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Nora Gomringer im Interview "Das Orchester ist eine Schwarmintelligenz"

Die Lyrikerin und Rezitatorin Nora Gomringer war am 23. November zu Gast bei der Münchner Bücherschau. Zusammen mit dem Jazz-Schlagzeuger Günter Baby Sommer präsentierte sie eine Text-Klang-Komposition zu "Grimms Wörter" von Günter Grass. Erst in den letzten Jahren kam sie intensiv in Kontakt mit klassischer Musik und gibt im Interview eine spontane Kostprobe.

Nora Gomringer | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

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BR-KLASSIK: Sie sind in München, weil sie hier eine besondere Lesung haben: "Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache" von Günter Grass. Und das ist nicht nur eine reine Lesung, sondern dabei ist auch Günter Baby Sommer, Jazz-Schlagzeuger, der das Ganze musikalisch begleitet. Sie haben diese Lesung quasi von Günter Grass geerbt, wenn ich das richtig verstanden habe.

Nora Gomringer: Ja, und das ist auch wieder auf Günter Baby Sommer zurückzuführen, der jahrelanger Begleiter der Lesungen aber vor allem der Person Günter Grass' war. Die beiden hatten eine Zeit lang ausgeheckt, dass eine gemeinsame Veranstaltung stattfinden sollte und dann eine Performance zu "Grimms Wörter" gemacht. Nachdem Grass verstorben war, ist das über viele Wege zu mir gekommen und es entsprach auch dem Wunsch von Baby Sommer und Günter Grass, dass ich mich dem Text annehme. Das war mir eine große Ehre.

"Grimms Wörter" von Grass musikalisch umgesetzt

BR-KLASSIK: Wie klingt das bei Ihnen?

Nora Gomringer liest aus ihrem Buch "Moden" | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk Nora Gomringer | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk Nora Gomringer: Bei uns klingt das weich. Und bei uns klingt das vor allem, da er zu dieser Performance fast zehn Meter Instrumentarium mitbringt, sehr unterschiedlich. Es gibt insgesamt neun Kapitel, weil auch die Brüder Grimm zu ihren Lebzeiten zu neun Buchstaben kamen, die sie im Alphabet bearbeitet haben. Diese neun Kapitel hat Grass aufgegriffen und der Schlagzeuger Günter Baby Sommer hat sich neun musikalische Interpretationen zu diesen Kapiteln ausgedacht. Ich singe auch passagenweise ein bisschen, und wir spielen und sprechen direkt miteinander. Es ist sehr rhythmisch, manches ist bewusst gegenläufig. Ich finde es eine sehr sensible Umsetzung.

BR-KLASSIK: Sie haben zwei Jahre lang die Bamberger Symphoniker begleitet als Schriftstellerin, als Lyrikerin. Dabei ist ein Buch herausgekommen, das "Bambergs Symphonie" heißt. Den Einführungstext, der auf der Webseite der Bamberger Symphoniker als Audio zu hören ist, habe ich mir angehört und fand sofort großartig, was Sie geschrieben haben. Sie sprachen zum Beispiel bei einem Orchester davon, dass es eine Schwarmintelligenz ist.

Nora Gomringer: Es sind ja viele Köpfe beteiligt und werden trotzdem in eine Richtung gelenkt, wenn es gelingt.

Wir haben uns um diesen Korpus, diesen Klangkörper Orchester herumgebogen und herumgewunden und sind ein bisschen hineingeflossen.
Nora Gomringer

BR-KLASSIK: Dann haben sie es geschafft, Klang in Worte zu fassen.

