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Kritik – Jonas Kaufmann als Tannhäuser in Salzburg Eine gefühlte Ewigkeit

Bei den Osterfestspielen in Salzburg wagt sich Jonas Kaufmann erstmals an eine der schwierigsten Wagner-Rollen: Tannhäuser ist eine mörderische Partie. Die statische Inszenierung von Romeo Castellucci ist eine Übernahme aus München. Im Graben zelebriert Andris Nelsons mit dem Gewandhausorchester Langsamkeitsorgien. Und ein Sänger überstrahlt alle.

Szene aus "Tannhäuser", Osterfestspiele Salzburg 2023 | Bildquelle: Monika Rittershaus

Bildquelle: Monika Rittershaus

Kritik - Salzburger Osterfestspiele

Jonas Kaufmann als Tannhäuser

"Hier vergehen Milliarden Jahre", wird an die Bühnenwand projiziert. Dann steht da: "Hier vergehen zehn Milliarden Jahre." Und so weiter – bis Milliarden Milliarden Milliarden. Und was soll man sagen? Wie im Flug vergeht die Zeit jedenfalls nicht an diesem zähflüssigen Abend. Immerhin: Über das Rätsel der Zeit, das lange Warten auf den Augenblick der Erfüllung und die gefühlte Ewigkeit kommt man zumindest ins Grübeln bei dieser Inszenierung von Romeo Castellucci. Im Jahr 2017 kam sie in München erstmals auf die Bühne. Überraschend ist an dieser Regiearbeit nur, wie schnell sie gealtert ist – Rätsel der Zeit. Castellucci verzichtet nahezu völlig auf Personenregie. Er zeigt starre Rituale, dekoriert von kunstgewerblich angehauchten Bewegungschören.

Ästhetisch Rumstehen, priesterlich Schreiten

Szene aus "Tannhäuser", Osterfestspiele Salzburg 2023 | Bildquelle: Monika Rittershaus Jonas Kaufmann als Tannhäuser und Marlis Petersen als Elisabeth | Bildquelle: Monika Rittershaus Da gibt es barbusige Amazonen, die schon zur Ouvertüre in rhythmischen Wellen Pfeile auf ein großes Auge schießen. Der Venusberg ist ein etwas glibberiger, mal träge, mal konvulsivisch zuckender Körperklumpen, in dem sich Tannhäuser und Venus schwerfällig aufeinander zu und voneinander wegbewegen. Im zweiten Akt kräuseln sich wehende, halbdurchsichtige Vorhänge in aparter Beleuchtung. Wer will, kann dazu Betrachtungen über die Dialektik des Enthüllens und Verbergens anstellen. Und da sonst kaum was passiert, bleibt einem auch nicht viel anderes übrig. Im dritten Akt liegen die Leichen der Liebenden auf schwarzen Altären und verwesen quälend langsam, bis erst Knochen und dann nur noch Sand übrigbleiben. Beim Liebestod werden die letzten unkenntlichen Überreste miteinander vermischt. Ansonsten wird gefühlt Milliarden Jahre lang ästhetisch rumgestanden und priesterlich geschritten.

Walddunkler Hörnerklang

Szene aus "Tannhäuser", Osterfestspiele Salzburg 2023 | Bildquelle: Monika Rittershaus Emma Bell als Venus | Bildquelle: Monika Rittershaus Damals in München hatte Kirill Petrenko dirigiert und zu dieser statischen Inszenierung das Kontrastprogramm geliefert mit einer elektrisierenden musikalischen Interpretation. Diesmal steht Andris Nelsons am Pult – und er verdoppelt die szenische Statik durch musikalische Langsamkeitsorgien. Das Bachhanal in der Venusgrotte wird auf wohlige Wellness runtergedimmt. Das Gewandhausorchester hat charakteristische Farben – walddunkel klingen die Hörner, warm die Holzbläser. Was dieses tolle Orchester dann allerdings doch von der Weltspitze trennt, ist die maue Intonation – da hätten etwa Trompeten und Flöten noch einiges untereinander abzustimmen. Etwas blass bleibt der Chor, der sich aus dem Philharmonischen Chor Brünn und dem Salzburger Bachchor zusammensetzt und doch Kraft und Volumen schuldig bleibt. Die langsamen Tempi machen es allerdings auch nicht einfacher. Dabei gestaltet Nelsons sehr liebevoll und detailfreudig, auch dynamisch ausgefeilt. An manchen Stellen, etwa der Hallenarie, blitzt auch kurz mal Temperament auf. Aber letztlich bleibt Nelsons‘ ganz an die Schönheit des Augenblicks verlorene Deutung das Wesentliche schuldig: Bei Wagner muss der Dirigent für die dramatische Energiezufuhr sorgen, der psychologische Antrieb der Figuren kommt aus dem Graben – oder er fehlt.

