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Kritik - "Rheingold" Deutsche Oper am Rhein Umstritten und nachdenklich

Wagners Antisemitismus war in der Vergangenheit für die meisten Open-Regisseure kein Thema. Dietrich Hilsdorf dagegen hat sich für seine Neuinszenierung des "Ring" in Düsseldorf diesem heiklen Thema gestellt - und eröffnete den Abend erst einmal mit dem Loreley-Lied.

Szene aus Wagners "Rheingold", Oper am Rhein Düsseldorf | Bildquelle: Hans Jörg Michel

Bildquelle: Hans Jörg Michel

Premierenkritik zum Anhören

Wagners "Rheingold" in Düsseldorf

Nein, die Loreley tritt in Richard Wagners "Rheingold" nicht auf, obwohl sie doch bekanntlich den imposantesten aller Uferfelsen bewohnt. Wahrscheinlich kommen dort noch mehr Leute vorbei als in Bayreuth. Wie auch immer: Regisseur Dietrich Hilsdorf eröffnete seinen neuen Düsseldorfer "Ring" tatsächlich mit dem Loreley-Lied, wenn auch nur mit dem ersten Satz: "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten..." spricht der Feuergott Loge, noch bevor das Vorspiel beginnt, und zeigt dazu Flammen auf seinen Handflächen. Eine Anspielung für Eingeweihte, die sicher nicht alle im Zuschauerraum mitbekommen haben - aber immer noch genug, dass es am Ende für ein paar wütende Protestrufe reichte.

Wagners Antisemitismus wurde bisher ignoriert

Das Loreley-Gedicht hat bekanntlich Heinrich Heine geschrieben - ein Jude, und Richard Wagner war erklärter Antisemit. Das Feuer-Symbol erklärt sich in diesem Zusammenhang von selbst - erinnert es doch an den absoluten Tiefpunkt der deutschen Geschichte. Mag schon sein, sagten sich in den letzten Jahren die meisten Regisseure, dass Wagner Judenfeind war, aber immerhin hat er sich zu seinem "Fliegenden Holländer" doch von Heinrich Heine inspirieren lassen und seine Musik, die sei auf keinen Fall antisemitisch. Deshalb wurde das heikle Thema Antisemitismus nicht mehr inszeniert, sondern ignoriert.

Ganz anders am Freitagabend in Düsseldorf: Dort scheute sich Dietrich Hilsdorf nicht, Wagners Negativ-Figuren wie Juden aus NS-Propaganda-Filmen auftreten zu lassen. Der hinterhältige Zwerg Alberich, der das Rheingold raubt und dafür der Liebe entsagt, kommt im fleckigen Kaftan auf die Bühne, geht erst mal ins Bordell und greift sich dann die Weltherrschaft. Sein Bruder Mime, der ihm den Tarnhelm schmiedet, keift herum, trägt Zottelmähne und eine Melone auf dem Kopf.

Eine Expedition in die Abgründe der Bildungsbürger

Zwei grelle Karikaturen also, wie sie in antisemitischen Filmen üblich waren. Wotan, der Herrenmensch und Göttervater, stolziert demgegenüber in braunen Schaftstiefeln und Staubmantel herum, auf der Nase eine Nickelbrille, die sehr an Heinrich Himmler erinnert. Das "Rheingold" also als Expedition in die Abgründe der deutschen Bildungsbürger, die nicht nur kultiviert, sondern auch engstirnig waren - verblendet, einfältig, teilweise hasserfüllt. All das brach sich ja im Nationalsozialismus Bahn.

Ausstatter Dieter Richter hat ein pompöses Salonzimmer entworfen - ein paar samtgrün bezogene Sitzgelegenheiten, holzgetäftelte Wände. Hier kokettieren erst die Rheintöchter, dann brechen die Malocher krachend durch die Wand - die schweißüberströmten und russverschwärzten Nibelungen, die unter Tage für den Wohlstand der Götter schuften. Hier verband Dietrich Hilsdorf optisch eindrucksvoll und sehr geschickt Ideologie- mit Kapitalismuskritik: Vor dem Kommunismus hatten viele Großbürger ja mindestens so viel Angst wie vor den Juden.

Musikalisch blieben ein paar Wünsche offen

Politisch also eine fordernde, brisante, teils provokante Inszenierung mit überraschend wenig Ironie. Wotan reißt den Ring des Nibelungen direkt von der abgehackten, blutigen Hand Alberichs und lässt diese gar nicht mehr los. Ein starkes Bild für den Fluch, der auf dem Ring liegt. Musikalisch blieben ein paar Wünsche offen, weil Dirigent Axel Kober besonders zu Beginn sehr zurückhaltend blieb, was den Sängern allerdings zugute kam.

Das "Rheingold" ist ja ein Konversationsstück, in dem viel Text zu bewältigen ist, der verständlich bleiben sollte. Das gelang sehr gut, aber etwas mehr Kontraste, mehr Furor im Orchestergraben hätte den Abend noch beklemmender gemacht. Simon Neal war ein beachtlicher Wotan, Norbert Ernst ein faszinierender Loge. Auch Michael Kraus als Alberich überzeugte in jeder Hinsicht. Ein vielversprechender "Ring"-Auftakt in Düsseldorf: Umstritten und nachdenklich. Womöglich hätte es sogar Wagner gefallen - was allerdings ganz und gar nicht beruhigend ist!

Sendung: "Piazza" am 24. Juni 2017, 08.05 Uhr auf BR-KLASSIK.

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