Elina Makropulos ist bildschön, heiß umschwärmt und stolze 337 Jahre alt - dank eines magischen Elixiers. Aber ist es wirklich erstrebenswert, ewig zu leben? Am Sonntag war Leoš Janáčeks Oper "Die Sache Makropulos" zum ersten Mal überhaupt an der Wiener Staatsoper zu erleben.
Bildquelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Je älter er wurde, desto moderner, unkonventioneller und radikaler wurde er. Und desto besser. Die Rede ist nicht von Peter Stein, dem großen Theaterveteranen – die Rede ist von Leoš Janáček. 71 Jahre alt war der eigenwillige Komponist aus Brünn, als er seine Oper „Die Sache Makropulos“ beendete. Und die Musik wurde leidenschaftlicher, ekstatischer, riskanter als alles, was er zuvor geschrieben hatte.
Peter Stein, einer der prägenden Regisseure der 70er, 80er und 90er Jahre, hat sich anders entwickelt. Dem Radikalismus hat er abgeschworen, und in die altmeisterliche Beherrschung der Mittel hat sich gehobene Routine eingeschlichen. An die Wiener Staatsoper passt das ganz gut, dort mag man keine allzu ambitionierten Regiekonzepte. Und so wird Steins solider Realismus bejubelt – er hat ja auch die Sänger nicht gestört. Die Geschichte ist zwar alles andere als realistisch, schließlich ist die Hauptfigur Elina Makropulos dank einem magischen Elixier stolze 337 Jahre alt. Kein Grund zur Aufregung für Peter Stein. Er sorgt dafür, dass die Figuren in liebevoll rekonstruierter historischer Kulisse geduldig in bequemen Polstermöbeln sitzen dürfen. Nur ganz am Schluss passiert was. Elina Makropulos hat sich endlich befreit vom Fluch, ewig weiterleben zu müssen. Das Licht wird grün, die attraktive Diva im glamourösen 20er Jahre-Kleid verwandelt sich in eine braune Mumie. Janáčeks Musik erzählt allerdings etwas völlig anderes über diesen Moment: Sie feiert den bevorstehenden Tod als Befreiung. Denn erst die Endlichkeit, das ist die Pointe der Oper, macht das Leben wertvoll.
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Laura Aikin in der Rolle der Emilia Marty...
Bildquelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
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... alias Elina Makropulos.
Bildquelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
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Wolfgang Bankl (Dr. Kolenatý)
Bildquelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
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Ludovit Ludha (Albert Gregor)
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Markus Marquardt (Jaroslav Prus)
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Heinz Zednik (Hauk-Šendorf)
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Thomas Ebenstein (Vítek)
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Carlos Osuna (Janek Prus), Margarita Gritskova (Krista)
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Laura Aikin (Emilia Marty), Ilseyar Khayrullova (Kammermädchen)
Bildquelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Und aufregend: Nur wer sterben muss, kann vorher lieben. Die ewig junge Elina Makropulos hat die Liebe längst verlernt. Die phantasielosen Zudringlichkeiten der Männer, die sie seit über 300 Jahren erduldet, langweilen sie unendlich. Doch Janáček vertont gerade nicht den Überdruss der Hauptfigur. Seine Musik erzählt von der Leidenschaft der fünf Figuren, darunter auch eine Frau, die in Elina Makropulos verliebt sind. In rasender Geschwindigkeit wiederholen sich die Motive, aufgekratzte Streicherfiguren und halsbrecherische Holzbläsersoli klettern in schwindelnde Höhen und die Pauke hat Herzrasen. Die Wiener Philharmoniker klingen keineswegs besonders cool dabei. Dass diese Musik ziemlich schwer ist und zumindest in diesem Haus noch nie von ihnen gespielt wurde, wird durchaus hörbar. Erst beim hymnischen Schluss scheint sich das Orchester in Janáčeks Klangwelt wirklich wohl zu fühlen. Dirigent Jakub Hrůša hält die Zügel straff in der Hand und sorgt für konstante Energiezufuhr, wodurch allerdings auch viele Spannungsbögen im Dauer-forte untergehen. Und das droht leider auch die Sänger manchmal zuzudecken. Was wirklich schade ist, denn die sind durch die Bank fantastisch. Allen voran Margarita Gritskova als Krista und Ludovit Ludha als Albert Gregor. Doch sie überstrahlt alle: Die überragende Laura Aikin in der Hauptrolle darf zwar ihre schauspielerische Brillanz nur selten aufblitzen lassen, doch ihrer Stimme ist die Erotik nicht auszutreiben: Für alle Entbehrungen einer phlegmatischen Regie entschädigt Aikins leuchtender Sopran.