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Rameaus "Zoroastre" an der Komischen Oper Berlin Ameisen sind auch ohne Nietzsche glücklich

Der eine leistet sich einen Yoga-Lehrer, der andere einen Aufsitz-Rasenmäher: Zwei Nachbarn bekriegen sich erbittert. An der Komischen Oper Berlin wird aus Jean-Philippe Rameaus Barock-Oper "Zoroastre" in der Regie von Tobias Kratzer eine Schlacht ohne Sieger. Am 18. Juni war Premiere.

Szene aus der Oper "Zoroastre" von Jean-Philippe Rameau an der Komischen Oper Berlin | Bildquelle: Monika Rittershaus

Bildquelle: Monika Rittershaus

Wenn sich zwei Nachbarn um ein Stück Rasen streiten, fragen sie ganz bestimmt nicht die Ameisen um ihre Meinung. Entsprechend gefährlich leben die unbeteiligten Insekten, was am Sonntagabend an der Komischen Oper Berlin so hintersinnig wie ironisch mitzuerleben war. Über drei Stunden hinweg bekriegen sich in Jean-Philippe Rameaus selten gespieltem "Zoroastre", besser bekannt als Zarathustra, die Mächte des Lichts und der Finsternis. Regisseur Tobias Kratzer machte daraus dankenswerter Weise kein Philosophie-Seminar, sondern einen erbitterten Kampf um einen läppisch kleinen Quadratmeter Wiese.

Öltanks und rostige Badewannen

Der Konflikt beginnt ganz harmlos mit einem Zaun, geht weiter mit Stacheldraht, Elektroschocks, Tellereisen, Sandsäcken, Kanonen, Gewehren und endet mit einem robusten Aufsitzmäher, dem mutmaßlichen Traum aller Trump-Wähler. Genauso sieht jedenfalls Abramane aus, der Fürst der Finsternis, der Diener der Hölle, der in einem schäbigen Bungalow haust, alles Grünzeug mit einem Häcksler beseitigt und seinen Garten mit rostigen Badewannen und einem riesigen Öltank verschandelt.

Direkt nebenan wohnt der kultivierte Bildungsbürger Zarathustra, der Meister des Lichts, der einen grünen Daumen hat, wie die prächtigen Dahlien verraten, der Bücher sammelt, Designermöbel liebt und sich einen Yoga-Lehrer hält. Ein Happy End gibt es nicht: Am Ende liegt alles in Trümmern, die Häuser und die Beziehungen - und die Ameisen, die immer wieder in Großaufnahme zu sehen sind, herzergreifend gespielt vom Chor. Sie liegen zerquetscht zwischen den Halmen.

Szene aus der Oper "Zoroastre" von Jean-Philippe Rameau an der Komischen Oper Berlin | Bildquelle: Monika Rittershaus Bildquelle: Monika Rittershaus Inspiriert wurde Tobias Kratzer dabei offenkundig von keinem Geringerem als Friedrich Nietzsche, der ja einen Hymnus auf Zarathustra verfasste und in seinen Aphorismen zu bedenken gab, dass der Mensch auch ohne letzte Wahrheiten Mensch sein kann, so wie die Ameise auch ohne religiöse Heilsgewissheit Ameise ist.

Längen trotz Kürzungen

Zweifellos ein originelles, unterhaltsames, intelligentes Regiekonzept, auch dank der Ausstattung von Rainer Sellmaier, der für diesen Kampf der Elemente herrlich absurde und sehr treffende Bungalow-Alpträume entworfen hatte. Regisseur Tobias Kratzer gilt ohnehin derzeit als einer der kreativsten Köpfe: Er ist viel beschäftigt und wird 2019 in Bayreuth den "Tannhäuser" inszenieren.

Das Problem dieses Abends war das Stück: Der Komponist Rameau war ein genialer Harmonie-Lehrer und -Erneuerer, aber nicht gerade ein talentierter Psychologe. Seine Musik bleibt kontrolliert, oft oberflächlich, distanziert, steril, auch eintönig. Trotz Kürzungen zog sich der Abend in die Länge.

Ganz unschuldig war Dirigent und Barock-Spezialist Christian Curnyn daran leider nicht. Allzu akademisch und unbeteiligt begleitete er das Geschehen: Der kühle, rationale Rameau hätte sehr viel mehr Emotion aus dem Orchestergraben benötigt. Im Barock sorgten ja Donner- und Windmaschine, sowie reichlich Blitze für die nötige Abwechslung.

Schurke in Cowboystiefeln

Szene aus der Oper "Zoroastre" von Jean-Philippe Rameau an der Komischen Oper Berlin | Bildquelle: Monika Rittershaus Thomas Walker als Zoroastre | Bildquelle: Monika Rittershaus Unter den Sängern begeisterte vor allem Thomas Dolié als böser Abramane in Cowboystiefeln und Basecap. Wenn er nicht gerade am Computer ballert oder mit dem Gewehr fuchtelt, fackelt er anderer Leute Eigentum ab oder fläzt sich in seine hässliche Sitzlandschaft. Auch stimmlich ein treffendes Rollenporträt! Weniger glaubhaft war Thomas Walker als Zarathustra: Stimmlich recht farblos und mitunter überfordert, fand er auch schauspielerisch nicht so recht zum verklemmten Bildungsbürger, der er sein sollte.

Großartig dagegen Nadja Mchantaf als intrigante, rachedurstige Èrinice. An solchen Gedankenexperimenten wie dem philosophischen Kampf zwischen Gut und Böse hatten und haben die Franzosen ja viel Freude. Sie lieben den Diskurs, die Debatte - und zwar um ihrer selbst willen. Rameau ist dafür ein gutes Beispiel, und zu seiner Zeit gab es ja noch keine Mediatoren. Sehr zum Bedauern der Ameisen!

Die Vorstellungen

Jean-Philippe Rameau:
"Zoroastre"
Tragédie in fünf Akten

Komische Oper Berlin
Inszenierung: Tobias Kratzer
Musikalische Leitung: Christian Curnyn

Premiere:
Sonntag, 18. Juni 2017, 19.00 Uhr

Weitere Termine (ohne Gewähr):
Samstag, 24. Juni 2017, 19.30 Uhr
Mittwoch, 28. Juni 2017, 19.30 Uhr
Donnerstag, 06. Juli 2017, 19.30 Uhr
Samstag, 08. Juli 2017, 19.30 Uhr
Freitag, 14. Juli 2017, 19.30 Uhr

Sendung: "Allegro" am 20. Juni 2017, 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK.

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