Jonas Kaufmann bleibt verhalten

Szene aus "Tannhäuser", Osterfestspiele Salzburg 2023 | Bildquelle: Monika Rittershaus Bildquelle: Monika Rittershaus Vielleicht liegt es auch daran, dass Jonas Kaufmann bei seinem Debut als Tannhäuser seltsam gebremst wirkt. Oder will er sich die Kräfte angesichts dieser mörderisch schweren und höchst unbequem liegenden Partie klug einteilen? Dann hätte er spätestens in der Romerzählung Tacheles reden müssen. Tannhäuser ist ein Extremist – sowohl in der Lust als auch in der Buße. Kaufmann singt ihn eher verhalten. Statt psychologische Extremzustände zu zeigen, verlegt er sich auf gelegentliche Tenor-Schluchzer, als wäre dieser selbstzerstörerische Sinnsucher ein smarter Latin Lover. Deutlich mehr Präsenz und Leidenschaft zeigt Marlis Petersen als Elisabeth mit ihrem hellen, beweglichen Sopran. Ihre Gegenspielerin, die eingesprungene Emma Bell als Venus, bringt kräftige, aber wenig aufregende Farben ins Spiel. Eine Klasse für sich in Textverständlichkeit und Linienführung ist Georg Zeppenfeld als Landgraf. Sie alle überragt Christian Gerhaher als Wolfram. Was für ein magisches Piano – was für ein beeindruckendes Volumen! Hier erlebt man wenigstens musikalisch einen Menschen in all seiner Zerrissenheit: liebend und verzweifelt. Solche Augenblicke bleiben. Der Rest des Abends zerrinnt in gefühlter Ewigkeit: Hier vergehen Milliarden Jahre.

Sendung: "Allegro" am 3. April 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (12)

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Freitag, 07.April, 22:37 Uhr

EbbaAnders

Tannhäuser-Kritik

"musikalische Langsamkeitsorgien" ? Vielleicht sollte ein Kritiker auch manchmal in die Partitur schauen (sofern er das beherrscht), dann hätte er in diesem Fall gesehen, dass sich Nelsons sehr präzise an die Vorgaben der Partitur gehalten hat. Dass "Tannhäuser" meist zu schnell dirigiert wird, weil der typische Wagnersänger so ein langsames Tempo nicht beherrscht, steht auf einem anderen Blatt. Und was heißt hier "Tenorschluchzer ... smarter Latin Lover"? Davon war am 5. nichts zu hören, auch nicht von Überforderung und mangelnder Präsenz. Das war eine sehr stimmige und klangschön gesungene Interpretation weit weg vom üblichen Wagner-Geschrei.

Donnerstag, 06.April, 13:36 Uhr

Lisa Glockenspiel

Tannhäuser

Ein Dirigent der das Orchester ausbremst, der Sänger, der die Titelrolle singen darf, diese aber keinesfalls beherrscht, ein Liederinterpret, der seine Wagner-Partie geschmäcklerisch überdehnt,
gut, dass der begnadete Georg Zeppenfeld mit dabei ist. Musikalisch ein ziemliches Debakel. Da gibt es in manchem Stadttheater eine bessere Tannhäuser-Aufführung. Eine eigenartige Regie kann man fast übersehen, wenn ein fabelhafter Dirigent (K:Petrenko) die Oper aufleben läßt.

Mittwoch, 05.April, 15:36 Uhr

Maria Reith

Tannhäuser

Liebe Maria, interessanter Kommentar. Viel Spaß und Kunstgenuss.
Herzlich Monika

Montag, 03.April, 04:51 Uhr

Lore Gewehr

Tannhäuser

Die Kritik v.H. Neuhoff kann ich nur bestätigen: so gelangweilt habe ich mich selten, bin immer wieder eingeschlafen!

