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Zum Tod von Peter Brötzmann Der unbeugsame Free Jazzer

"Brötzen" – dieses Verb wurde nach Saxophonist Peter Brötzmann benannt. Ein Wort, das so klingt, wie seine Musik: unnachgiebig und kompromisslos. Der deutsche Free Jazzer ist nun im Alter von 82 Jahren gestorben.

Peter Brötzmann beim Jazzfest Berlin 2022 | Bildquelle: Anna Niedermeier / Berliner Festspiele

Bildquelle: Anna Niedermeier / Berliner Festspiele

Fans eher traditioneller Jazzklänge haben einen wie ihn stets gemieden. Der am 6. März 1941 in Remscheid geborene Bildende Künstler und Musiker Peter Brötzmann war für sie gleichsam der Teufel persönlich. Er spielte das Saxophon so ungestüm, dass es schier zu bersten schien, Musik war bei ihm lange Zeit der pure Exzess. Er war 1966 Gründungsmitglied des "Globe Unity Orchestra", das mit befreiten Tönen die Welt umarmen wollte. Und er gründete drei Jahre später auch das bedeutende deutsche Free-Jazz-Label "Free Music Production" mit.

Peter Brötzmann: Der Vater des deutschen Free Jazz

Verehrer nannten ihn liebevoll den "Vater des deutschen Free Jazz". Doch weit über die Bundesgrenzen hinaus hatte dieser Musiker aktuelle Entwicklungen mitgeprägt. Geschätzt und verehrt wurde er auch in den USA und in Japan. Peter Brötzmanns Klang und seine unnachgiebige musikalische Haltung haben sogar den deutschen Wortschatz bereichert. Um ein Verb: "brötzen". Ein Wort, das man nicht nachschlagen muss, wenn man die Musik dieser deutschen Free-Jazz-Ikone hört.

Wild, ungestüm, aufbegehrend

Einer wie er klang nie harmlos. Seine Musik war wild, ungestüm, aufbegehrend, rau-ungeschliffen, energiegeladen, ausdrucksgierig und wahrhaftigkeitsversessen. Jeder Ton ein Statement. Es war Musik mit viel Puste und gehörig Lust am Sound. Und diese Lust ließ bis zum Ende nicht nach. "Ich bin ein ganz alt gewordener Jazzmusiker. Ja." Das hat Peter Brötzmann über sich selbst gesagt. "Jazzmusiker" sprach er dabei so aus, wie es die nach dem Zweiten Weltkrieg mit dieser Musik großgewordene Generation grundsätzlich tat: "Jatzmusiker". Ein Bürgerschreck war er. Ein – auf den ersten Blick zumindest, auf den zweiten dann nicht mehr – Holzfäller-Typ mit Bürstenhaar und einem Buschwerk von Bart. Und zugleich einer, der überraschend sanft wirkte, wenn er sprach. Die Stimme: leicht aufgeraut, ja. Aber kein Beton-Organ. Sondern ein Sound, der leise ausschwang.

Ich hab’s immer noch gerne, wenn ich einen Trommler hinter mir habe. Wenn es losgeht und das Horn vibriert. Das ist schon ein gutes Gefühl.
Peter Brötzmann

Harte Schale, weicher Kern

Dieser Ungezähmte – immerhin fünf Jahrzehnte lang der wohl wildeste Mann des deutschen Jazz – war sensibel. Ein Mann wie ein Baum, mit den rücksichtsvollsten Umgangsformen, die man sich vorstellen konnte. Das schlug sich auch musikalisch nieder. Ganz fein abgetönt klang seine Musik in zarten Momenten. Doch lange Zeit war der deutsche Free-Jazz-Saxophonist Peter Brötzmann schlicht auch einer der Lautesten im Lande. Wie ein Nebelhorn klang da das Saxophon. Sogar richtig martialisch konnte seine Musik werden.

Bierdosen flogen schon mal bei Brötzmanns Konzerten

Die Reaktionen waren dementsprechend. Ein Festival in Belgien, in Comblain-La-Tour, einem Dorf bei Liège. Saxophonist John Coltrane trat dort mit seinem Quartett auf, natürlich bei einem Abendkonzert. Brötzmanns Band war im Nachmittagsprogramm und sollte 40 Minuten spielen. Und später erinnerte er sich: "Und nach fünf oder zehn Minuten war der Strom weg. Wir haben unsere 40 Minuten gespielt ohne Rücksicht auf Verluste. Aber so war das nun mal." Sogar bei der Studentenbewegung stieß seine Musik auf Unverständnis. Da flogen schon mal Bierdosen, weil das Publikum den freitönenden Jazz als elitär empfand, als Musik des "Establishments".

