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Semyon Bychkov im Interview Strauss' seltene Gabe

Zu Gast bei den Bamberger Symphonikern: Bei Semyon Bychkov steht momentan Richard Strauss auf dem Pult. Der Mann, der wie kein anderer instrumentieren konnte, meint der Dirigent. Außerdem verteidigt er ihn gegen den Vorwurf seiner Verstrickung in den NS.

Semyon Bychkov | Bildquelle: Nicoletti_Musikverein

Bildquelle: Nicoletti_Musikverein

BR-KLASSIK: Herr Bychkov, Sie dirigieren in Bamberg Werke von Bohuslav Martinu und Richard Strauss. Strauss' Alpensymphonie ist für etwa 120 Musikerinnen und Musiker geschrieben, 60 Streicher, 12 Hörner, viel Schlagwerk - ein Fest für die Ohren?

Semyon Bychkov: Ich hoffe es! Die Orchestrierung ist extrem reichhaltig, und doch ist ein Großteil dieser Sinfonie reine Kammermusik, sehr transparent, sehr zart. Da ist nicht alles laut und groß. Manches davon ist sehr, sehr intim und in der Tat sehr berührend.

Zur Instrumentationskunst von Richard Strauss

BR-KLASSIK: Strauss zeigt sich hier also als wunderbarer Instrumentator?

Semyon Bychkov: Ja, er konnte das schon sehr früh in seinem Leben. Er hatte von Anfang an dieses Gefühl für orchestrale Textur, für Orchesterklänge, für die verschiedenen Instrumente, die die außergewöhnlichsten Klangeffekte erzeugen. Das ist eine sehr seltene Gabe, die nicht viele Komponisten haben. Aber er hatte sie. Und die Alpensinfonie ist ein fantastisches Beispiel dafür.

BR-KLASSIK: Die Alpensymphonie soll sich ja einem Jugenderlebnis von Richard Strauss verdanken. Angeblich hat er sich im Sommer 1879 als junger Mann bei einer Bergtour in den Bayerischen Alpen verlaufen und geriet in ein Gewitter. Spielt diese Erklärung für Sie eine Rolle?

Semyon Bychkov: Wissen Sie, ich habe eine etwas andere Auffassung von der Bedeutung dieser Sinfonie. Die Alpen, natürlich, und die Natur sind in gewisser Weise eine Metapher für die eigentliche Bedeutung des Stücks: Es geht um das Leben eines Menschen, wie es beginnt, wie er durch verschiedene Herausforderungen, Freuden, Krisen und Spannungen hindurchgeht und schließlich am Ende ankommt. Und die Natur durchläuft in der Tat ähnliche Zyklen. So versteht man, dass der Mensch und die Natur ein und dasselbe sind, wenn man so will. Ich denke, dahinter verbirgt sich die existenzielle Erfahrung des Menschen in all ihren Erscheinungsformen.

Klicktipp

"Musikalisch und politisch hellwach" - lesen Sie hier unser Porträt zum 70. Geburtstag von Semyon Bychkov.

Zum Verhältnis von Kunst und Leben

BR-KLASSIK: Die Alpensymphonie ist 1915 erschienen. Das zweite Werk, das Sie aufführen, Martinus Konzert für zwei Klaviere, ist 1943 entstanden, beide Werke enthalten aber wohl keinen Kommentar zur Zeit. Ist das ein Nachteil, vermissen Sie das?

Semyon Bychkov: Nein, das glaube ich nicht, denn ich denke, dass verschiedene Menschen in dem Moment, in dem sie etwas erschaffen, unterschiedlich auf das Leben um sie herum reagieren. Manchmal spiegelt ein Werk sehr stark den Moment wider, in dem ein Mensch gerade lebt. Wenn wir an die siebte Sinfonie von Schostakowitsch denken, die Leningrader Sinfonie, dann ist es völlig klar, dass das, was er und die Menschen zu diesem Zeitpunkt erlebten, in gewisser Weise die Geburt dieser Sinfonie verursachte. Aber es gibt auch Gegenbeispiele, wo ein Stück nicht nach seiner Zeit klingt, weil da jemand eine Zuflucht vor der Situation finden musste, in der er sich befand. Es muss also nicht immer ein direkter Zusammenhang bestehen.

Richard Strauss und der Nationalsozialismus

BR-KLASSIK: Sie selbst sind in Leningrad aufgewachsen, Sie sind jüdischer Herkunft, sind Richard Strauss' Verstrickungen in den Nationalsozialismus ein Problem für Sie?

Semyon Bychkov: Nein, das ist es absolut nicht. Wissen Sie, die Musik von Strauss spielt eine sehr, sehr große Rolle in meinem Leben. Und damit geht auch eine Menge Recherche einher. Der Mann hatte absolut nichts mit den Nazis zu tun. Sein Sohn war mit einer Jüdin aus Prag verheiratet. Ihre Familie, ihre Tante zum Beispiel, war im Konzentrationslager. Und eines Tages nahm Strauss einen Zug, um sie zu besuchen. Er rettete seine Schwiegertochter aus den Händen der Nazis in Wien, indem er sich für sie einsetzte.

Das ist also, glaube ich, ein großes Missverständnis und eine sehr ungerechte Anschuldigung gegen Strauss, weil er mit den Nazis kollaborieren musste. Er hat Deutschland in der Zeit nicht verlassen, und deshalb musste er einen Weg finden, um zu leben. Das sollte eigentlich nicht sehr schwer zu verstehen sein. Und ich denke, für uns, die wir in einer anderen Zeit in relativer Sicherheit leben, ist es sehr leicht, jemanden zu beschuldigen, der sich in einer ganz anderen Situation befand, als wir es heute sind.

Anmerkung der Redaktion

Die Rolle von Richard Strauss im Nationalsozialismus ist umstritten. In der Forschung hat sich in den letzten Jahren die Erkenntnis durchgesetzt, dass Strauss zwar nicht als "Gesinnungstäter" bezeichnet werden kann, mindestens aus opportunistischen Gründen allerdings die Nähe zu den Nationalsozialisten gesucht hat. Dafür steht sein Engagement als Leiter der Reichsmusikkammer bis 1935. Und ebenso seine Beziehung zu Nazigrößen wie Baldur von Schirach – oder Hans Frank, Generalgouverneur im besetzten Polen, dem Strauss sogar einen eigenen Kanon widmete. Mehr dazu lesen Sie hier und hier.

Sendung: "Leporello" am 25. Mai ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Mittwoch, 07.Juni, 23:11 Uhr

Prof. Ortwin Benninghoff

Richard Strauss

Das, was Herr Bychkov über Richard Strauss und seine Verstrickung mit den Nationalsozialisten gesagt hat, ist absolut richtig. Auch wenn es eine andere "gängige" Meinung unter deutschen Journalisten dazu gibt. Es ist schade, dass die Redaktion noch eine Anmerkung gedruckt hat. Es klingt irgendwie nach Besserwisserei und entbehrt nicht des Eindruckes eines "Nachtretens" Diesen Nachtrag hätte es nicht bedurft.
Ein großer Dirigent hat absolut Richtiges und Wichtiges über Strauss und die unseligen Nazis gesagt.

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