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Kritik – Anna Netrebko in der Arena di Verona Eine neue "Aida" zum 100. Jubiläum

1913 wurde die römische Arena zum ersten Mal mit einer Oper bespielt. Trotzdem feiert das Festival erst jetzt die 100. Ausgabe. Elf Sommer konnte es nicht stattfinden: während der beiden Weltkriege, dann zuletzt 2020 wegen Corona. Mit der legendären "Aida"-Aufführung 1913 in der Arena war das Interesse an den vor dem Ersten Weltkrieg beliebten Massendemonstrationen, den kolossalen Aufzügen, Aufmärschen und Sportveranstaltungen erstmals auch auf die Oper übertragen worden. Seitdem ist das Opernspektakel unverzichbar geworden. Freitagabend war Premiere der Neuproduktion von "Aida".

"Aida" in der Arena di Verona am 16. Juni 2023 | Bildquelle: Ennevifoto / Arena di Verona

Bildquelle: Ennevifoto / Arena di Verona

Patriotisch war am Freitagabend die Eröffnungszeremonie bei der 100. Ausgabe des Opernfestivals in Verona. Während der Chor sich in drei Formationen in den Farben der italienischen Trikolore positionierte, donnerten zwei Mal drei Flugzeuge über die Arena, die grüne, weiße und rote Kondensstreifen hinterließen.

"Aida" in der Arena di Verona am 16. Juni 2023 | Bildquelle: Ennevifoto / Arena di Verona Bildquelle: Ennevifoto / Arena di Verona Doch in der Neuproduktion ist konsequent vermieden worden, was vordergründig politisch instrumentalisierbar wäre: kein Blackfacing-Skandal wie 2019, keine kritische Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus, kein direkter Hinweis auf den aktuellen Krieg in der Ukraine. Auch Proteste wegen Beteiligung von Anna Netrebko gab es in Verona – anders als in Deutschland – keine. Dass die Sängerin wegen ihrer angeblichen Nähe zum russischen Regime immer wieder in der Kritik steht, spielte hier keine Rolle.

Regisseur ist auch Choreograph und Bühnenbildner

Regisseur Stefano Poda ist bei der neuen "Aida"-Produktion auch Choreograph und Bühnenbildner. Es ist eine abstrakte Szenerie, die bis auf wenige ägyptische Zitate ohne konkreten Zeitbezug auskommt. Links wohl die Ruine eines Raumschiffs aus einer Science-Fiction-Serie, rechts eine große geborstene antike Säule, dazwischen eine riesige bewegliche Hand als Gitterskulptur. Wenn man will, kann man in den Fingern auch Pferdeköpfe sehen, die einen Wagen ziehen. Vor allem ist die Szene bestimmt von dem etwa 400 Personen zählenden Bewegungschor, bestehend aus Tänzerinnen und Tänzern, Chorsängerinnen und Chorsängern.

Bewegungschor zeigt das Innere der Protagonisten

"Aida" in der Arena di Verona am 16. Juni 2023 | Bildquelle: Ennevifoto / Arena di Verona Bildquelle: Ennevifoto / Arena di Verona Sie schlingen sich um die handelnden Personen, kippen wie ein Kartenhaus der Reihe nach um oder kriechen am Boden, meist weiße oder schwarze Gruppen, einmal alle auch in blendendem Silberglanz funkelnd. Als Gefangene im Triumphmarsch kommen sie mit nackten Leibern aus der Unterbühne, ineinander verschlungen wie Gewürm und stellen die Alpträume der handelnden Figuren dar. Diese wiederum tauchen hin und wieder im Bewegungschor unter. Als Zuschauer hat man Mühe, sie in der Masse ausfindig zu machen.

Anna Netrebko beherrscht diese Bühne

Der Dramaturgie der Arena kommt jene Dialektik vom ergreifenden Einzelschicksal und inneren Erleben einerseits und Massenauftritten andererseits durchaus entgegen. Ist es ja auch die Besonderheit der Arena, wie sich auf dieser Riesenbühne die isolierte Einzelstimme zu behaupten weiß und Opernstars sich profilieren. Musikalisch sind es bei der eindrucksvollen Akustik der Arena, die bei den tausenden Zuhörern mucksmäuschenstille Konzentration bewirkt, die langen ausgehauchten Pianissimi, die besonders berühren.

