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Dirigent Thomas Hengelbrock im Interview Mit dem Alter wird man immer besser

Dirigentinnen und Dirigenten müssen wissen wo es langgeht. Immerhin tragen sie die Verantwortung für oft gut 100 Musikerinnen und Musiker. Im Interview mit BR-KLASSIK bricht Thomas Hengelbrock den Dirigenten-Mythos ein bisschen auf und erzählt von Entwicklungs- und Lernprozessen. Und warum Dirigenten im Alter immer besser werden.

Thomas Hengelbrock | Bildquelle: © F. Grandidier

Bildquelle: © F. Grandidier

BR-KLASSIK: Herr Hengelbrock, Hermann Hesse hat gesagt: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Mit den Münchner Philharmonikern führen Sie jetzt drei Erstlingswerke auf. Aber die sind total unterschiedlich. Richard Wagner hat sich mit Verve reingeschmissen, Johannes Brahms hat sich ewig gequält, bis er endlich anfangen konnte mit seiner ersten Sinfonie. Wie geht es Ihnen persönlich mit Anfängen?

Thomas Hengelbrock: Also ich bin eher jemand, der die Kontinuität liebt. Also ich finde es ganz toll, wenn man etwas aufbaut und dann auch wirklich lang daran weiterbaut... Auch diese Erstlingssinfonie von Brahms ist für mich ein Symbol, etwas anzufangen, um das dann über viele, viele Jahre so in sich zu tragen, weiterzuarbeiten und es dann irgendwann auch zu präsentieren. In dem Sinne ist das ja auch schon ein ganz reifes Werk. Das ist ganz anders als der "Holländer" oder auch als dieses frühe Klavierkonzert von Rachmaninow.

BR-KLASSIK: Und Sie erkennen sich eher in diesem kontinuierlichen Arbeitsprozess wieder?

Thomas Hengelbrock: Schauen Sie, ich bin jetzt auch schon ein paar Tage unterwegs und mache schon einige Zeit Musik. Und es ist natürlich ein unglaubliches Geschenk, wenn man so lange überhaupt in der Musik arbeiten kann, wie ich das machen kann. In all diesen Anfängen, die ich in meinem Leben gehabt habe, da war ein Zauber präsent. Aber es ist ganz herrlich einfach auch weiterzuarbeiten, sich auch weiterzuentwickeln. Andere Kategorien zu entwickeln, auch zusammen mit den Komponisten, und vielleicht auch mehr Welthaltigkeit, in der Musik zu entdecken. Das ist ein toller Prozess. Und ich bin unglaublich dankbar. Vielleicht viel, viel dankbarer als vor 30 oder 40 Jahren als mit dem Musizieren angefangen habe.

Dirigent? Ein Beruf in dem man immer besser wird

BR-KLASSIK: Das ist eine tolle Bilanz. Das kann sicher nicht jeder von seinem Job sagen, wenn er lange drin ist. Das ist vielleicht auch eine Gnade des Dirigenten-Berufs, dass man halt einfach doch besser wird mit der Zeit. Sind Sie jetzt besser als damals?

Thomas Hengelbrock: Also ich selber empfinde das als viel, viel besser. Gar nicht zu vergleichen mit dem Anfang. Gerade beim Beruf des Dirigenten. Sie können natürlich Schlagtechnik lernen. Sie können bestimmte Dinge lernen, auch die ganze Welt der Musikanalyse. Aber das Ganze umzusetzen und alle psychologischen und auch philosophischen, sozialen und musikologischen Fragen irgendwann zusammenzubringen und zu bündeln und in der Begegnung mit Orchestern und mit Chören umzusetzen, da brauchen Sie schon viel Lebenserfahrung dazu. Und ich sage mal genutzte Lebenserfahrung. Also nicht irgendwie einfach so eine Routine nach dem Motto: 'ich weiß, wie es geht'. Sondern auch eine Neugier, die sozusagen den offenen Raum vor sich weiß.

