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BallettFestwochen in München Eröffnung mit Pina Bausch-Premiere

Es gehört schon Mut dazu: Als erstes Ensemble erarbeitete sich das Bayerische Staatsballett ohne die Hilfe von Pina Bausch deren Choreographie "Für die Kinder von gestern, heute und morgen". Bisher war das Stück nur mit der Compagnie des Wuppertaler Tanztheaters zu sehen, das Pina Bausch bis zu ihrem Tod leitete. Nun feierte es in München Premiere und eröffnete zugleich die diesjährigen Ballettfestwochen.

Szenenbild aus "Für die Kinder von Gestern, Heute und Morgen" Pina Bausch in er Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: © Wilfried Hösl

Bildquelle: © Wilfried Hösl

Premierenkritik

"Für die Kinder von gestern, heute und morgen" von Pina Bausch

Sie singen, sprechen, Ohrfeigen sich, sie schauspielern, malen, skateboarden. Ganz schön viel Unbekanntes und Ungewohntes musste sich das Bayerische Staatsballett aneignen. Über ein Jahr haben die Vorbereitungen für die Premiere gedauert. Tänzer des Wuppertaler Tanztheaters, die bei der Uraufführung im Jahr 2002 dabei waren, haben mit den Münchnern die Rollen im buchstäblichen Sinne hautnah einstudiert. Unter die Haut gegangen ist das Ergebnis in den getanzten Passagen.

"Für die Kinder von gestern, heute und morgen"

Fingerspitzen krabbeln über Unterarme, Hände flattern hektisch wie Hühnerflügel, Zehen wackeln, Tänzer schunkeln wie Matrosen, schlittern liebestrunken über den Boden. Splitterartig reihen sich diese Episoden aneinander. Drastisch sind die Musikbrüche gesetzt: Hard Rock auf Nina Simone funktioniert genauso wie Prince neben melancholischer E-Gitarre. Schlicht hingegen ist die Bühne: in einem weißen Kasten mit Riesenfenster vor schwarzem Hintergrund und symmetrisch angeordneten Toren agieren die fünfzehn Tänzer. Die Männer tragen Anzugshosen, dazu Hemden. Die Frauen scheinen in ihren langen Chiffonkleidern mit Blümchenmuster zu schweben, in ihren schwarzen Abendroben dem Premierenpublikum einen Spiegel vorzuhalten. Sie wechseln zwischen barfüßigem Tanzen und absolut trittsicherem Herumwirbeln in Lackpumps.

Friede, Freude, Sandkuchen

Kein Handlungsbogen verbindet die kurzen Einzelteile. Motive aus Pina Bauschs "Pool der Lieblingsthemen" kehren stattdessen immer wieder: dazu gehören verschiedene Stadien einer zwischenmenschlichen Beziehung, Vertrauen, Hingabe und Koketterie, Affekt und Reue. In dem Stück "Für die Kinder von gestern, heute und morgen" fügte sie außerdem einige Kinderspiele ein. So balanciert eine Ballerina auf einem Ball, zwei junge Männer veranstalten mit einer Feuerzeugflamme Mutproben, Tänzer katapultieren sich mit einem Seil kreischend in die Arme und am Ende des ersten Teils bauen alle gemeinsam eine riesige Sandburg, die an den Turmbau zu Babel erinnert.

Ein bisschen viel Sanftmut und Wohlfühleffekt stecken schon drin in diesem Spätwerk von Pina Bausch. Es tut darum ausgesprochen gut, dass die von Haus aus klassisch trainierten Tänzer dem Stück eine strenge Ästhetik aufdrücken. Mit ihrer enormen Körperspannung und ihrer überschäumenden Bewegungslust wirken sie manchmal wie von der Leine gelassene Windhunde. Neugierig stürzen sie sich auf das choreographische Futter und erobern dann die ganze Breite und Tiefe des Bühnenraumes.

Kurzweiliger Abend mit kleinen Schwächen

Etwas überfordert schienen die Tänzer mit den gesprochenen Teilen und den Slapstick-Episoden: auf Kommando musste über einen Sparwitz prustend gelacht werden, ein Tänzer im Anzug schleuderte mit klassischen Entertainerphrasen um sich, ein Paar führt dadaistisch anmutende Dialoge. Hierbei fehlt den Darstellern einfach die Erfahrung mit der eigenen Stimme, hier zeigte sich, dass man die von Pina Bausch für bestimmte Persönlichkeiten erdachten Rollen anderen Tänzern nicht ohne Kompromisse überstülpen kann. Auch wenn der Abend manchmal den Anschein erweckte, als würde ein klassisches Symphonieorchester Popsongs spielen, entwickelte sich daraus eine eigenständige und trotz der Länge von zweieinhalb Stunden kurzweilige Ästhetik. Außerdem ist Pina Bausch in jedem Fall eine Bereicherung im Repertoire des Staatsballetts. Das Publikum belohnte die Compagnie mit Standing Ovations.

Link-Tipp

Alle Aufführungstermine sowie weitere Informationen zu Pina Bauschs Stück "Für die Kinder von gestern, heute und morgen" finden Sie auf der Website des Bayerischen Staatsballetts.

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