Nora Gomringer: Es ist schön, dass Sie das sagen, weil das in der Tat auch mein größter Zweifel war. Also, kann das überhaupt gelingen? Ist es sinnvoll, einem so unglaublichen mitreißenden Erlebnis wie der Musik eben noch die Worte dazu zu mengen? Was soll das? Kann Poesie das dann noch toppen, kommentieren? Dann habe ich eben vorgeschlagen, es sollte ein Fotoband entstehen und habe Andreas Herzau, den Fotografen aus Hamburg, mit ins Projekt hineingebracht. Das war genau richtig. Er und ich haben uns um diesen Korpus, diesen Klangkörper Orchester herum gebogen und herum gewunden und sind ein bisschen hinein geflossen. Wenn man Andreas Herzog bei der Arbeit zuschaut, dann versteht man schon, warum Fotografen oft sehr schlanke, dünne Männer sind. Es ist praktisch wenn sie sich unter Pulte legen und von oben und unten fotografieren.

BR-KLASSIK: Aber Sie schaffen ja die Bilder im Kopf, wenn ich das so sagen darf.

Nora Gomringer | Bildquelle: Anny Maurer Nora Gomringer | Bildquelle: Anny Maurer Nora Gomringer: Und ich muss auch sagen, ich bin nicht mit klassischer Musik aufgewachsen. Das Höchste bei mir war Mutters Swing Collection in der Küche und das Tanzen beim Kochen. Und mein Vater war immer in Stille, und von daher ist für mich das Exponiert-Sein mit klassischer Musik eine neue Erfahrung. Das geht jetzt schon lange Zeit. Seit sieben Jahren bin ich Direktorin am internationalen Künstlerhaus in Bamberg, und dort ist jetzt die ästhetische Erziehung so weit gegangen, dass ich mich sehr mit der Neuen Musik beschäftigen darf und immer mehr Komponistenpersönlichkeiten kennenlerne. Das ist sehr aufregend für mich. Das ist der neueste Aspekt meiner Arbeit, der sehr reizvoll ist.

BR-KLASSIK: Haben Sie in der klassischen Musik für sich einen Lieblingskomponisten entdeckt oder ein Lieblingswerk?

Nora Gomringer: Als ich Klavierstunden hatte, bin ich mit Debussy ordentlich gequält worden. Ich höre gerne ein schönes Klavierkonzert, etwa von Rachmaninow. Dann staune ich immer über die Kraft, und außerdem habe ich ein Faible für Russen.

BR-KLASSIK: Wie spontan sind Sie? Könnten sie jetzt hier im Tonstudio einen Zweizeiler zu einem Rachmaninow-Klavierkonzert sprechen?

In der Tat verwende ich die Musik zur Anregung, zur Stimulation.
Nora Gomringer

Nora Gomringer: Ja, die Musik müssen Sie mir einspielen, ich muss schon darauf reagieren können. In der Tat schreibe ich immer bei den Konzerten. Ich sitze mit dem Block da und irritiere die Leute, die denken, ich sei Reporterin, Journalistin und würde jetzt jemanden verreißen oder loben. In der Tat verwende ich die Musik zur Anregung, zur Stimulation. Ich setze mich auch ganz oft in Vorlesungen, wo ich eigentlich den Inhalt gar nicht so wirklich verstehe und dann erst mit der Zeit drauf komme. Und diese Phase des Sich-Assimilierens mit dem Stoff, der eigentlich erst verschlossen ist, ist die Interessanteste, weil dann sind die Selbstgespräche die intensivsten. Ich glaube, beim Musikhören ist das auch so ...

Audio: Nora Gomringer und der Beginn von Rachmaninows 3. Klavierkonzert

Nora Gomringer | Bildquelle: BR

Bildquelle: BR

Gormringers lyrische Improvisation zu Rachmaninow anhören

"Komm Tag, arbeite in mir.
Halt die Hand auf für das Licht.
Und gehst du nach Stunden Verlauf,
halt die Tür, halt die Sinne, halt den Gaumen weit auf.
Für den Geschmack der Nacht."
(Nora Gomringer zu Rachmaninow 3. Klavierkonzert)

Sendung: "Leporello" am 23. November 2017 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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