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Zum 100. Geburtstag von Iannis Xenakis Komponist, Architekt, Mathematiker

Dichte Klangmassen, unaufhaltsame Glissandi und schillernde ungehörte Klangfarben – das sind die Eigenschaften der Musik des Komponisten Iannis Xenakis. Er wollte Musik von "umfassender Größenordnung" schaffen. Am 29. Mai 2022 wäre Xenakis 100 Jahre alt geworden.

Iannis Xenakis | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Es ist Winter 1941/42. Es herrscht Krieg in Europa. Gerade sind die Deutschen in Griechenland einmarschiert und das Land erleidet eine grausame Zeit der Besatzung, die bis ins Jahr 1944 reicht. Der Grieche Iannis Xenakis schließt sich dem Widerstand an, er ist am großangelegten Volksaufstand gegen die Nazis beteiligt. Es sind gerade diese bedrückenden Erlebnisse während des Krieges, bei Massendemonstrationen, die für seine Arbeit als Komponist von Bedeutung sein würden. "Ich werde nie vergessen, wie das regelmäßige, rhythmische Geräusch hunderttausender Demonstrierender sich in dieses aberwitzige Chaos verwandelte", erinnert er sich.

Nie hätte ich gedacht, dass all dies eines Tages wieder an die Oberfläche dringen und zu Musik werden würde.
Iannis Xenakis über seine Erlebnisse während des Zweiten Weltkrieges

Xenakis' Leidenschaft für Musik und Mathematik

Iannis Xenakis wird 1922 im rumänischen Brăila geboren. Nach dem frühen Tod seiner Mutter schickt sein Vater ihn und seine zwei Brüder auf die griechische Insel Spetses in ein Internat. Doch der junge Xenakis fühlt sich fremd. Er fühlt sich seinen gleichaltrigen Mitschülern unterlegen, beherrscht die griechische Sprache noch nicht so gut und findet schließlich Zuflucht in Büchern. Astronomie, Physik, Mathematik – diese Fächer haben es ihm angetan. Die Leidenschaft für Musik entwickelt sich im Jugendalter und fordert nach und nach ihren Platz neben den Naturwissenschaften.

Xenakis schreibt sich am Polytechnikum in Athen ein, gleichzeitig nimmt er Kompositions- und Klavierunterricht. Nach dem Krieg siedelt er nach Paris über und arbeitet dort für den berühmten Architekten Le Corbusier. Er entwirft unter anderem den Philips Pavillon für die Weltausstellung in Brüssel im Jahr 1958 und ist an der Gestaltung des Klosters "Sainte-Marie de la Tourette" beteiligt. Die Musik spielt weiterhin eine große Rolle: Er nimmt Kompositionsunterricht bei Olivier Messiaen und vertieft seine musikalischen Ideen.

Xenakis' berühmtestes Werk: Metastasis

In seinem berühmtesten Werk "Metastasis" treffen seine Erlebnisse vom Zweiten Weltkrieg und sein Interesse an der Mathematik aufeinander. Als er es 1954 fertig komponiert, lebt Xenakis bereits in Paris. In "Metastasis" kommen seine Erlebnisse im Widerstand bei den riesigen Protesten in den Straßen von Athen wieder hoch – als Klangmasse, die sich nach langen Glissandi auffächert, kleine Verästelungen bildet, um schließlich wieder eins zu werden.

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Iannis Xenakis - Metastaseis (Official Score Video) | Bildquelle: Boosey & Hawkes (via YouTube)

Iannis Xenakis - Metastaseis (Official Score Video)

Hinter dem Klang steckt die Mathematik: Dem Stück liegt die Fibonacci-Reihe zugrunde. Zwei aufeinanderfolgende Zahlen der Reihe ergeben, miteinander addiert, die nächste. Je weiter die Reihe fortschreitet, desto näher kommt sie dem Goldenen Schnitt. Nach diesem hat Xenakis die Zeit in "Metastasis" eingeteilt. "Die Rolle des Musikers muss in dieser Grundsatzforschung aufgehen: Antworten auf die Phänomene zu finden, die wir nicht verstehen, und somit unsere Verstandeskräfte und unsere Handlungsfähigkeit vergrößern", so erklärt er sein Verständnis von Musik.

Die Erfindung des Kompositionstools "UPIC"

Der Komponist Iannis Xenakis entdeckt nicht nur neue Klangfarben und Gesetzmäßigkeiten hinter der Musik, er überwindet auch die traditionelle Notenschrift. Stattdessen zeichnet er. Seine Grafiken erinnern mal an abstrakte Landschaften, dann wieder sehen sie wie kleine Strudel aus, die aus einem einzigen Punkt entstehen und sich senkrecht nach oben schrauben. So bringt Xenakis seine musikalischen Gedanken aufs Papier.

Iannis Xenakis 1998 | Bildquelle: picture-alliance / akg-images / Marion Kalter | Marion Kalter Der griechische Komponist Iannis Xenakis hat 1977 das Kompositionstool "UPIC" entwickelt. | Bildquelle: picture-alliance / akg-images / Marion Kalter | Marion Kalter Für die Instrumentalisten muss Xenakis seine Grafiken dann doch in die klassische Notenschrift übersetzen. Für seine elektroakustische Musik jedoch entwickelt er ein Computerprogramm, das die Zeichnungen in Klang verwandelt: "UPIC", Unité Polyagogique Informatique CEMAMu. Das Programm wird am Centre d’Études de Mathématiques in Paris 1977 fertiggestellt. Mithilfe eines elektromagnetischen Stifts können die Künstler*innen auf eine Tafel zeichnen. Die wiederum ist an einen Computer angeschlossen, der die Informationen als Sound ausspuckt. Eine niederschwellige Form der Klangerzeugung, denn wirklich jeder kann so Musik komponieren, ohne die Notenschrift oder Computerprogramme beherrschen zu müssen. So schafft es Iannis Xenakis, die Möglichkeit künstlerischen Ausdrucks allen zugänglich zu machen.

Xenakis‘ musikalische Idee

Den Drang nach Freiheit verspürt Xenakis nicht nur während seiner Zeit im Widerstand, er steckt auch in seiner Musik. Nie hat er sich in den Dienst einer Schule gestellt. Immer war er auf der Suche nach umfassenden Gesetzmäßigkeiten, die losgelöst von traditionellen Tonsystemen hinter der Musik stecken. Die Klänge, die während dieser Suche herauskommen, sind nie lyrisch. Xenakis vermutet, dass das Leben diese in ihm abgetötet habe. Stattdessen ist seine Musik schroff und rau. Es sind Klänge, die uns auch heute noch die Welt näherbringen, in ihrer Kompromisslosigkeit und Direktheit.

Es ist eine ewige Entdeckungsreise.
Iannis Xenakis über sein Leben als Musiker

Sendung: "Horizonte" am 24. Mai 2022 ab 22.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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