlichen dritten Akt mit seiner eigentlich überflüssig gewordenen Verschwörungsorgie hätte man sich sparen können, nicht dagegen das Carillon-Finale, das Offenbach selbst gestrichen hatte und das in Nürnberg trotzdem gespielt wird, mitsamt seiner furiosen Cancan-Coda. Lutz de Veer und die Staatsphilharmonie Nürnberg treffen hier wie auch sonst den trockenen Offenbach-Ton. Nur gegen den teils verzerrten, kalten Klang der akustischen Verstärkung der Sänger kommen auch sie nicht an. Das beeinträchtig den Genuss dieses gut gearbeiteten und amüsanten Abends.

Sendung: "Allegro" am 6. März ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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