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Kritik – Festivaleröffnung in Immling Verdis "La Traviata" auf dem Weg in die Gegenwart

Das diesjährige Opernfestival auf Gut Immling im Chiemgau stellt mit "Traviata", "Norma" und "Madame Butterfly" bewusst drei prominente weibliche Titelrollen der Operngeschichte in den Vordergrund. Doch wie zeigt man Frauen als stark, wenn sie in der Opernliteratur am Ende immer sterben und oft auch gebrochen werden? In Verdis "La Traviata" dann doch eher mittels der Musik als durch die Regie, meint Rita Argauer.

Verdis "La Traviata" in Immling | Bildquelle: Nicole Richter

Bildquelle: Nicole Richter

Kritik

"La Traviata" beim Opernfestival auf Gut Immling

Motorengeräusch statt Vorspiel

Die Traviata beginnt in Immling nicht mit dem sanft surrenden Vorspiel, sondern mit Motorengeräusch. Auf einer Projektionsfläche über der Bühne kommen allerhand prollig-laute und teure Autos angefahren. Man befindet sich in einem Edel-Club der Gegenwart. Es gibt Champagner, Glitter und die jetzt-zeitigen Insignien von viel Geld und Vergnügungslust. Alfredo kommt auf dem Fahrrad – so viel Slapstick muss dann sein, bevor Cornelia von Kerssenbrock das Immlinger Festivalorchester zu Verdis Ouvertüre ansetzen lässt. Und da zeigt sich schon: Die Musik fängt hier ab, was in der Inszenierung oft ein klein wenig plump gerät. Denn von Kessenbrock hat mit diesem Orchester geprobt – und zwar richtig. Grazil, plastisch und höchst differenziert spielen die Musikerinnen und Musiker, zusammen als ein eigener Klangkörper. Dabei rhythmisch und dynamisch unglaublich genau. Ein fein gesponnenes Bild entsteht, das über die Musik erzählt wird – und ein hohes Niveau, welches sich auch auf die Sängerinnen und Sänger überträgt.

Die männlichen Partien überzeugen

Verdis "La Traviata" in Immling | Bildquelle: Nicole Richter Diana Alexe spielt Violetta zunächst kindlich kokettierend, gewinnt über die Zeit aber immer mehr an Tiefe. | Bildquelle: Nicole Richter Jenish Ysmanov kann dieses Niveau als Alfredo halten. Sein Tenor ist kräftig-drängend und empfindsam. Ähnlich überzeugend  ist auch der Bariton Stefano Meo. Dessen Giorgio Germont muss zwar als gebrechlicher Mann im Rollstuhl sitzen, am Ende sogar noch getoppt durch einen Tropf und Infusionsständer – aber trotz dieser Position hat er ein irres Volumen, klare Worte und durchdringende Präsenz. Damit kämpft Diana Alexe in der Titelrolle ein bisschen, vor allem zu Beginn. Sie legt die Violetta am Anfang kindlich kokettierend mit einer Portion Trotz an. Ihre Stimme, die in den Höhen und Koloraturen glasklar und einnehmend klingt, kann den Mezzobereich (noch) nicht ganz füllen: Sie schwimmt unter dem Orchester. Der hier noch feierlustigen und in der Gesellschaft präsenten Violetta fehlt die Reife.

Diana Alexes Violetta: Zunehmend krank, zunehmend musikalisch

Die Tragik der Geschichte nimmt dennoch ihren Lauf. Und irgendwo entspricht es auch dieser Tragik, dass Diana Alexes Violetta mit zunehmender Krankheit musikalisch enorm gewinnt. Das Schwindsüchtige erfüllt sich in ihrer silbrigen Sopran-Brillanz erschreckend, es geht nah. Dirigentin von Kerssenbrock bildet mit dem Orchester die feine Unterlage dafür.

Zu viel Inszenierung

Verdis "La Traviata" in Immling | Bildquelle: Nicole Richter Bei "La traviata" in Immling werden Handys gezückt, Selfies gemacht oder Stierkämpfe gemimt. | Bildquelle: Nicole Richter In der Inszenierung passiert dagegen einiges zu viel. Da kommen französische Schlager dazwischen, da werden Handys gezückt oder es wird pathetisch Gartenidylle in Gummistiefeln gespielt. Vier Tänzerinnen und Tänzer mimen Stierkampf und Wahrsager. Intendant Ludwig Baumann übersetzt in seiner Inszenierung die Handlung ins Heute – doch leider fast ohne größeren Mehrwert. "Frauen auf der Welt", das ist das Motto des diesjährigen Immling-Festivals, wie Ludwig Baumann selbst in seiner Eröffnungsrede betont. Und das ist eigentlich auch eine inszenatorische Herausforderung: Die Frauen der Operngeschichte Violetta, Butterfly und Norma – alles Frauen, die im Laufe der Handlung gebrochen werden und künstlerisch gerade durch ihr Zerbrechen besonders stark werden. Etwas, das sich wohl durch den alten männlichen Blick auf diese Figuren ergibt. Es ist paradox, wenn man heute von diesen Frauen erzählt, deren Brechen ihrer genialen künstlerischen Anlage immanent ist. Es ist ein Widerspruch, mit dem man leben muss – und der viel mehr inszenatorisches Potenzial bietet als vom Chor in der Sterbeszene gezückte Smartphones und Gummistiefel.

Sendung: "Allegro" am 27. Juni 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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