"Aida" in der Arena di Verona am 16. Juni 2023 | Bildquelle: Ennevifoto / Arena di Verona Bildquelle: Ennevifoto / Arena di Verona Anna Netrebko als Aida beherrscht diese Bühne mit eindrucksvoller Souveränität, Bravour, vor allem aber auch mit Leichtigkeit, in den Höhen und in den Tiefen wie selbstverständlich wechselnd. Das "Celeste Aida" des Radames von Tenor und Nebetro-Ehemann Yusik Eyvazov mag dagegen zwar zu Beginn etwas gepresst gewirkt haben, aber auch er schlägt sich von Akt zu Akt überzeugender. Ebenso gefällt der warme Alt von Olesya Petrova und Aidas Vater Amonasro, verkörpert durch Roman Burdenko.

Marco Armiliato dirigiert effektvoll das Orchester

Überaus theatralisch und dennoch immer wieder zart ergreifend spielt das Orchester der Arena unter der Leitung von Marco Armiliato. Effektvoll wirken die plötzlichen schroffen Einwürfe, gepaart mit oft nur versonnenen Flöten- und Oboenklängen. Faszinierend: Hoch oben in der Arena stehen 12 Fanfarenbläser. Dahinter unsichtbar findet die Verurteilung des Radames statt. Stefano Poda spricht mit seiner Ästhetik in dieser Produktion auch ein opernunerfahrenes Publikum an. Sie lässt auf produktive Weise jedenfalls für den Zuschauer viele mögliche Interpretationen offen.

Sendung: "Allegro" am 19. Juni 2023, um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (14)

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Donnerstag, 29.Juni, 21:01 Uhr

Dr. Wulf Schöne

Verona

Denke gerne an die Erlebnisse mit Dir. Schade, dass wir nicht dabei sein konnten.

Samstag, 24.Juni, 17:15 Uhr

Gufo

Aida

Zeffirelli fehlt an allen Ecken und Enden.Doch seine unsterblichen Inszenierungen werden in die Arena zurückkehren.Dafür wird das italienische Publikum sorgen,da es erziehungsresistent ist und Sinn für das Schöne hat.

Dienstag, 20.Juni, 12:57 Uhr

Matthias Kroll

Aktuelle Zeit oder aktuelle Ereignisse?

Es ist schon ein Unterschied, ob man in der aktuellen Zeit inszeniert oder einzelne aktuelle Ereignisse in der Inszenierung reflektiert sehe möchte. Ein wirklich sehr gutes Beispiel für eine gelungene, aktuelle Inszenierung ist die jüngste Xerxes Vorstellung im Landestheater Detmold. Da könnte sich Herr Poda einmal ansehen wie das im Team geht.

Montag, 19.Juni, 23:54 Uhr

Claus Grünewald

Warum Bezug zu aktuellen Ereignissen?

Ganz einfach: Von Verdi ist verbrieft überliefert, dass er wollte, seine Opern seien in der (aktuellen) Zeit zu inszenieren.
Alles andere wäre ja auch langweiliger Konservatismus - das wollte Verdi nun gar nicht.

Montag, 19.Juni, 17:47 Uhr

Matthias Kroll

so habe ich es erlebt

Warum muss eine Verdi Oper einen Bezug zu aktuellen Ereignissen haben und warum muss man versuchen aktuelle Ereignisse in eine Verdi zu zwingen?
Aida ist ja eine erweiterte Version von Romeo und Julie im alten Ägypten. Die Liebe zweier Menschen zerbricht an den brutalen Auseinandersetzungen Ihrer Väter und Herkunftsländer gewürzt mit intriganten Menschen und führt letztlich zum Tod.
Zur Inszenierung:
Wenn man es in einem Satz zusammenfassen müsste so war dies eine Mischung aus Star Wars und Zombi Apokalypse verpackt in glitzernde, klappernde Kostüme und eine Disco Lasershow. Der Lärm der Glitzerkostüme des Bühnen Zombi Ballets war teilweise so laut, dass es den Gesang und die Musik zerstört. Die aufdringliche Präsenz der ca 200 Tanzprotagonisten war mitunter so penetrant, dass er von der eigentlichen Geschichte ablenkte und es schwierig machte, die Handlung zu verfolgen. Wir hatten den Eindruck, dass die Sänger erst zum 3ten und 4ten Akt erst richtig eingesungen waren. Grausam!

Montag, 19.Juni, 10:16 Uhr

Giovanna Furtner

Was hat der Kritiker gehört?

Ich frage mich, welche Aufführung der Kritiker gehört hat? Netrebko und Eyvazov sagen doch nur grauenhaft: kaum ein Ton war richtig intoniert, die Stimmen gepresst und in keiner Weise den Verdi-Melodien gewachsen. Man hat es ja auch an der zurückhaltenden Reaktion gesehen, wie enttäuscht das Publikum war.
Ich verstehe nicht, wie ein Klassiksendung solche Fehleinschätzungen abgibt ... Welchen Grund gibt es, Netrebko schön zu reden?

