Vor drei Jahren verkündete der Pianist Radu Lupu seinen Abschied vom Konzertleben. Der Gesundheit wegen. Der stille Rumäne beendete damit eine Karriere, die ihm einen Platz unter den größten Klavierspielern der letzten Jahrzehnte garantierte: So eigenwillig romantisch, so farbfröhlich, insbesondere in den leisen Passagen, spielte niemand sonst. Am Ostersonntag ist der Pianist im Alter von 76 Jahren in Lausanne gestorben.
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Manchmal – erzählte der Dirigent Ivan Fischer einmal – wenn er mit Radu Lupu zusammenspiele und ihn so aus den Augenwinkeln beobachte, dann beschleiche ihn eine unheimliche Ahnung. Nämlich die, dass da am Klavier nicht eigentlich Radu Lupu sitze, sondern der alte Brahms. Klar, der Rauschebart beflügle die Fantasie. Entscheidend aber sei die Art, wie Lupu spiele. Zurückgelehnt auf seinem Stuhl, fast reglos, und mit einer ruhigen, introvertierten Ernsthaftigkeit, die eine Intimität erzeuge, der man sich kaum entziehen könne.
Ob Radu Lupu dieser Vergleich mit Brahms gefallen hätte? Man weiß es nicht. Ein Mann der Worte war Lupu nie. Interviews mit ihm haben Seltenheitswert. Indizien gibt’s jedoch. Gräbt man in Zeitungsarchiven, dann findet man zumindest diese Aussage: Er, Lupu, könne nur Komponisten spielen, die auch zu ihm passten. Entsprechend klein war sein Repertoire, bestand im Kern aus nur fünf Namen: Schubert, Schumann, Beethoven, Mozart – und, ja, auch Brahms. Also doch.
Geboren wurde Radu Lupu in Galati, weit im Osten Rumäniens, nahe des Donaudeltas. Der Sohn eines Rechtsanwalts und einer Lehrerin will eigentlich Komponist werden. Sein erstes Konzert bestreitet er noch ausschließlich mit eigenen Werken. 12 Jahre alt ist er damals. Mit 14 geht’s dann auf nach Bukarest zu Florica Musicescu, Lehrerin eines gewissen Dinu Lipatti. Und nur zwei Jahre später nach Moskau, wo ihn der legendäre Klavierpädagoge Heinrich Neuhaus unter seine Fittiche nimmt. Wie vor ihm schon die russischen Klaviergroßmeister Emil Gilels oder Swjatoslaw Richter – Namen, die gewissermaßen dynastisches Flair atmen, die an die verzweigten Stammbäume von Königshäusern erinnern: europäischer Pianistenadel. Ein Kreis von Unverwechselbaren, zu denen auch der Klavierspieler Radu Lupu gehört.
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Mozart Piano Concerto No23-2M (2/3) Sándor Végh Radu Lupu Vienna Philharmonic
"Sensibilissimus" wurde Radu Lupu genannt, als er nach einigen Wettbewerbserfolgen, unter anderem in Leeds, in den 1970er-Jahren zum ersten Mal in Deutschland auftrat. Ein Beiname, der bis zuletzt nichts von seiner Gültigkeit verloren hat. Lupu war ein Anschlagszauberer, der wie kein anderer die Kunst des samtigen Auftritts beherrschte. Sanft aber präsent – so als wäre der der Klang immer schon dagewesen, und würde gerade erst die Schwelle zur Hörbarkeit übertreten.
Zwei, die einander schätzten: Radu Lupu (r.) an der Seite von Mariss Jansons | Bildquelle: Peter Meisel / BR "Er tatzt" – schrieb die Süddeutsche einmal anlässlich eines Konzerts in München. "Tatzen" ist kein schlechtes Wort für das, was Lupu am Flügel gemacht hat. Das Samtige steckt genauso darin wie eine gewisse Nachlässigkeit, ein Hang zum Ungefähren, den Lupu vor allem in seinen letzten Karrierejahren kultiviert hat. Falsche Töne kümmerten ihn wenig. Ein Perfektionist war er nicht. Eher Essentialist: Lupu ging es ums Wesentliche, um klangliche Nuancen, die er vor allem im Leisen entdeckt hat. Die unwahrscheinlichsten Wesen schwirrten da aus dem Flügel. Schatten und Nebelgeister, aber auch Glühwürmchen, die strahlten ohne zu blenden. Vor allem zur Aufwertung eines Komponisten hat Lupu mit seiner Leisemagie maßgeblich beigetragen: Franz Schubert.
Fast ein halbes Jahrhundert lang war Radu Lupu auf allen großen Podien dieser Welt zu Gast. Es gab kaum ein wichtiges Orchester, mit dem er im Lauf dieser Zeit nicht musiziert hätte. Auch wenn er dabei immer so aussah, als würde er gar nicht bemerken, dass da noch andere sind. So versunken, in sich gekehrt, waren seine Auftritte oft. Besonders kommunikativ war Radu Lupu nie. Immer mehr Empfänger als Sender. Nun ist der große Musiker ganz verstummt.
BR-KLASSIK ändert anlässlich des Todes von Radu Lupu das Programm und widmet dem Pianisten die Sendung Klassik-Stars am 19. April 2022 ab 18:05 Uhr.
Kommentare (3)
Dienstag, 19.April, 23:01 Uhr
Theodor Cristea
Radu Lupu
Die Welt verneigt sich in Trauer anlässlich des Todes von Radu Lupu.
Dienstag, 19.April, 21:23 Uhr
Beate Schwärzler
Der stille Rumäne Radu Lupu ist verstummt.
Lassen Sie bitte diesen Nachruf noch hier zum nochmal und nochmal Hören !
Zweimal habe ich heute Tobias Stosiek zugehört, wie er den Hörern diesen Pianisten,
von dem ich bisher kaum Notiz genommen hatte, näher und ganz nahe brachte.
Die Stillen...
Gewürdigt von einem, der nicht nur mit seinen Worten, sondern auch mit seiner Sprachmelodie das Wesen des verstorbenen Künstler ehrt.
Dienstag, 19.April, 19:36 Uhr
Dr. Anne Feichtner von Jan
Radu Lupu in Klassik Stars
Die sehr ansprechende Sendung begann mit Thema und Variationen D-Dur von Johannes Brahms. Es wurde gesagt, dass Lupu das Stück aufgenommen habe, mit einer Jahreszahl, die ich vergessen habe, die aber wohl in den Neunziger Jahren lag. Können Sie mir verraten, wo man diese Aufnahme bekommen könnte. Oder kann man die Sendung noch einmal nachhören?
Anmerk. d. Redaktion: Alle Sendungen von BR-KLASSIK können Sie sieben Tage lang in der BR-Radio-App nachhören.