Hinterher können wir ja dann drüber diskutieren - aber da war natürlich keiner mehr da.
Peter Brötzmann

Brötzmanns bekanntestes Werk: Machine Gun

"Machine gun" von 1968 ist Peter Brötzmanns provozierendstes und bekanntestes Werk, höchst kontrovers diskutiert. Ein Berserker mit System: Brötzmann studierte Kunst, arbeitete ursprünglich als Grafiker. In jungen Jahren arbeitete er an seinem Wohnort Wuppertal für den damals schon international berühmten Künstler Nam June Paik. Der ermutigte ihn: "Brötzmann, mach deinen Scheiß!" So zumindest schilderte es Peter Brötzmann einmal. Seine Arbeit als Bildender Künstler hatte Brötzmann auch als Musiker geprägt. Als Maler, sagte er einmal, habe er gelernt, die Freiheit des persönlichen Ausdrucks zu gebrauchen. Konventionelle Schemata waren da, um sie wegzufegen.

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Peter Brotzmann Nasheet Waits Duo | Bildquelle: UMass Fine Arts Center (via YouTube)

Peter Brotzmann Nasheet Waits Duo

Peter Brötzmann als Maler

Im Katalog zu einer Ausstellung Peter Brötzmanns Gemälde im Jahr 2011 schrieb die Kunsthistorikerin Susanne Buckesfeld:

"Das künstlerische Schaffen von Peter Brötzmann zeichnet sich trotz einer überwiegend herben, ja düsteren Ausdrucksweise durch außerordentliche Sensibilität aus. (…) So rührt die Musik ebenso wie das bildnerische Schaffen stark von der Emotionalität des Künstlers her, der er hör- und sichtbar Ausdruck verleiht. (…) Eine weitere Gemeinsamkeit beider Kunstformen stellt das originäre Anliegen Peter Brötzmanns dar, tradierte Wege zu verlassen und zu überschreiten, Konventionen zu zerstören und im vermeintlichen Verfall und Verlust eine neue, umso fragilere Poesie entstehen zu lassen. Die Abkehr von den Weiheformen der Hochkultur, sowohl der klassischen Musik als auch der schönen Künste, geht allerdings mit einem Höchstmaß an Sinnlichkeit und Eindringlichkeit einher. Während die Rezipienten auf dem musikalischen Feld den packenden, klagenden, verstörenden Klangkaskaden des Free Jazz ungeschützt ausgesetzt sind, schaffen die Bildwelten Peter Brötzmanns hierzu einen Gegenpol von meditativer Ruhe, die dennoch jene, die sie betrachten dürfen, zu berühren vermag."

Brötzmanns Motto: Brutale Musik für eine brutale Gesellschaft

Brutale Musik für eine brutale Gesellschaft: Das war einst ein Motto Peter Brötzmanns. Später sagte er: "Es gibt eigentlich keinen Grund, nicht mehr wütend zu sein." Und dennoch sprach er auch mit einer gewissen lakonischen Distanz von den wilden 1960er-Jahren, jener Zeit, in der brutale Musik besonders aktuell schien. Auf die Welt reagierten er und seinesgleichen aber auch später noch. Etwa im Jahr 2011 führte sein Chicago Tentet zusammen mit einem japanischen Koto-Spieler ein Stück mit dem Titel "Concert for Fukushima" auf - reagierend auf die atomare Katastrophe, die soeben die Welt erschüttert hatte.

Manche seiner Töne hatten eine sperrige Anmut, waren verwegen schön. Wie auch einige Stück- und Plattentitel: "Ein halber Hund kann nicht pinkeln". "Wolke in Hosen". "3 points and a mountain". Das waren Worte aus einem Kopf, der sich nicht verbiegen ließ. Auch seine Töne hatte Peter Brötzmann nie beugen, nie glätten lassen. Die Wege, die Peter Brötzmann, der sensible Radikale, im Jazz beschritten hat, waren immer spannend. Ausdrucksgier, Kompromisslosigkeit: Sie wurden nicht langweilig. Nun ist Peter Brötzmann im Alter von 82 Jahren gestorben.

Sendung: "Jazztime" am 26. Juni 2023 ab 23:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Sonntag, 02.Juli, 01:43 Uhr

Lars Stange

zum Tode von Peter Brötzmann

Ich erinnere mich sehr deutlich:
Berlin Anfang der 1970er Jahre ,ich war als junger Student in diese wilde Stadt gekommen und immer auf der Suche nach neuen Filmen, Theater und Musik.
Peter Brötzmann und seine Formation spielte nächtens in einem Jazz Club in Schöneberg (Quatier Latin?) Nähe der Kurfürstenstr.
Diese Konzerte werde ich nie vergessen: ein musikalischer Vulkan explodierte und spie nie gehörte oder für möglich gehaltene Klänge aus, röchelte, schrie, weinte und sang sich die Seele aus dem Leib und alle im Saal hörten gebannt zu.
Für mich verschoben diese Erfahrungen die Grenzen des musikalisch Sagbaren.
Und auch wenn ich kein Free Jazz Fan geworden bin, bin ich dankbar für die Erfahrung.
" Es gibt noch Lieder zu singen jenseits der Menschen" (Celan)
Ich verneige mich vor dem Menschen und Musiker Peter Brötzmann.

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