Montag, 03.April, 03:30 Uhr

Operalover

Tannhäuser

Danke für diese treffsichere Kritik. Was Kaufmann betrifft, kann ich mich dem "Minnesänger" nur vollinhaltlich anschließen. Sieht man von der lähmenden Langsamkeit ab, war Gerhaher das Ereignis des Abends. Ein "Wolfram" wie er sein sollte.

Sonntag, 02.April, 22:07 Uhr

Klaus Thiel

Tannhäuser in Salzburg

Salzburg war mal Vorreiter, auch in Sachen Regie.
Dass eine Inszenierung, die schon vor Jahren in München mehr als befremdete - der Venusberg ist wohl nie an Geschmacklosigkeit überboten worden - überhaupt recycelt werden muss, halte ich für sehr bedenklich.

Sonntag, 02.April, 14:50 Uhr

Andreas Gruber

Tannhäuser Kritik

Sehr gute Kritik von Herrn Neuhoff, stimmt absolut und sehr treffend, Bravo ????

Sonntag, 02.April, 14:12 Uhr

Max Fleisch

Tannhäuser

Es gibt besseres, als diese Inszenierung....
Traurig für Salzburg

Sonntag, 02.April, 12:48 Uhr

Rotraud Mildschuh

Tannhäuser Salzburg

Ich war leider nicht dabei. Aber dass Christian Gerhahers Wolfram ein Ereignis ist, wie man es nur in wenigen Sternstunden erlebt, weiß ich - seit Wien 2011...

Sonntag, 02.April, 12:32 Uhr

Katharina Sommerer

Kritik Bernhard Neuhoff

Ich empfand gerade in der Zartheit des Sängers die ungeahnte Kraft der Liebe.
Ebenso ermöglichte die Langsamkeit der Bilder und Wiederholungen ein Einfühlen in die Situation für mich.
Das war eine wunderschöne Opernaufführung!

Sonntag, 02.April, 12:09 Uhr

Zimmermann Michael

Ihre Kritik Bernhard Neuhoff

Ich habe Ihre Kritik gelesen, Herr Neuhoff. Bitte lesen Sie diese doch nochmals für sich durch. Ist das eine Kritik, wo wir als Leser feststellen können, wie die Sänger wirklich gesungen haben? Jeweils 2 belanglose Feststellungen zu den jeweiligen Sängern und Sängerinnen und dann über Christian Gerhaher:"ein magisches Piano - was für ein beeindruckendes Volumen... Ja, wie hat er denn das Lied an den Abendstern "gestaltet"?
Was waren die Stärken, was waren die Schwächen seiner Darbietung? Hat er von Innen heraus gesungen und die Gefühle des Wolfram wiedergegeben? Oder über Marlis Petersen:"Ein heller, beweglicher Sopran? Was ist denn das für eine Kritik? Wie hat sich die Hallenarie gegenüber dem Gebet der Elisabeth unterschieden? Wie hat sie diese zwei unterschiedlichen Arien gestaltet? Hat sie die Gefühlswelt der Elisabeth widergespiegelt oder WAR sie vielleicht die Elisabeth und hat sie durch ihre Rollengestaltung das Publikum bewegt? Das würde ich gerne erfahren.......

Sonntag, 02.April, 11:04 Uhr

Minnesänger

Tannhäuser

Dank für diese Kritik, die auch die musikalische Seite berücksichtig, das ist hier ja nicht unbedingt üblich. Wäre der Sänger der Titelpartie ein Unbekannter, würde man wohl noch deutlichere Worte finden. Kaufmann zeigt einmal mehr (wie zuletzt auf der schlimmen Turandot-Aufnahme), dass er überschätz ist, ein mittelmäßiger Sänger, der lediglich ein PR-Produkt für einen gewissen Publikumskreis funktioniert. Und mit Castellucci reichts jetzt auch langsam mal, das haben jetzt alle überall gesehen, Zeit für den nächsten Regisseur, der mal überall durchgereicht wird.

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