Thomas Hengelbrock live mit den Münchner Philharmonikern

Thomas Hengelbrock dirigiert die Münchner Philharmoniker mit einem Programm mit Brahms, Wagner und Rachmaninow von Mittwoch, 26. Oktober, bis Freitag, 28. Oktober, je 20 Uhr in der Isarphilharmonie in München.

BR-KLASSIK: Das ist ja bei Komponisten manchmal ein bisschen anders. Manche werden immer besser, so ist mein ganz persönlicher Eindruck. Aber andere sind in ihrem Jugendwerk eigentlich am besten, und wenn sie ihre Radikalität oder ihre Frische verlieren, lässt die Qualität dann in einigen Fällen auch ein bisschen nach.

Und dann gibt es durchaus vielleicht auch eine, ich nenne das mal Knäckebrot-Phase im Leben, wo es dann ein bisschen Routine ist.
Thomas Hengelbrock

Thomas Hengelbrock | Bildquelle: picture-alliance/dpa Bildquelle: picture-alliance/dpa Thomas Hengelbrock: Ja, da haben Sie völlig Recht. Das sagt man ja auch von den großen Romanciers beispielsweise. Sie treten in die Welt der Kunst mit einem großen Roman, und alles ist autobiografisch, alles ist tiefst empfunden und durchlitten. Und dann gibt es durchaus vielleicht auch eine, ich nenne das mal Knäckebrot-Phase im Leben, wo es dann vielleicht ein bisschen Routine ist. Ich selber beobachte das vor allem bei Regisseuren. Ich finde, da gibt es viele tolle Leute, die mit ihren eigenen Truppen ein ganz stürmisches Entrée haben und wirklich etwas zu sagen haben und dann total von den Betrieben aufgesaugt werden. Dann kommen die ganzen Intendanten, stürzen sich auf diese Regisseure, sagen, inszenieren mir mal das und dies und das'. Dann verlieren diese Leute ein bisschen den inneren Kontakt, und es wird Routine. Das darf auch mal sein. Eine Zeit. Aber das darf kein Dauerzustand werden. Man muss sich dann wieder besinnen und weiterentwickeln, damit es dann vielleicht doch so ein schönes Alterswerk gibt wie bei Goethe oder auch bei Beethoven oder auch bei Brahms.

BR-KLASSIK: Wie ist es bei Rachmaninow? Das erste Klavierkonzert hört man ja fast nie.

Man darf Rachmaninow gerade nicht mit dem breiten Pinsel dirigieren.
Thomas Hengelbrock

Thomas Hengelbrock: Ich liebe das. Ich liebe überhaupt Rachmaninow. Ich finde das einen ganz tollen Komponisten, und man muss da auch sehr differenziert rangehen. Also man darf auch Rachmaninow gerade nicht mit dem breiten Pinsel dirigieren. Und wenn man sich Aufnahmen von ihm anhört, wie toll er gespielt hat und was für eine Luft und Spritzigkeit das hat. Wie klar und kristallin da viele Dinge sind, dann darf man das nicht in einem großen, süßen Milchbrei ertränken.

BR-KLASSIK: Apropos nicht im großen Milchbrei ertränken. Dafür braucht man ja eine differenzierte Akustik. Sie sind jetzt zum ersten Mal in der neuen Isarphilharmonie. Wie geht es Ihnen mit dem Saal?

Thomas Hengelbrock: Herrlich, das ist ein unwahrscheinlich gelungener Saal. Und ich habe gerade das Orchester noch einmal spielen lassen, bin dann in den Saal gegangen, um auch ein bisschen mit Distanz zu hören. Ich vermisse hier gar nichts. Und den Gasteig schon gar nicht. Also das klingt hier herrlich differenziert und klar und hat eine Bindungsfähigkeit, die Akustik, die Instrumente zusammenzubinden und doch in ihrer Idiomatik irgendwie nicht zu sehr anzugleichen. Also ich finde es ganz toll.

Sendung: "Allegro" am 26. Oktober 2022, ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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