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Pariser Philharmonie Wer wagt gewinnt

Man stelle sich vor: Das Ensemble Modern, die Akademie für Alte Musik Berlin und das BR-Symphonieorchester geben gemeinsam ein Abo-Konzert im neuen Münchner Konzertsaal. Unsinn? Kaum zu realisieren? Oder doch eher: eine Vision für zukünftige musikalische Begegnungen?

Philharmonie in Paris | Bildquelle: © William Beaucardet

Bildquelle: © William Beaucardet

In Paris findet so etwas statt, in der 2015 eröffneten Philharmonie – ein spektakuläres Gebäude, eine Art silbern glänzendes Raumschiff. Oder eher ein schuppiger Riesenfisch? Entworfen von Jean Nouvel, beschlossen von Staatspräsident Jacques Chirac, über Jahre maßgeblich vorangetrieben von Pierre Boulez. Was wurde da nicht alles diskutiert: die Lage, in der Cité de la musique, im 19. Arrondissement, dem Arbeiterviertel Pantin, direkt am Pariser Autobahnring im Nordosten der Stadt. Die Kostenexplosion: statt 200 Millionen Euro zu Baubeginn schließlich rund 380 Millionen Euro. Und natürlich die Programmatik: die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo verlangte eine klare Aufteilung der Konzerte, maximal 150 klassische, daneben Rock-, Rap- und Weltmusik-Konzerte, um mehr und neues Publikum anzusprechen. Oh lala, c’est pas vrai!

Risikobereitschaft, Neugierde, Offenheit

Gut drei Jahre später: eine Momentaufnahme an einem Donnerstagabend im April. Die Menschen kommen in Scharen, jung und alt, chic und leger, zu einem Konzert mit dem Orchestre de Paris, dem Ensemble Intercontemporain und der Barockformation Les Arts Florissants. Jean-Féry Rebels wildes Barockstück "Les Éléments" ist das einzige Repertoirestück, daneben Musik aus dem 20. und 21. Jahrhundert: Jörg Widmanns "Echo-Fragmente", "Wheel of Emptiness" des britischen Komponisten Jonathan Harvey und die gigantische Symphonie Nr. 4 von Charles Ives. Was für eine Risikobereitschaft, was für eine Neugierde, was für eine Offenheit!

Hinein ins Geschehen

Klarinettist Jörg Widmann | Bildquelle: © Marco Borggreve Jörg Widmann | Bildquelle: © Marco Borggreve Jörg Widmann spielt in seinem Stück – mit magisch-unwirklichen Doppeltönen und geheimnisvollen Geräuschen der Klarinette – ein wesentliches Verbindungsglied zwischen den historisch tiefer gestimmten "Les Arts Florissants" und dem modern intonierenden Orchestre de Paris. Zwei Welten schieben sich da akustisch aneinander vorbei und ineinander hinein – sie überlagern und durchdringen sich. Man taucht mitten ins Geschehen, was auch an der transparenten Akustik des Saales liegt - sie stammt von Harold Marshall und Yasuhisa Toyota. Für Widmanns "Echo-Fragmente" ist die "Grande salle Pierre Boulez" mit ihren 2.400 Plätzen und der von Hans Scharoun geprägten Weinberg-Bauweise ideal. Man hört hoch oben hinter der Bühne die Töne ebenso ineinander fließen wie direkt in Reihe 1 vor dem Solisten. Die Ränge und Seitenbalkons wirken luftig, alles in diesem Raum scheint in die Höhe zu streben. Der Klang, irgendwo mitten im Raum – für alle da. Übrigens: Ein Umsetzen nach der Pause auf andere, freie Plätze wird gebilligt – ohne schiefe Seitenblicke der Nachbarn.

Überwältigender Orgelklang

Das gleiche Erlebnis dann bei Charles Ives' während des Ersten Weltkriegs komponierter, gewaltiger Vierter Symphonie für Chor, Orchester und Solo-Klavier, für die sich das Orchestre de Paris und das Ensemble Intercontemporain die große Bühne teilen. Ein ergreifendes Werk, mal himmlisch friedlich, mal tosend und fast krawallhaft. Imposant ist die Leistung der Musiker, die das auch rhythmisch vertrackte Stück exakt präsentieren. Die Krone setzt dem Ganzen dann die Rieger-Orgel mit ihren 91 Registern auf: Lamellen an der Hinterwand öffnen sich, wenn sie zum Einsatz kommt, der Klang überwältigt einen fast physisch.

Aufregende Begegnung

Eine Momentaufnahme im April 2018 – es mag nicht immer so sein. Aber an diesem Abend ist sie aufgegangen: die Vision einer aufregenden, lustvollen und risikofreudigen Begegnung mit der Musik von heute und gestern, in einem Konzerthaus weitab der Hautevolee, jenseits der "Grandes Magazins" und der luxuriösen Champs-Elysées. Für 2.400 Menschen. Chapeau Paris!

Das Konzertprogramm

Donnerstag, 5. April 2018, 20:30 Uhr
Philharmonie de Paris

Jean-Féry Rebel: "Les Éléments"
Jörg Widmann: "Echo-Fragmente"
Jonathan Harvey: "Wheel of Emptiness"
Charles Ives: Symphonie Nr. 4 für Chor und Orchester (mit Klavier)

Jörg Widmann (Klarinette)
Simon Crawford-Phillips (Klavier)
Les Arts Florissants
Orchestre de Paris
Ensemble Intercontemporain
Leitung: Paul Agnew (Rebel), George Jackson

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Dienstag, 10.April, 09:28 Uhr

Helge Otto Thoma

Wer wagt gewinnt - Pariser Philharmonie

Bravo! Toll ! Weiter so... ca c? est le futur et le 24Sauvage de la Music!

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