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Kritik – "Siegfried" in Landshut abgebrochen Held mit Erkältung

Kaum vor der Neidhöhle angekommen, in der das Ungeheuer haust, musste Wagners unerschrockener Schwertkämpfer passen: Die Premiere des ersten niederbayerischen "Rings" wurde vorzeitig beendet.

Szene aus "Siegfried" am Landestheater Niederbayern (2022) | Bildquelle: Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Bildquelle: Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Traurig genug, dass der fiese Drache diesmal überlebte: Der erste niederbayerische "Ring" steht unter keinem guten Stern. Erst verzögerte die Corona-Pandemie die Premieren um viele Monate, jetzt erkältete sich der Sänger des "Siegfried" im zugigen Theaterzelt in Landshut und musste sich im zweiten Akt geschlagen geben, noch bevor er seinen schuppigen Gegner zu Fall bringen und in Drachenblut baden konnte. Intendant Stefan Tilch musste die Premiere notgedrungen abbrechen, denn ein kleines Haus wie das Landestheater Niederbayern kann es sich nicht leisten, sämtliche Hauptrollen doppelt zu besetzen und hinter den Kulissen die Einspringer bereitzuhalten. Bekanntlich mussten auch die Bayreuther Festspiele in der vergangenen Saison mehrfach ihre Solisten austauschen. So wurde das Landshuter Publikum also nach gut zwei Stunden nach Hause geschickt.

Wagners "Siegfried" erstmals in Niederbayern aufgeführt

Szene aus "Siegfried" am Landestheater Niederbayern (2022) | Bildquelle: Landestheater Niederbayern/Peter Litvai Die Kulissen der Oper "Siegfried" gehen auf Reisen zwischen Landshut und Passau. | Bildquelle: Landestheater Niederbayern/Peter Litvai Bis dahin freilich erwies sich dieser "Siegfried" als durchaus ernstzunehmende Produktion. Und dass es die niederbayerische Erstaufführung war, hat mehr als regionale Bedeutung. Immerhin entstand die bedeutendste Handschrift des Nibelungenlieds um 1200 höchst wahrscheinlich am Hof des kunstsinnigen Passauer Bischofs Wolfger von Erla. Wagners Monumentalwerk kehrt also sozusagen an den Ursprungsort einer der literarischen Vorlagen zurück, endlich. Und ganz nebenbei macht dieser "Ring" wieder mal aufmerksam auf die große Kulturgeschichte Niederbayerns, einer wichtigen Transitregion nicht nur des Hochmittelalters.

Stefan Tilch und seine Ausstatter Karlheinz Beer (Bühne) und Ursula Beutler (Kostüme) müssen sich natürlich bescheiden, was den technischen Aufwand betrifft. Erstens gehen die Kulissen auf Reisen zwischen Landshut und Passau, zweitens fehlt im Landshuter Theaterzelt, das auch schon wieder acht Jahre alt ist, eine Drehbühne, eine Ober- und Untermaschinerie. Umso bemerkenswerter, dass es gelungen ist, die Magie des "Siegfried" in ansprechende, wenn auch nicht spektakuläre Bilder zu übersetzen.

Stefan Tilch inszeniert "Siegfried" als statische Welt

Es handelt sich ja um ein Nachtstück, ein schwarzes Märchen, und Stefan Tilch verwies vorneweg darauf, dass eigentlich alle im "Siegfried" schlafen oder beim "Wachen" mindestens mit dem Schlaf kämpfen. Eine statische Welt also, die hier vorgeführt wird. Auf einer Leinwand im Hintergrund ist ein Radarschirm zu sehen, auf dem die Positionen der Gegner in diesem Endspiel markiert sind. Eine Art Globus liegt auf dem Boden, Sinnbild des Kampfs um die Weltherrschaft. Immer wieder wuchert das Grün des Dschungels herein, "Siegfried" führt in den Wald, im doppelten Sinn des Wortes. Durchaus plausibel der Einfall, den jungen Hagen in einer stummen Rolle auftreten zu lassen. Er amüsiert sich über die Taschenspielertricks von Wotan, der hier als "Wanderer" unterwegs ist, samt Faschingskrawatte und Ansteckblume mit Wassereffekt: Da lernt einer frühzeitig, Leute zu manipulieren.

Niederbayerische Philharmonie liefert volle Wagner-Dröhnung

Dirigent Basil Coleman, der im Orchester und darüber hinaus durchaus umstritten ist, entscheidet sich, die "Boxen so richtig aufzudrehen", die volle Wagner-Dröhnung zu liefern, was schwer Eindruck machte, zumal alle Beteiligten offenbar gut geprobt hatten. Der Text-Verständlichkeit kommt das allerdings nicht zugute. Und dass "Siegfried" eigentlich ein komödiantisches Konversationsstück ist, ein "Scherzo" innerhalb des "Rings", blieb ebenfalls weitgehend unhörbar.

Erkälteter Michael Heim in der Titelrolle muss vorzeitig abbrechen

Szene aus "Siegfried" am Landestheater Niederbayern (2022) | Bildquelle: Landestheater Niederbayern/Peter Litvai Der dritte Teil der "Ring"-Tetralogie: Szene aus "Siegfried" am Landestheater Niederbayern. | Bildquelle: Landestheater Niederbayern/Peter Litvai Gleichwohl hatte das Landestheater Niederbayern wirklich überzeugende Solisten zu bieten, allen voran Stephan Bootz als "Wanderer" und Stefan Stoll als Alberich, aber auch Jeff Martin als eher dämonischer denn quirliger Mime. Michael Heim in der Titelrolle ließ im ersten Akt fast vergessen, dass er erkältet war, konnte allerdings nicht heldisch auftrumpfen, und war gut beraten, seine Stimme zu schonen und im zweiten Akt zeitig aufzuhören. Insgesamt ein "Siegfried" für Wagner-Neulinge und solche, die die Geschichte ohne Schnickschnack sehen möchten. Hoffentlich hat das Landestheater Niederbayern bei den Folgeaufführungen mehr Glück.

Sendung: "Leporello" am 7. November 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Dienstag, 08.November, 08:34 Uhr

Dr. Klaus Billand

Siegfried Premiere Landshut am 6.11.22

Eine gut und auch meinem Empfinden entsprechend geschriebene Rezension. Herr Jungbluth hat aber völlig unterschlagen, dass die Intendanz nach 20 Minuten Pause und überlegen dann noch „The best of act three“ aufführen ließ, das den Abend dann doch noch relativ zufriedenstellend abschoss. Denn man erlebte die von Stephan Bootz und TiinaPenttinen sehr gut gesungene und gespielte Erda-Szene mit dem großartigen Vorspiel und am Ende sogar noch die stimmlich eindrucksvolle Brünnhilde Peggy Steiner im Finale mit dem (nur noch flüsternden) Siegfried. Dennoch gewährt das Theater die Rückgabe der Eintrittspreise!

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