Sonntag, 18.Juni, 20:04 Uhr

Walter Muller

Suitable for pop show but not for grand opera.

RUBBISH

Sonntag, 18.Juni, 15:38 Uhr

Eduard Anton

Kritik

Sind Kritiker eines Musiksenders (oder anderen Mediums) überhaupt noch musikalisch? Die Stimme von Eyvazov wurde von Akt zu Akt immer enger, von Anfang an viele falsche, hochgezogene oder gepresste Töne, bei Netrebko (wie immer bei Aufzeichnungen - Nervosität?) viele falsche Töne und Petrova war kein warmer Alt, sondern vor allem heiser. Was mit Pertusi los war, überging man am besten schweigend. Aber der Hauptteil der Kritik beschäftigt sich sowieso mit dem Optischen...

Sonntag, 18.Juni, 14:18 Uhr

Uwe Schulz

Aida Premiere in der Arena di Verona

Arena di Verona und Rai hatten eine weltweite Liveübertragung angekündigt.
Die öffentlich-rechtlichen Sender nicht nur im deutschsprachigen Raum scheinen dies ignoriert zu haben. Glücklicherweise konnte ich per Rai zuschauen, mit Eurovisionsfanfare.
Statt Blackfacing wurde eine andere Stirnbemalung gewählt, in Lili-Nuancen.
Dies ließ mich nun schmunzeln und an Violetta-Facing denken.

Sonntag, 18.Juni, 12:30 Uhr

Materne Meike

Aida Inszenierung 2023 Verona - Modern versaut all

In einem Wort - furchtbar!
Gesang wirklich gut - aber kein Erkennen der schönen wenn auch tragischen Handlung möglich.
Die fehlende Kulisse - umrahmt von einem StarWars - Frack und einer griechischen gebrochenen Säule haben nicht mal im Ansatz etwas mit Ägypten vor 100 Jahren zu tun.
Auf dem Boden kriechende schwarzgekleidete - keine Ahnung was - die später auch noch so gut wie nackt über die Bühne robben.
Bei den Kostümen kein Unterschied zwischen König/Prinzessin/Feldherr oder Sklaven erkennbar.
Eine Oper besteht aus Gesang, Handlung und vor allem Kulisse-gerade in der wunderschönen Kulisse von Verona sollte das auch so bleiben.

Es war eine Riesenenttäuschung - die lange Fahrt für so ein Reinfall und auch das umsonst ausgegebene Geld nur ärgerlich.
Einzig die zauberhafte Stadt, die lieben Menschen und das schöne Wetter haben diese Reise noch gelingen lassen.

Sonntag, 18.Juni, 10:10 Uhr

Brigitte Steinert

Kritik Aida

Ich schätze eigentlich die Kritiken auf BR Klassik. Was ich nicht schätze ist Schlamperei. Aidas Vater heißt Amonasro und nicht wie Sie geschrieben haben, Amnoroso.
Solche Dinge passieren in der Kulturberichterstattung leider immer häufiger und sind vielleicht ein Ausdruck von keine Zeit haben zur nochmaligen Korrektur, aber hoffentlich nicht von Wurstigkeit. Jedenfalls sind sie unbedingt zu vermeiden.

Samstag, 17.Juni, 22:18 Uhr

Peter Materne

Enttäuschend

Ein Gemenge aus viel schwarz und etwas weiß, das einen Opernunerfahrenen in Fragezeichen zurücklässt. Der Zuschauer rätselt wer ist wer und wünscht sich etwas weniger moderne und mehr Klarheit.
Die Kulisse der Arena wurde verschenkt an ein modernes Bühnenbild. Dies konnten auch die wenigen Szenen die die Kulisse einbanden nicht retten.

Samstag, 17.Juni, 22:04 Uhr

John

Verona Premiere Aida

Nicht alles „Neues“ ist gut…. Ich war bei der Premiere dabei und in keinster Weise konnte ich die Geschichte von Aida anhand der Präsentation des Bühnenbilds, der Requisiten nachvollziehen…. Man hätte auch einfach die Gesangsprotagonisten vorne auf die Glasfläche der Bühne stellen können und Ihr Repertoir runter performen… teilweise schlechte Akkustik , weil sich die Sänger vom
Publikum abgewandt hatten…. Kurzum die Dramatik , den Content der Geschichte konnte weder der Choreoraph , noch das Bühnenbild , in Teilen die Künstler vermitteln. In Schulnoten 3.

Samstag, 17.Juni, 18:43 Uhr

Adriano

Aida in den Farben Russlands?

Wer hat sich die Kleidung von Aida in den Farben der russischen Flagge ausgedacht? Schade für Verona.

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